Leo Gabriel leitet das Boltzmann-Institut für Lateinamerikaforschung.

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Leo Gabriel, EU-Spitzenkandidat der "Linken", glaubt an "eine andere Welt" und ein Europa, das sich der "Herrschaft der Konzerne" widersetzt. Rot-Blau in Kärnten habe "dem Fass den Boden ausgeschlagen", sagt Bundeskanzler Wolfgang Schüssels Studienkollege zu Lisa Nimmervoll.

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STANDARD: Sie waren Ihr halbes Leben in zivilgesellschaftlichen Formen politisch aktiv. 1968 in Paris, 25 Jahre in Lateinamerika, beim Weltsozialforum etc. Warum zieht es Sie jetzt in die politische "Kernzone"?

Gabriel: Die Dynamik geht von Europa und dem Europäischen Sozialforum aus. Motto: Eine andere Welt ist möglich. Jetzt geht es darum, wie wir es machen, dass diese andere Welt wirklich wird. Und da müssen wir ins politische Geschehen einsteigen. Die Zeit ist reif, eine neue Kraft zu bilden: die Europäische Linke.

STANDARD: Haben sich die NGOs an den Randzonen der Politik lang genug abgemüht?

Gabriel: Wir haben es geschafft, Alternativmodelle für viele Fragen (Neoliberalismus, Friedensstrategien, Arbeitslosenbewegung) zu erarbeiten. Aber die Sozialdemokratie ist in den 90er-Jahren sehr stark nach rechts abgedriftet. Blair, Schröder, und meine große Enttäuschung war Alfred Gusenbauer.

STANDARD: Kurzzeitig waren Sie ja auch SPÖ-Mitglied.

Gabriel: Mit Schwarz-Blau bin ich eingetreten. Mit Chianti bin ich ausgetreten. Rot-Blau in Kärnten hat dem Fass den Boden ausgeschlagen.

STANDARD: Gewinnen die Kategorien Links und Rechts in Zeiten der neuen Übersichtlichkeit, der Globalisierung und der Entideologisierung der Parteien wieder an Bedeutung?

Gabriel: Die Wasserscheide verläuft zwischen denen, die die neoliberale Form des Turbokapitalismus - Kurzformel: Herrschaft der Konzerne - vertreten und meinen, Europa müsste eine militärische Alternative zu den USA sein. Das sind für mich die Rechten. Die Linken sind die, die auf irgendeine Weise, ob von Menschenrechten, Ökologie, Finanzwirtschaft oder Entwicklungspolitik her, dem Ganzen kritisch gegenüberstehen.

STANDARD: Gibt es heute einen regierenden Politiker, den sie "links" nennen würden?

Gabriel: In Europa keinen.

STANDARD: Wie soll das Europa der "Linken" aussehen?

Gabriel: Unser Europa ist nicht so sehr territorial bestimmt. Es geht darum, Kultur nicht aus der Vergangenheit, sondern aus einer Zukunftsvision zu bestimmen. Aus meiner Erfahrung in Lateinamerika, im Nahen Osten, in Russland weiß ich, die hoffen wirklich, dass sich in Europa etwas bewegt, weil es ihr Rettungsanker ist.

STANDARD: Sie haben mit Kanzler Wolfgang Schüssel studiert. Haben Sie heute noch Kontakt?

Gabriel: Wir haben in der katholischen Hochschuljugend zusammengearbeitet. Ich war damals konservativ. Er war konservativ. Ich bin nach Paris gegangen. Er wurde ein Senkrechtstarter beim Wirtschaftsbund. Dadurch haben sich unsere Wege getrennt.

STANDARD: Was haben Sie gedacht, als er die Koalition mit der FPÖ schmiedete?

Gabriel: Ich hab' Wolfgang Schüssel immer als Spieler in Erinnerung, für den Politik ein Farbenspiel von verschiedenen Gruppierungen ist und dem eigentlich das Wichtigste die Personalpolitik ist, die er anscheinend sehr gut versteht, weil er sich immer an die erste Stelle katapultiert.

STANDARD: Welche Rolle spielt der Ahnvater der Linken, Karl Marx, für Ihr Engagement?

Gabriel: Ich bin jemand, der mehr aus der christlichen Motivation her agiert. Ich komme aus keiner marxistisch-leninistischen Motivation. Das hat mit Lateinamerika zu tun. Es hat einen Bezug zu einem radikalchristlichen Verständnis von Veränderung.

STANDARD: Welcher Slogan würde den Neopolitiker Leo Gabriel am besten treffen?

Gabriel: Mein Leitspruch kommt aus dem spanischen Bürgerkrieg: Der Weg wird durch das Gehen gemacht. (DER STANDARD, Printausgabe 1.6.2004)