Rechtsmedizinerin Prof. Edith Tutsch-Bauer im Seziersaal

GM-EDV Salzburg

Gebäude der Rechtsmedizin in Salzburg

GM-EDV Salzburg
Sie sind Vorständin der Rechtsmedizin in Salzburg. Warum sind Sie Rechtsmedizinerin geworden?

Tutsch-Bauer: Es war Zufall, dass ich meine Doktorarbeit in der Gerichtsmedizin gemacht habe. Ich arbeitete damals am Institut für Rechtsmedizin der Universität München, und mein Chef wollte eine zweite Frau am Haus haben. Das war 1978 völlig unüblich. Es gab nur wenige Frauen in diesem Bereich. Mittlerweile ist fast der gesamte Nachwuchs weiblich.

Was ist der Unterschied zwischen einem Rechtsmediziner und einem Pathologen?

Tutsch-Bauer: Rechtsmediziner und Pathologe sind zwei völlig getrennte Fachausbildungen. Die Pathologen arbeiten in den Krankenhäusern zur Feststellung, woran jemand verstorben ist.

Die Rechtsmedizin ist eine Fachausbildung, nach dem Medizinstudium. Wir untersuchen die nicht natürlichen Todesfälle, wo eine Gewalteinwirkung vorausgeht, Suizide, Verkehrsunfälle, Kunstfehlervorwürfe.

Beschreiben Sie einen typischen Arbeitstag?

Tutsch-Bauer: Den typischen Arbeitstag gibt es nicht, weil ich nicht weiß, wann jemand stirbt. Der Chirurg weiß ja auch nicht, wann das nächste Auto gegen einen Baum fährt. Ich habe in meiner Berufslaufbahn in etwa 40.000 Opfer gesehen. Ich arbeite aber auch für die Lebenden und verfasse viele Gutachten.

In den TV-Serien sehen wir täglich "Pathologen" bei der Arbeit. Wie sehen Sie diese "Kollegen"?

Tutsch-Bauer: In jeder dieser Serien kommt der Pathologe vor. Das ist falsch. Dort sollten keine Pathologen vorkommen, weil diese ja keine gerichtsmedizinischen Obduktionen machen. Diese Serien sind grottenschlecht. Oft einmal habe ich mir überlegt, ob ich nicht den Produzenten schreiben soll.

In den TV-Serien werden die Rechtsmediziner an den Tatort gerufen und sagen den Kriminalbeamten nichts über die mögliche Todesursache? Ist das auch bei Ihnen so?

Tutsch-Bauer: Wenn ein Opfer mit 35 Messerstichen am Boden liegt, dann ist es naheliegend, dass die Todesursache Verbluten ist. Es sind aber meistens komische Todesursachen, und dann kann ich am Tatort nichts aussagen. Am Tatort soll sich der Rechtsmediziner wirklich zurückhalten. Konkrete Aussagen kann ich erst nach der Sektion machen.

Wer ist der Chef am Tatort?

Tutsch-Bauer: Am Tatort sind die Kriminalisten die Herren des Geschehens. Aber in dem Moment, in dem das Opfer bei mir in der Gerichtsmedizin ist, bin ich die Herrin. Von der Gendarmerie und der Polizei werde ich aber klaglos akzeptiert. Es gibt absolut keine Probleme. Rechtsmediziner und Ermittler sind aufeinander angewiesen. Wir bekommen nur dann vernünftige Ergebnisse, wenn wir vertrauensvoll zusammenarbeiten.

Warum müssen Sie zum Tatort kommen?

Tutsch-Bauer: Ich gehe an einen Tatort, um einen Überblick zu bekommen. Weil es dann im Seziersaal leichter ist, wenn ich einen Vorort-Eindruck habe.

Der Kriminalist hat sein kriminalistisches Auge, und ich habe mein medizinisches Auge. Bemerke ich bei einem Opfer am Unterarm eine rillenförmige Einsenkung, und sehe ich am Tatort eine Kante, an der das Opfer aufgelegen war, dann ist mir das vorstellbar. Mir fallen völlig andere Dinge auf als den Kriminalisten.

Manchmal mache ich an Tatorten eine Spurensicherung. Einmal hatte das Opfer Bissspuren. Sofort wurde eine DNA-Probe vom Speichel auf der Bissstelle genommen. Dabei müssen auch die Rechtsmediziner Acht geben, dass sie keine Spuren verwischen.

In den TV-Serien stellen die Rechtsmediziner selbst Nachforschungen an. Machen auch Sie Alleingänge?

Tutsch-Bauer: Das ist so ein Schwachsinn. Rechtsmediziner müssen genau wissen, wo ihr Fachbereich endet. Ich kann den Ermittlern nur Anregungen und Hinweise geben.

Sind die erhebenden Kriminalbeamten bei den Obduktionen anwesend?

Tutsch-Bauer: Ich will ganz grundsätzlich, dass die Kriminalbeamten bei der Obduktion dabei sind. Es gibt in Salzburg eine Abteilung der Gendarmerie, die alle ungeklärten Todesfälle bearbeitet. Das sind die Beamten, die ich kenne, und mit denen ich am Tatort zusammentreffe.

Während der Obduktion kann ich dann Erklärungen abgeben, wie sich ein Fall verhält. So hat eine Frau, die im Wasser ertrunken ist, keine Verletzungen und keine Abschürfungen. Es sei denn, sie wird über ein Wehr gespült. Wenn es sich um einen unklaren Fall handelt, rege ich weitere Ermittlungen in eine bestimmte Richtung an.

Täglich werden Verbrechen mit Hilfe der DNA-Analyse aufgeklärt. Wie wichtig ist die DNA für die Rechtsmedizin?

Tutsch-Bauer: Für mich ist die DNA nur ein Mosaikstein in einer Beweismittelkette. Wenn ich unter den Fingernägeln einer Ermordeten, die erwürgt wurde, ein DNA-Profil eines Mannes finde, dann ist das ein unglaubliches Indiz. Wie stark so ein Indiz bewertet wird, muss ich den Gerichten überlassen.

Glauben Sie, dass es viele unentdeckte Verbrechen gibt?

Tutsch-Bauer: Das weiß ich einfach nicht. Den Dunkelziffern, die aus Deutschland herausgegeben werden, stehe ich eher skeptisch gegenüber.

Die Rechtsmediziner haben dann keine Chance, wenn vor Ort jemand einen natürlichen Tod bescheinigt. Österreich galt seit Maria Theresia als Land der Obduktionen. Das stimmt so nicht mehr. Die gerichtlichen Sektionen werden weniger, wahrscheinlich aus Kostengründen. Dadurch sind wir alle gefährdet, besonders alte Menschen, weil sie oft für die Angehörigen eine Belastung werden.

Gibt es das perfekte Verbrechen?

Tutsch-Bauer: Darüber können wir nicht reden, weil ich keine Nachahmungstäter haben will.

Was ist das Schöne an Ihrer Arbeit?

Tutsch-Bauer: Schön, ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Für mich ist es befriedigend und spannend, wenn ich weiß, wie etwas geschehen ist. Wenn ein Fall, von der Obduktion und den Zusatzuntersuchungen her sauber aufgeht, und ich ein lückenloses, abgerundetes Bild über eine Todesursache habe.

Die Gerichtsmediziner bewirken mit ihrer Arbeit viel Positives, indem Sie Gerechtigkeit schaffen für die Opfer und ihre Angehörigen. Für mich ist es wichtig, dass die Rechtsmedizin aus dem dunklen Schatten heraustritt. (kGru)