Bild nicht mehr verfügbar.

Liebesgetändel vor der Lorbeerwerdung: Ricarda Merbeth als überwältigende Titelgestalt (mit Michael Schade als Leukippos) in der szenisch und musikalisch gleich niveauvollen "Daphne"-Premiere an der Wiener Staatsoper.

Foto: AP/Lili Strauss
Unter der Leitung von Semyon Bychkov triumphierte vor allem Ricarda Merbeth in der Titelpartie.


Wien - Vielleicht war es ein Zufall, vielleicht auch mehr. Jedenfalls wurde man während der schönsten 105 Minuten, die man an der Staatsoper seit langem erleben durfte, sehr eindrücklich daran erinnert, dass Europa eben doch viel älter ist und doch auch etwas ganz anderes - Tieferes - als das Staatengebilde, das am selben Tag von seinen Bürgern durch Wahlenthaltung eine überwältigende Abfuhr erhielt.

War diese szenisch und musikalisch so gut wie restlos geglückte Neuproduktion der Daphne von Richard Strauss doch eine eindrückliche Erinnerung an die mythischen Wurzeln dieses Kontinents, aus denen immer neue Herz-und Geistgewächse sprießen.

Im vorliegenden Fall handelt es sich überdies auch um den in allen Küchen Europas geschätzten Lorbeerstrauch (daphne laurus). In eine solchen hat Gott Apoll die Nymphe dieses Namens verwandelt, nachdem er den um sie werbenden Freund Leukippos getötet hatte.

Es mag vielleicht verwundern, dass ausgerechnet diese ziemlich einfache Geschichte, die Ovid und auch Plutarch erzählen, eigentlich als europäisches Urlibretto bezeichnet werden muss. Stellte sie doch die Handlung für die erste Oper des Abendlandes, die Jacopo Peri in 1597 in Florenz komponierte, und auch die erste Oper in deutscher Sprache (1627) die Daphne von Heinrich Schütz.

Warum Richard Strauss sich letztlich doch entschloss, dieses nicht sonderlich attraktive und von ihm zunächst als "kindliches Philologenmärchen" geschmähte Libretto von Joseph Gregor zu vertonen, bleibt letztlich unklar. Denkbar wäre wohl, dass er bei der Verwandlung einer jungen Frau in einen Lorbeerstrauch an seine jüdische Schwiegertochter gedacht hat.

Librettonöte

Immerhin hatte Strauss 1935 anlässlich der Uraufführung der Schweigsamen Frau entgegen dem Wunsch der Nazis auf die Nennung des aus rassischen Gründen geächteten Librettisten Stefan Zweig auf allen Ankündigungen bestanden. Worauf Adolf Hitler ihm ausrichten ließ, er möge sich mit Rücksicht auf seine Schwiegertochter künftig weniger auffällig verhalten.

Und goldrichtig mitten hinein in den historisierenden Bombast der damaligen Ästhetik und ohne Rekurs auf Politisches stellen Nicolaus Loel als Regisseur und Pet Halmen als Ausstatter den schmalen Handlungsablauf. Sie pumpen ihn nicht auf, sondern setzen auf Reduktion.

Und so geschah es, dass diese Produktion dem Vergleich mit der legendären Festwochen-Daphne, die Karl Böhm mit Rudolf Hartmann als Regisseur und mit Hilde Güden in der Titelpartie sowie mit Fritz Wunderlich und James King vor 40 Jahren im Theater an der Wien präsentierten, durchaus standhielt.

Perfekte Titelgestalt

Und dies vor allem dank Ricarda Merbeth. Sie ist die Daphne par excellence. Schon auf der Chaiselongue im Prunkraum der Münchner Stuckvilla, die das szenische Team zum Ausgangspunkt des verhaltenen Geschehens macht, wirkt sie weltabgewandt, starr, als bahnte sich die vegetative Metamorphose schon vom Beginn weg an.

Anders als ihr makelloser Sopran, der auch nach ihrer raffiniert vollzogenen Verwandlung (nicht eben zu einem Lorbeerstrauch, sondern zu einer Säule) wie in jeder Phase der Handlung menschlich und beseelt klingt.

Wenn die Handlung dann traumhaft in den Bühnenhintergrund kippt, bewundert man Marjana Lipovsek als Daphnes Mutter Gaea ganz besonders, aber auch Walter Fink (als Papa Peneios).

Als perfekter Apoll vermag Johan Botha die Erinnerung an James King zur Gänze zu zerstreuen; Michael Schade als darstellerisch sympathisch agiler Leukippos gelingt dies im Hinblick auf Fritz Wunderlich zumindest sehr achtbar.

Nur in solcher Qualität lässt sich - bei allem gebotenen Respekt - die umständliche, klischeehafte kompositorische Betulichkeit, mit der Richard Strauss durch dieses urfade Libretto unterwegs ist, mit anhaltender innerer Spannung ertragen. Steht doch - umgekehrt wie in Ariadne auf Naxos - der orchestrale Aufwand, sieht man von der Schlussmusik ab, in keinem Verhältnis zum emotionalen Ertrag.

Letzteren hat Semyon Bychkov vom Pult aus mit im wahren Sinn des Wortes imponierender Hemdsärmeligkeit so weit wie möglich zu steigern versucht. Und die sich bei Richard Strauss stets wohl fühlenden Philharmoniker haben ihn dabei mit so viel rauschhafter Brillanz unterstützt, dass die Üppigkeit der Musik mit der anhaltenden szenischen Contenance ein wenig differierte. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.6.2004)