Helge Sobik

Paradoxe Welt: In Los Angeles werden jeden Tag so viele TV-Shows aufgezeichnet, daß das Publikum knapp ist. Im Stadtteil Burbank trifft man zur selben Zeit Klingonen in den Cafes - Enterprise-Drehpause in den benachbarten Studios. Und in Venice Beach kann man sich gegen drei Dollar Gebühr im Alien-Kostüm unter Palmen fürs Urlaubsalbum ablichten lassen. Verrückter Alltag in Kalifornien, abgedrehte Wirklichkeit zwischen Pazifikstränden und St. Andreas-Spalte. Los Angeles ist vielschichtig, vielseitig und mehr als auf den 15 Meter hohen, weißen Hollywood-Schriftzug an den Hügeln zu reduzieren.

Heute leben im Ballungsraum L.A. neun Millionen Menschen. Schwer, ein Zentrum zu definieren. Los Angeles ist eine riesige Ansammlung von Städten, die nahtlos ineinander übergehen und von dutzendspurigen Stadtautobahnen wie Klammern zusammengehalten werden. Auf jenen Freeways herrscht Dauerstau. Arbeitgeber Nummer eins und zugleich umsatzstärkster Unternehmenszweig in der kalifornischen Mega-Stadt sind Versicherungen. Die Entertainment-Industrie nimmt Platz fünf in der Skala der wichtigsten Geschäftszweige in Los Angeles, dafür Platz eins im weltweiten Interesse. Und obendrein Hauptgrund, hier ein paar Urlaubstage lang Station zu machen: unterwegs in der Welthauptstadt der Stars und Sternchen, Verrücktheiten- Parade in Los Angeles.

Einen Urlaub lang ins Irrenhaus - und am liebsten möchte man sich hinterher auf Dauer dort einweisen lassen und den Rest des Lebens Ausschau nach Stars halten. Shopping-Begegnung mit Demi Moore am Rodeo Drive, Zufalls-Frühstück mit Schwarzenegger in dessen Lokal "Schatzi's on Main", Überraschungs-Drink mit Richard Gere in der Bar des eleganten "Regent Beverly Wilshire"-Hotels, das Namen und Kulisse für "Pretty Woman" hergab. Sogar ein Restaurant im U-Boot-Design gibt es in Los Angeles. Der Name: "Dive". Der Besitzer: Regisseur Steven Spielberg. Und sogar der Weltuntergang als Party-Gag ist möglich - jeden Abend beim vorgetäuschten Erdbeben im Restaurant "Epicentre" in Downtown. Statt Nachtisch heißt dort der letzte Gang auf der Speisekarte "Aftershock". Höhere Star-Quoten allerdings weist das "Chasen's" in Beverly Hills auf. Einziges Problem: Man muß jemanden kennen, der einen kennt, der wiederum einen kennt, um einen Tisch zu bekommen. Der Laden ist normalerweise auf Wochen im voraus ausgebucht.

Und weil im Film alles Trick und Maske ist, schielt auch das wirkliche Leben auf perfekte Kulissen. Ein Hotel in der "Stadt der Engel" ist inzwischen auf die fürsorgliche Nachbehandlung von Schönheitsoperierten spezialisiert und hat eine ganze Zimmerflucht speziell für die Bedürfnisse von Kunden dieses boomenden Wirtschaftszweigs hergerichtet.

Finanziell noch in den Kinderschuhen stecken dagegen im direkten Vergleich die Akupunkteure und Masseure auf der Promenade von Venice Beach, die sich unter freiem Himmel aufgebaut und mitten im Gewühl der Sonnenhungrigen ihre lakenbezogenen Streckbänke ausgeklappt haben. Wer mag, kann es sich dort vor aller Augen gemütlich machen und den verzogenen Rücken fachgerecht von tätowierten Händen für fünf Dollars massieren lassen.

Hochbezahlte Ingenieur-Büros sind in dieser Stadt mit nichts anderem beschäftigt als neue, immer verrücktere Fahrattraktionen für Freizeitparks zu entwickeln: simulierte Raumflüge zum Planeten Endor für "Disneyland" im nur wenige Kilometer entfernten Anaheim, Wildwasser-Action im Jurassic Park-Saurierland für die "Universal Studios", wenig magenschonende Loopingbahnen mit Extraschleife als besonderer Kitzel für die körpereigene Peristaltik.

Auf das Geschick seiner Hände statt auf Hightech setzt dagegen ein Lebenskünstler am Strand von Santa Monica. Er baut Sandburgen der Extraklasse. Wer sie fotografieren will, zahlt einen Dollar, mit Künstler zwei. Die Werke haben Bestand, obwohl sie weder erdbebensicher noch wasserfest sind, denn es regnet selten in L.A. - fast ganzjährig im Schnitt über 20 Grad Tagestemperatur, fast immer blauer Himmel. An diesem Morgen malt obendrein ein Flugzeug Herzen ans stahlblaue Firmament - völlig gebührenfrei, einfach aus Spaß. Wer trotz längerem L.A.-Aufenthalt keinen Star in freier Wildbahn getroffen hat und nicht ohne Handschlag mit einer Hollywood-Größe abreisen will, kann sich den Traum über Spezialagenturen verwirklichen lassen.

Bezeichnender Name des Marktführers: "Dreams come true". Dabei gilt die Faustregel: je billiger desto abgehalfterter der Star. Und normalerweise ist der Spaß teuer. Auch vor der Realisierung von Sonderwünschen wird nicht Halt gemacht. Der bislang teuerste war die perfekt arrangierte Sprengung eines Hauses, bei der der Kunde die entscheidende Taste drücken durfte. Wenn Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist, dann muß Los Angeles seine Hauptstadt sein. Und das Schönste an diesem größten und sympathischsten Irrenhaus der Welt ist, daß sich jeder selbst einweisen und jederzeit wieder gehen kann, wann immer er will.

© DER STANDARD, 27. / 28. Februar 1999 Automatically processed by COMLAB NewsBench