Fertig. Alles ist gestaltet: Tische, Stühle, Sofas, Regale sowieso. Wir können uns beruhigt hinlegen. Schlafen. Es gibt nichts mehr zu tun, die Rente kann kommen. Wären da nicht die jungen Köpfe, die Spinner, die unbeschwerten Nachwuchstalente. Jene wenigen Designerinnen und Designer, denen es mit frischem Blick gelingt, den Alltag zu zerlegen, um ihn dann neu zusammenzusetzen: gezielte Eingriffe in festgefahrene Routine; Interventionen in gewohntes Wohnen.
Dabei entstehen dann Objekte, für die es bisweilen gar keine Bezeichnungen gibt. Mühten sich ältere Generationen noch an klassischem Interieur ab, eben an Tischen, Stühlen, Sofas und Regalen, lösen sich die Junioren immer häufiger von diesen Begriffen.

Fotos: Designer

Gleich eine ganze Kollektion von "Provisorien und Antihelden", so die eigene Beschreibung, hat etwa das Designteam "The Formsons" entworfen - eine lose verbundene Truppe junger Talente aus Zürich. Jacob Zumbühl, eines der Mitglieder, kreuzt beispielsweise einen konventionellen Besen mit einer ebenso gewöhnlichen Stableuchte. Und schon ist nicht mehr klar, ob das Ergebnis nun Besen oder Leuchte genannt werden soll. Sicher ist indes: Der sonst zu versteckende Besen kann nun, stets griffbereit, im Wohnzimmer als leuchtende Dekoration herumstehen - immer bereit für ein schnelles Putzen zwischendurch.

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Noch weiter von klassischen Begriffskategorien löst sich ein anderes Mitglied der Zürcher Designformation, Lea Montini. Sie hat eine Art Teppich-Sack-Decke entworfen. Ausgebreitet eignet sich das kreisrunde Textil als Spielwiese für den Nachwuchs. Und das wirre Durcheinander, das Kinder stets anzetteln, ist mit einem Handgriff zu beseitigen: Mithilfe eines Zugbandes mutiert die Decke zu einem riesigen Beutel, in dem sich die Unordnung sammelt. Dem Erwachsenen dient "Kibi" hingegen als wärmende Decke oder als Liegefläche am Boden.
Damit folgt der Entwurf einem Trend. Einem Trend, der nun schon seit einiger Zeit vor allem die jüngeren Designer beschäftigt: Die Erfindung von bodennahen Sitz-und / oder Ruhegelegenheiten - angesiedelt irgendwo zwischen Teppich, Sofa und Decke. Eine Entwicklung, die auch in diesem Jahr zu beobachten ist auf dem weltweit größten Treffen junger Designerinnen und Designer: im "Salone Satellite", einer Halle der Mailänder Möbelmesse, in der heuer über 400 Nachwuchstalente um Aufmerksamkeit buhlten.

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Bisweilen führt das Boden- und Ausruhphänomen zu radikalen Ansätzen. Etwa bei der Mailänderin Ina Nikolic. Sie, die ebenso Mode- wie Produktdesign studierte, hat die Textilkollektion "Sleepwear" entworfen, die vielleicht als eine Art Kreuzung aus Kleidung, Teppich und Wolldecke zu bezeichnen ist. In weit geschnittene Filztücher hat sie Löcher geschnitten, dazu gibt es ein voluminös-schlangenartiges Gebilde, in das sich gestresste Nomaden einwickeln können. Hier scheint nichts genau vorgegeben zu sein, weder präzise Funktionen noch eindeutige Produktkategorie. Vielleicht hat sie damit das erste anziehbare Sofa erfunden - oder ist "Sleepwear" ein tragbarer Kuschelteppich? Die Liebe zum Leben am Boden kennt offenbar keine nationalen Grenzen.

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Samantha Parsons, im australischen Melbourne lebend, befasst sich in vielfältiger Weise mit Bodeninterieur. "Floorplay" ist eine aus quadratischen Filzstücken zusammensetzbare Spielwiese für Kinder - geeignet für drinnen und für draußen. Und "Floorscape", auch eine Filzmatte, allerdings aus faltbaren Dreiecksflächen, lässt sich als Picknickunterlage nutzen, kann aber auch zur Höhle verwandelt werden.
Gegen derlei ungenau zu benennende Produkte mutet der Minisessel "Lümmel" fast schon konventionell an - was er aber nicht ist. Immerhin ist es den beiden Münchner Designern Nikolaus Hartz und Hannes Weber gelungen, ein Sitzmöbel zu ersinnen, das den Komfort eines normalen Sessels bietet, und zwar für Kinder wie auch für Erwachsene. Zudem ist das mobile Minipolstermöbel - bezogen mit einem Polyestergewebe - auch im Freien benutzbar. Klar, auch hier wird das Sitzen nur wenige Zentimeter oberhalb der Grasnarbe zelebriert. Das überzeugte auch die Jury des nunmehr zum fünften Mal verliehenen "Design Report-Award". Nun dürfen sich die jungen Designer aus Bayern rühmen, eine "Special Mention" erhalten zu haben.

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Ausgezeichnet mit dem Nachwuchspreis wurde jedoch der in Köln lebende Designer Jörg Gätjes. Er hat einen Schreibtisch entwickelt, dessen Unterseite mit einer magnetischen Platte kaschiert ist. Daran lassen sich Beine, aber auch Kabelführungen und Schubkästen befestigen. Womit Gätjes, der bereits in der beruflichen Routine angekommen ist, ein extrem flexibles Büromöbel konzipiert hat; am traditionellen Konzept der Büroarbeit rüttelt er indes eher vorsichtig. Weit unbefangener legten sich denn auch Studenten aus Karlsruhe ins Zeug - frei von lästigen Fragen der Produzierbarkeit und Vermarktung, um die sich der Kölner Designer sorgen muss. Sie haben über das Restaurant der Zukunft nachgedacht. Dabei herausgekommen ist ein Fastfoodkonzept, das Anleihen am Picknick in freier Natur macht. Am Boden dieser künftigen Natururbanistik wachsen Grashalme aus Gummi, wahllos hingestreut warten zylindrische Objekte auf eine Benutzung. Und weil diese nicht präzise vorgegeben ist, das Mobiliar sich nicht an die Stuhl-vor-Tisch-Anordnung hält, dürfen Besucher experimentieren: die baumstammartigen Zylinder einmal als Tisch, einmal als Bank oder Stuhl verwenden. Eines aber werden sie bei dieser fortdauernden Neuinterpretation der Gastronomie nie: fertig. (DERSTANDARD/rondo/Knuth Hornbogen/11/06/04)

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