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Ein Teil der INRI-Arbeit von Bettina Rheims: Leben Jesu in der heutigen Zeit, zu sehen 2000 in der Sammlung Essl. Kommenden Jänner wird ihre Retrospektive in Wien zu sehen sein.
Foto: APA

Selbst blutbefleckt sind sie noch makellos schön. Die Haut schimmert, der Teint leuchtet und beinahe glaubt man, jede Pore einzeln zu sehen. "Repulsion", Abscheu, hat eines der Models mit einem Lippenstift auf den Badezimmerspiegel geschrieben. Jetzt steht es da, mit geknickten Hüften, einem herabhängendem Träger und einem Rasiermesser in der Hand und auf dem Boden sind einige roten Flecken zu sehen. Doch Abscheu ist das Letzte, was die betrachterin/den Betrachter der Bettina-Rheims-Fotografien überkommt.

"Female Trouble"

"More Trouble" nennt die 1952 geborene französische Starfotografin ihren dieser Tage erscheinenden Bildband, der ihre Frauenbildnisse der vergangenen Dekade bündelt. "Female Trouble" hieß das vor 13 Jahren erschienene Vorläufer-Kompendium, und obwohl jetzt auch einige wenige Männer dabei sind, würde auch diesmal dieser Titel gut passen. Unbehagen löst nämlich beinahe jede einzelne der Fotografien der Bettina Rheims aus.

Eine Erotik, die manchmal nur knapp an Pornographie vorbeischrammt, Schönheit, die auch schlecht rasierte Achselhöhlen zulässt, Frauenbildnisse, die manch einem wie Männerfantasien erscheinen: Es ist das Unreine im Perfekten, das Bettina Rheims in ihrer bereits 25-jährigen Karriere mit ihren Kunst- wie Werbefotografien wie besessen verfolgt, der Punkt, an dem der Glamour wie eingefroren wirkt und zu einem Sinnbild einer schönen, teuren Welt wird. "Ich fotografiere keine Körper, ich fotografiere die Seele", hatte einem die Fotografin noch am Telefon mitgeteilt, doch es sind dann doch die weiblichen Körper, die in der Kälte ihrer Posen zu einem sprechen. Und dabei vielleicht auch ein Glitzern ihrer Seele offenbaren.

Ausgestelltes Fleisch

Etwa jene zwei Pornodarstellerinnen, die Rheims in ihrer "Morceaux choisis"-Serie aus dem Jahre 2001 "bei der Arbeit" porträtierte und denen man im zweiten Rheims-Band dieses Frühjahrs, in "Retrospective", begegnet. Ausgestelltes Fleisch, so nah, dass es unweigerlich in weite Ferne rutscht, herangezoomte Lust, bei der eher der weiße Flauschteppich als die vielen Körperöffnungen hängen bleiben. Oder Josie aus der Transsexuellenserie "Modern Lovers": Eine tiefe Traurigkeit umweht die Schöne, und das Wissen, dass dieser Körper teuer erkauft wurde.

Kontrovers

Auch "Retrospective" versammelt vorwiegend Frauen. Die Ausnahmen, die Serie ausgestopfter Tiere Anfang der Achtziger und die berühmte INRI-Reihe, die die Leidensgeschichte Jesu in die Gegenwart versetzte und bei ihrem Erscheinen, Ende der Neunziger, eine große Debatte auslöste, verdeutlichen das nur umso mehr. "Manche meinen, ich fotografiere Frauen, weil ich Frauen liebe. Ich selbst glaube, dass ich Frauen fotografiere, weil ich Männer liebe."

Geschichte der scheinabren Makellosigkeit

Es ist eine Art der Distanzsuche, die Rheims hinter ihrem Apparat betreibt, bei aller Nähe, die sie zu den Porträtierten aufbaut. Ein Rest (inszenierter) Irritation bleibt in ihren Bildnissen immer, der Po der Sibyl Buck, der sich in die Höhe streckt, die Knie der Marianne Faithfull, die auf der Toilette thronen. "Es ist der Moment des Verharrens, der die Bilder verstörend und zum Teil Furcht erregend werden lässt", schrieb Ulf Poschardt einmal über die Modebilder des Glamour. Bewegung kommt in den Fotografien der Bettina Rheims nur selten vor, es sind vielmehr Mises-en-scène, die weniger zitieren als für sich selbst sprechen. Nicht wenige Bilder wirken denn gerade in ihrer aufwändig hergestellten Geheimnislosigkeit wie farbenfrohe Metaphern, denen ihr Verweischarakter verloren gegangen ist. Die Traurigkeit über diesen Verlust liefern die Bilder gleich mit, und das hebt sie auch auf eine andere Ebene als jene des Helmut Newton, mit dem Rheims des Öfteren verglichen wird. Die oftmals zelebrierte Nacktheit der Models hat nichts von einem Panzer wie jene auf den Bildnissen des älteren Kollegen. Nacktheit inszeniert Bettina Rheims als eine zweite Haut, die bei all der scheinbaren Makellosigkeit ihre jeweils eigene Geschichte erzählt.

Vielleicht gehören gerade deswegen auch jene Amateurinnen aus der Serie "Chambre Close", die Rheims bat, sich in einem Hotelzimmer in einer erotischen Selbstdarstellung zu zelebrieren, noch immer zu den Highlights in ihrem Werk. So authentisch intim wirken später nur mehr wenige Frauen.

Die Bildbände "Retrospective" und "More Trouble" sind im Verlag Schirmer/Mosel erschienen und kosten 39,80 bzw. 68 Euro. "Retrospective" wird ab kommendem Jänner auch im Wiener Kunsthaus als Ausstellung zu sehen sein. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 14.5. 2004)