Leuchte "Flamp" von Martí Guixé

Foto: Imagekontainer

Projekt "Sponsored Food 1"

Foto: Imagekontainer

Sessel "Galeria H2O"

Foto: Imagekontainer

Camper-Shop in Madrid

Foto: Imagekontainer

Projekt "Do Frame"

Foto: Imagekontainer
Dass alles schon entworfen ist: ein Grundproblem zeitgenössischen Designs. Woraus die wahrscheinlich häufigste Frage an Designer entstand: Warum sie die Welt eigentlich um noch einen Stuhl / Tisch / Lampenschirm bereichert haben. Es ist nicht bekannt, ob jemand darauf je etwas Geistreiches geantwortet hat. Doch angesichts dieser Fragerei hat ein Freigeist unter den Designern mit dem Tabu gebrochen: Nein, es sei nicht sinnvoll, noch einen weiteren Stuhl zu entwerfen, meint Martí Guixé.

Denn: "Man kauft vielleicht zweimal in seinem Leben einen Stuhl, Essen konsumiert man hingegen dreimal täglich." Und das ist der Grund, warum Guixé, katalanischer Designer aus Barcelona, sich auf Food-Design spezialisiert hat. Auf diesem Feld kann sich der selbst erklärte Tapaist, Techno-Gastrosoph und Gestalter austummeln, seine Kollegen haben dieses weite Feld ja bislang unbestellt gelassen.

"Ich bin ein Produktdesigner, der Objekte hasst", provoziert Guixé fröhlich weiter, was nicht heißt, dass es überhaupt keine Produkte von ihm gibt, bloß eben keine überflüssigen Luxusgegenstände. Ohnehin ist der 40-Jährige nicht sonderlich an Möbeln und anderen typischen Gestalterobjekten interessiert: "Essen ist schließlich das Einzige, was zählt. Und als Exdesigner versuche ich, mit zeitgemäßen Parametern von Konsum zu arbeiten."

Zeitgemäß, das ist das entscheidende Stichwort für Guixés Schaffen. Für ihn ist unser Essen nostalgisch und kitschig, völlig unberührt von Modernität. So wirken etwa Pommes frites oder Chips, längst industriell hergestellt, weiter so, als seien sie handgemacht, und teure Restaurants investieren in zeitaufwändiges handwerkliches Kochgeschick - für Guixé das Gleiche, als würde man Bauten ohne moderne Maschinen errichten.

"Modernes Essen sollte ohne Teller und Besteck gegessen werden, dafür gut und natürlich schmecken und Spaß machen. Oder eine neue Erfahrung bringen", fordert Guixé. Wenn sich unsere Gewohnheiten ändern, müsse es auch das Essen. So sitzen wir oft gar nicht mehr am Tisch, sondern essen, während wir im Internet surfen . Ein Grund für Guixé, die "Techno Tapas" zu entwerfen: Sie sind angelehnt an die klassischen spanischen Häppchen, tropfen und fetten aber nicht und lassen sich bequem mit einer Hand essen - jeder Computernutzer mit Hang zu Fastfood dürfte auf diese Erfindung gewartet haben.

Voller Ideologie steckt Guixés "branded food", Lebensmittel, die mit dem Logo von Firmen wie Calvin Klein oder IBM verziert werden: Statt des üblichen "buy one, get one free" heißt es nun "to eat for free". Guixé orientierte sich bei diesem Entwurf an der Menschheitsgeschichte, genauer gesagt an der Altsteinzeit: Dort zogen die Menschen umher, jagten, aßen Früchte und waren vollkommen frei. Übertragen auf die heutige Zeit erhofft sich der Food-Designer nichts weniger als eine Revolution: "Menschen könnten reisen und leben, ohne zu arbeiten und ohne den Stress, sich Essen zu besorgen. Stattdessen würde sich jeder ganz auf seine eigenen Ideen konzentrieren."

Guixés subtiler und humorvoller Vorschlag, Werbung für ein Ziel zu benutzen, das sich wohl jeder, zumindest jeder nomadisch Veranlagte insgeheim wünscht, ist in der Wirtschaft noch nicht auf echtes Interesse gestoßen. Doch Guixé ist es gewohnt, mit seinen Ideen bei Herstellern vor allem Befremden hervorzurufen. Also schert er sich darum nicht und spielt weiter mit dem Essen. Heraus kommt dann beispielsweise der Einfall, Essen durch Luft zu ersetzen: Beim Pharma-Food werden Vitamine und Mineralien in Sauerstoff aufgelöst und in einer speziellen Bar wie ein Raumspray verteilt. Man isst, indem man atmet. Klingt wie eine Utopie?

Sauerstoff-Bars, Fit-Camp, Guixés Chupa-Chups-Lolli

Nun, immerhin gibt es hier und dort schon Sauerstoff-Bars, in denen der gestresste Großstädter auftankt. Warum also nicht das Ganze noch mit gesunden Inhaltsstoffen anreichern? Im Zuge der Fit-&-Wellness-Welle wäre das durchaus vorstellbar. Wie viele seiner Lösungen besticht auch Guixés Chupa-Chups-Lolli mit seiner durchdachten Einfachheit: Er steht nicht auf einem, sondern gleich drei Beinen - wer nicht weiterschlecken will, legt den Lutscher beiseite, ohne dass er schmutzig wird. Und für den Fall, dass er gar nicht aufgegessen wird, hat Guixé einen Orangensamen in den Lolli eingelegt: auf dass daraus ein neuer Orangenbaum entstehe.

Man mag Guixés Ideen albern finden oder exzentrisch, doch in ihnen allen steckt eine Idee, die sich mit einem handfesten Problem befasst. Probleme, die sicher nicht jedem bewusst sind, doch sonnenklar einleuchten, denkt man darüber nach. Bei all seinem Tun hat Guixé schließlich immer nur eins vor Augen, den Verbraucher: "Design ist meist mehr an Formen als an Menschen interessiert. Ich bin aber ein Problemlöser." Dabei fokussiert er sich ganz auf die Funktionalitäten von Design, versucht, die Form eines Objektes zu eliminieren und es als pure Funktion zu gestalten. Sein Tattoo für Touristen ist so ein Ding. Es soll nicht modisch sein, sondern praktisch: Statt sich als Reisender in fremden Städten mit lästigen Plänen herumzuschlagen, die man erfahrungsgemäß gerade dann wieder braucht, wenn sie gerade im Rucksack verstaut wurden, drucke man sich einfach eine abwaschbare Tätowierung mit beispielsweise dem U-Bahn-Plan auf die Hand. Eine simple Lösung für eine komplizierte Welt.

Firmen wie Authentics, Droog Design oder Camper lieben den anarchischen Humor von Guixé

Oder die Phosphor-Lampe "Flamp": Neben einem elektrischen Licht aufgestellt, lädt sie sich auf und leuchtet im Dunkeln gut 20 Minuten weiter. Erfunden hatte sie Guixé als Reaktion auf einen Stromausfall, der just dann eintrat, als er gerade neue Entwürfe vorstellte. Firmen wie Authentics, Droog Design oder Camper lieben den anarchischen Humor von Guixé, der für den mallorquinischen Schuhausrüster Camper (für den er weltweit Shops einrichtet) schon einmal ein Einkaufssackerln mit dem Spruch verzierte: "Wenn du es nicht brauchst, dann kaufe es nicht." Ein Badevorhang für die spanische Firma Cha-Cha trägt den Aufdruck "Badezimmerüberwachungssystem" - und hat ein Guckloch in der Mitte. Auf einem Handtuch hat Guixé in seiner für ihn typischen Bildsprache, die irgendwo zwischen schnell gezeichnetem Comic und Gebrauchsanleitung angesiedelt ist, verschiedene Liegeversionen von Sonnenanbetern abgebildet: "Die Art, wie man auf dem Handtuch liegt, drückt die politische Ideologie aus."

Selten ist Design so hintergründig-ironisch dahergekommen. Und selbst Tiere entkommen nicht seiner charmanten Ideenküche: Das Guixé-Aquarium präsentiert Fischen verschiedene Zonen: ein Frischluftareal - falls der Aquariumbesitzer Raucher ist. Ein Aquarium im Aquarium - damit Salzwasserfische Flusswasser testen können. Und, ganz zeitgemäß, eine Chillout-Ecke. Herkömmliche Aquarien, sagt Guixé, repräsentieren ein ideales Naturkonzept. Für ihn aber ist Natur das Ergebnis von Eingriffen des Menschen, also etwas Künstliches. Unter diesem Blickwinkel versteht sich auch sein Zukunftsaquarium. Mit dem entsprechenden Augenzwinkern. (DERSTANDARD/rondo/Mareike Müller/21/05/04)