"Ein Jahr ist es her, dass George W. Bush mit der ihm eigenen Arroganz das Ende aller größeren Kämpfe im Irak verkündete. Das Jubiläum liegt dem US-Präsidenten vermutlich schwer im Magen, denn ausgerechnet dieser Tage toben um die Städte Falluja und Najaf die heftigsten Gefechte seit der Besetzung Bagdads durch US-Truppen im April 2003. Doch während die amerikanischen Belagerer in ihren zensierten Frontmeldungen über eigene Opfer immerhin berichten, ist über die Lage in den eingeschlossenen Städten kaum etwas zu erfahren. Allein im sunnitischen Falluja leben 300.000 Menschen, und ihre Versorgung ist längst nicht mehr gewährleistet. Flüchtlinge berichten von katastrophalen Zuständen und zahlreichen zivilen Opfern infolge amerikanischer Bombenangriffe. Dennoch findet sich kaum ein europäischer Regierungspolitiker, der öffentlich protestiert - auch keiner von denen, die erst vor wenigen Tagen und völlig zu Recht Israel für die so genannte 'gezielte Tötung' des Hamas-Führers Rantisi verurteilten. Dabei ist das, was sich in Falluja abspielt, ein noch viel massiverer Völkerrechtsbruch. Laut Genfer Konvention und Haager Regeln dürfen Zivilisten niemals zum Ziel militärischer Angriffe werden. Und Aktionen von Besatzungstruppen sind auf den unmittelbaren Selbstschutz und den Schutz ihrer Einrichtungen zu beschränken. Vielerorts scheint in Vergessenheit geraten zu sein: Die Besetzung des Irak war eine Aggression und damit völkerrechtswidrig. Der Widerstand gegen die Besatzer mag zwar auch von politischen Finsterlingen instrumentalisiert werden - illegitim ist er deshalb nicht."
"Die Amerikaner sind in der Klemme: Die Stadt Falluja bekommen sie nicht unter Kontrolle. Täglich sterben Soldaten und Zivilisten. Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Die Sache zieht sich hin. Immer mehr Menschen sterben, Soldaten, Rebellen, Zivilisten. Allein im April sind 115 US-Soldaten im Irak getötet worden. Das sind genauso viele wie während des gesamten Krieges. Über die Zahl der getöteten Iraker gibt es nur Schätzungen. (...) Was tun? Je länger diese Frage unbeantwortet bleibt, desto offenkundiger wird das Dilemma. Sicher, die US-Regierung kann ihre seit langem angedrohte Großoffensive starten. Einen Vorgeschmack davon gibt es jetzt. Mit Kampfflugzeugen, Artillerie und Präzisionswaffen gingen die Marines gegen die Aufständischen vor. Viele Bewohner sympathisieren mit den Rebellen. Genau das macht die Lage prekär. (...) Eindringlich warnt der UN-Sondergesandte Lakhdar Brahimi vor einer weiteren Eskalation. Die Konsequenzen einer großen Konfrontation 'könnten dramatisch und lang anhaltend' sein. Eine militärische Lösung gebe es nicht. Doch worüber soll verhandelt werden? Die Aufständischen haben offenbar nur ein Ziel: Amerika soll zum Abzug gezwungen werden. Das Abgeben ihrer Waffen lehnen sie ab. Für sie ist Falluja zum Symbol des Widerstands geworden."