Wien - Scharfe Kritik am umstritten Pogrom-Vergleich von SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer ist am Dienstag auch von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) und Vizekanzler Hubert Gorbach (F) gekommen. "Der Vergleich mit den dunkelsten vordemokratischen Zeiten - Zarenreich bis hin in den Nationalsozialismus - ist untragbar", so Schüssel nach dem Ministerrat. Er appellierte, zu einer "Abrüstung der Worte" zu kommen. Eine derartige Abrüstung ist auch für Gorbach "notwendig und fällig", um nicht irgendwelchen Schaden zu provozieren.

Schüssel sagte, er sei von der Parlamentsdebatte am Freitag vorerst "sehr positiv überrascht" gewesen, es habe sich um eine willkommene Gelegenheit gehandelt, EU-Themen zu beraten. "Es hatte kein Mensch den Eindruck, dass eine sehr feindliche, aufgeheizte oder aggressive Stimmung geherrscht hätte."

"Schon heavy"

Die Aussage Broukals, es sei unbenommen, den Nationalsozialisten nachzutrauern, sei damit freilich "schon heavy" gewesen. Der Abgeordnete habe sich dann noch dazu "in unzureichender Weise" entschuldigt, wichtig sei am Freitag aber gewesen, dass die Präsidiale die Äußerungen einstimmig verurteilt habe.

Gegen "Faschismuskeule"

Am Montag habe Gusenbauer aber dann "plötzlich geschwenkt" und noch nachgelegt. Schüssel wies darauf hin, dass der SPÖ-Vorsitzende sich seiner Aussage wohl bewusst gewesen sei: "Jetzt kenne ich ja Alfred Gusenbauer recht gut und weiß, dass er ein kluger und gebildeter Mann ist." Er forderte den SPÖ-Vorsitzenden auf, seinen Vergleich zurückzunehmen. Außerdem müsste man zu einer "Abrüstung der Worte" kommen und aufhören, Vorwürfe wie "Kommunist" oder "Nazi" zu erheben und die "Faschismuskeule" zu schwingen.

Für Gorbach gibt es seit Montag neben dem Fall Broukal auch einen Fall Gusenbauer. Dieser habe einen inhaltlich unrichtigen Vergleich gewählt, sei sich seiner Diktion "sehr bewusst" gewesen. Es gebe "einiges aufzuarbeiten" und er hoffe, dass dies auch mit der nötigen Konsequenz geschehen werde.

Keine Rücktritts-Aufforderung

Einen Rücktritt Gusenbauers forderten Schüssel und Gorbach nicht. Der Vizekanzler meinte auf eine entsprechende Frage: "Die Betroffenen sollen einmal überlegen, was sie gesagt haben". Die Bevölkerung werde das dann zu beurteilen wissen. In Sachen Broukal ist für Gorbach freilich klar: "Ich glaube, dass eine derartige Entgleisung nicht wirklich entschuldbar ist." Er sei am Freitag äußerst "bestürzt" gewesen.

ÖVP-Klubchef Wilhelm Molterer fordert in der Debatte um die Aussagen des Abgeordneten Josef Broukal und des Parteivorsitzenden Alfred Gusenbauer nun indirekt den Rücktritt des SPÖ-Chefs. Die Aussagen Broukals und Gusenbauers stünden auf der selben Ebene. "Und beide sind daher von ihrem persönlichen Anstand, von dem ich annehme, dass sie ihn haben, eigentlich sozusagen zu diesem Schritt verpflichtet", forderte Molterer vor dem Ministerrat.

Ausdrücklich betonte Molterer freilich, dass es keine rechtliche Handhabe gäbe. Dies sei auch gut so. Er könne daher nur an die politische Verantwortung appellieren: "Mehr kann ich nicht. Mehr will ich auch nicht. Weil alles andere wäre demokratiepolitisch absolut abträglich."

Spitze?

Ähnlich auch die Antwort Molterers auf die Frage, ob Gusenbauer weiter an der Spitze der SPÖ stehen sollte: "Es hat die SPÖ zu verantworten, wer an ihrer Spitze steht." Letztlich entscheide der Wähler.

Verwundert über Gusenbauer ist Molterer aber doch: "Ich versteh's einfach nicht." Gusenbauer habe den Sitzungsverlauf verdreht und dann die Flucht nach vorne angetreten, das sei "eines Parteiobmannes nicht würdig".

Umso mehr sei er "persönlich getroffen", weil er Gusenbauer als jemanden schätze, der die Geschichte kenne. Es sei "jenseits von gut und böse", wenn Gusenbauer angesichts der Parlamentsdebatte von "Pogromstimmung" spreche.

Rauch-Kallat erschüttert

Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (V) findet die Aussagen Gusenbauers "erschütternd". Die Debatte im Nationalrat sei vor den Aussagen Broukals sehr ruhig verlaufen: "Es war absolut keine Aufregung. Aber selbst eine Aufregung entschuldigt eine derartige Bewertung nicht." Gusenbauer sollte sich für seine Aussagen entschuldigen. "Ich denke, dass jeder Abgeordnete die Pflicht hat, genau zu überlegen, was er sagt", meinte Rauch-Kallat und: "Ich möcht' ja nur wissen, wie groß die Aufregung wäre, hätte das irgendjemand anderes gesagt. "

Pröll: "Entbehrlich"

Für Umweltminister Josef Pröll (V) ist die gesamte Debatte "entbehrlich", welche der beiden Aussagen der SPÖ-Abgeordneten schlimmer sei, wolle er nicht bewerten. Einen Rücktritt Gusenbauers forderte er nicht: "Die Österreicher werden sich ausgiebig selbst ein Bild machen können", meinte er. Von Broukal fühle er sich "persönlich beleidigt". An alle Parteien richtete er Kritik wegen des Ziels im EU-Wahlkampf. Er sei als junger Minister von der Idee Europa fasziniert. Diese Faszination gehe angesichts der Wahlkampfführung aber verloren.

Haupt: "Lernen Sie endlich Geschichte"

"Lernen Sie endlich Geschichte", fordert ihn der freiheitliche Bundesparteiobmann Herbert Haupt auf. Die Bezeichnung "Pogrom-Stimmung" sei ein "unverzeihlicher Schlag ins Gesicht aller jener Menschen, die Pogrome und ethnischen Terror überlebt haben, und eine Beleidigung für all die Hinterbliebenen von Pogrom-Opfern". ÖAAB-Generalsekretär Werner Amon fordert eine öffentliche Entschuldigung Gusenbauers.

Haupt erinntert sich

Haupt erinnert sich anders: "Ich war selbst bei der Plenarsitzung anwesend und habe den Sitzungsverlauf - bis zur unverzeihlichen Entgleisung Broukals - als vollkommen normal und dem Hohen Haus würdig empfunden. Ich bin daher über die Aussage Gusenbauers menschlich erschüttert", so Haupt in einer Aussendung am Dienstag. Der einzige, der mit Broukal unmittelbar vor diesem unglaublichen Auftritt gesprochen habe, sei SPÖ-Klubobmann Josef Cap gewesen. Haupt weiter: "Ich glaube, dass dahinter mittlerweile System steckt. Langsam gewinnt man den Eindruck, dass genau durch solche Aussagen die internationale Vernaderungskampagne gegen Österreich - kurz vor einer wichtigen Wahl - ihre Fortsetzung finden soll und weiter geschürt wird."

Auch Amon berichtet von seinen Wahrnehmungen im Hohen Haus während der Sitzung. Er war Broukals Vorredner: "Es war eine sehr sachliche Diskussion". "Nur weil die SPÖ scheinbar mit ihren sachlichen Argumenten am Ende war, ist es noch lange keine Entschuldigung, dass Broukal zu einer derartigen unangebrachten Wortwahl gegriffen hat". (APA)