Man darf leider nicht von einem Meilenstein in der Karriere des US-Superstars Brad Pitt sprechen: Als Achilles ist er in "Troja" ein denkbar dumpfer Blondschopf, Muskelprotz und Killer.

Foto: Warner Bros

Man stelle sich vor, es ist (Trojanischer) Krieg, und das Tragische daran ist: Auf beiden Seiten kämpfen eigentlich nette Leute. Der deutsche Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen ("Das Boot") gewinnt dieser etwas naiven Vision einiges an unfreiwilliger Komik ab.

Wien – Für Amüsement sorgt dieser Tage der deutsche Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen, wenn er Interviews zu seinem jüngsten, etwa 200 Millionen Dollar teuren Kinospektakel "Troja" gibt: "Sogar einige Studiobosse haben geweint, als sie den Film zum ersten Mal gesehen haben", erzählte er etwa dem "Spiegel".

Oder: "Unser Alltag in den so genannten westlichen Ländern ist relativ langweilig, es passiert nicht viel, die Welt ist grau, unübersichtlich und kompromissbereit. Das weckt sicher bei vielen Zusehern die Sehnsucht nach Werten wie Ehre und Tapferkeit ...", wie auch vermutlich nach einem Kino, in dem etwas passiert. Kompromisslos bunt und übersichtlich.

Vermutlich sollen deshalb die Menschen jetzt zu Hunderttausenden ins Kino strömen und "Troja" sehen. Auch wenn, so Petersen, "Troja" womöglich einen gigantischen Historikerstreit auslösen wird (am besten und profitabelsten wäre wohl eine Kontroverse wie jene rund um Mel Gibsons "Passion Christi!"), weil eben "damals" alles ganz anders war. Aber darauf – sorry, liebe Historiker! – konnte und wollte Wolfgang Petersen leider nicht eingehen: Für ihn ist der Trojanische Krieg inklusive Holzpferd nämlich eine durchaus moderne Geschichte. Hektor gegen Achilles etwa: "Wer mit der griechischen Sagenwelt nicht so vertraut ist: Es ist so ähnlich wie bei Batman gegen Superman."

Kunsthaare now!

Genug zitiert – auch wenn das Ringen um attraktive Wortspenden entschieden unterhaltsamer ist als geschlagene 165 Minuten "Troja", in denen selbst versiertere Schauspieler wie Peter O'Toole (als Priamos), Brad Pitt (als Achilles) oder Sean Bean (als Odysseus) bevorzugt unter drei Faktoren leiden:

Erstens erstaunen da unfassbar grauenhafte künstliche Haarteile; zweitens verstören Dialoge, die selbst mit kultiviertem britischem Akzent nicht mehr zu retten sind; und drittens spielten wohl alle Anwesenden buchstäblich ins Leere, weil jeder größere Bildausschnitt derart mit Computereffekten voll gepixelt ist, dass man irgendwann einmal den Eindruck gewinnt, Troja dürfte vermutlich am ehesten durch einen Festplattenabsturz oder einen Computervirus gelöscht worden sein.

Kurz: Übelstes Sandalen-Trash-Kino der Marke "Sandokan", aufgemotzt um sämtliche zweifelhafte Meriten der digitalen Special-Effects-Ära. Wenn hier Galeeren Kurs auf Troja nehmen, dann wimmelt irgendwann einmal das ganze Mittelmeer voll künstlich vervielfältigter Schiffsbuge und geblähter Segel. Wenn Armeen losmarschieren, dann fliegt die Kamera darüber hinweg, als gebe es Hubschrauber nicht erst seit dem vergangenen Jahrhundert. Und wenn Pfeilregen auf wackere Soldaten niedergehen, dann fliegt die Kamera selbstverständlich auch mit diesen Pfeilen mit, weil: Bitte, hier wird wirklich etwas Unvergessliches geboten. Hier ist ein Kino, das etwas kann.

Und weil so ein Kino noch viel viel mehr können muss als zum Beispiel Ridley Scotts oscarprämierter "Gladiator", ist es wahrscheinlich kein Wunder, dass es sich bei aller Konzentration auf Steigerungen (strahlendere Rüstungen, lockigere Haare, strammere Waden) ergeht, und dabei auf das Wichtigste völlig "vergisst": aufs Erzählen.

Schumacher, antik

Brad Pitt zum Beispiel führt, merkwürdig lächerlich hochtrainiert, fast paradigmatisch vor, wie "Troja" sich zu seinem Sujet verhält: Zuerst setzt er, humorlos und professionell wie sonst nur Michael Schumacher, einen Helm auf. Dann greift er zu Kurzschwert und Speer. Dann rennt er wie eine Maschine auf den Gegner zu. Und dann sticht er den Gegner (manchmal ist der tätowiert und sagt etwas wie "Huga huga") einfach ab.

Man muss gar nicht Homers "Ilias" (von der die Autoren maximal eine Kurzsynopsis studiert haben dürften) zum Vergleich heranziehen, um das Manko von "Troja" zu verdeutlichen. Dieses Manko ist der Slogan: Nur die Liebe zählt.

Also: Paris liebt Helena. Hektor liebt seinen Bruder Paris. Sein Vater Priamos liebt wiederum seine Buben. Das ist der Anfang vom Ende Trojas. Auf der Gegenseite wiederum: Agamemnon liebt sich selbst (und hasst Achill). Achill (im Englischen grölen sie seinen Namen, als wäre er "ä killa!") liebt sich selbst, seinen Cousin Patrokles und irgendwann einmal eine trojanische Priesterin. Odysseus liebt gute Ideen – und das besiegelt gewissermaßen das Ende vom Ende Trojas.

Dann fliegt die Kamera hoch, es wird gebrandschatzt, was das Zeug hält, und die mythische Flucht des Äneas wird ebenso zur Nebenepisode, wie spätere Verirrungen (die Odyssee) und familiäre Dramen (die Orestie) im Lager der Sieger einfach nicht mehr interessieren. Bei Petersen sticht Achill den verhassten Agamemnon einfach ab; nicht auszudenken, was dabei an folgenden Tragödien gelöscht wird – aber jetzt ist jetzt, und heute vergleichen US-Kinobesucher "Troja" bestenfalls mit Superman und Batman. Oder mit dem Irakkrieg.

Tatsächlich lässt der Film diesbezüglich wildeste Assoziationen durchaus wollüstig zu – der "Raub der Helena" als "9/11" der Antike! Oder: Agamemnon als Pionier des ungerecht-gerechten Invasionskriegs. Aber natürlich kann man das auch ganz anders verstehen, weil ja niemand im Ernst glaubt, dass gegenwärtig ein Millionenpublikum mit Kriegskritik unterhalten werden will. Und daher einigen sich Priamos und Achill irgendwann einmal darauf, dass beiden Seiten "Respekt" gebührt. Beide sind sich einig, dass in 3000 Jahren immer noch jedes Kind über sie reden wird. Es zahlt sich also alles für alle aus. Und das ist nur gerecht, denn, so Wolfgang Petersen: "Es wird zwar Krieg geführt, aber es kämpfen auf beiden Seiten nette Leute." Ein echter Glücksfall, oder? (DER STANDARD, Printausgabe, 11.5.2004)