Wien – "Der Tod ist ein prozesshaftes Geschehen", sagt der Gerichtsmediziner. Bei "Mord" verstärkt sich dieser Eindruck. Für die Geschworenen wird der Geschäftsführer des Wiener Nobeljuweliers Haban sechs Jahre danach noch einmal erschossen – stundenlang, immer wieder, so langsam, dass kein Bild verloren geht: wie er über den Tisch springt, um zu flüchten; wie ihn der Räuber "am Krawattl" packt; wie er ihm die Waffe am Hinterkopf ansetzt und schießt. "Alles voller Blut", sagen die Zeugen. Einige weinen, alle waren oder sind noch in Behandlung.

Der Gutachter verweist auf die "massive Zerstörungskraft" der Waffe, eine gewaltige Magnum 357 (der dazu passende Laienrichter nickt beeindruckt). Todesursache war eine "grobschollige Zertrümmerung mit Aufreißung der Schädeldecke". Aber der Tod trat erst ein bis zwei Stunden später ein. Der Mann soll‑ noch die Hand der Rettungsärztin ergriffen und der Frau zweimal einen russisch klingenden Namen zugeflüstert haben. Kann das sein? – "Denkbar ist es", sagt der Mediziner. Er verweist auf "Selbstmörder, die sich ins Großhirn schießen und dann noch imstande sind, einen zweiten Schuss abzugeben". Aber eine Stunde später? – Ausschließen könne er nichts, sagt der Gutachter, wenngleich er einräumt: "Das Häufige ist häufig, das Seltene ist selten."

Zeuge nennt Täter

Äußerst selten bekommt ein in Italien rechtskräftig freigesprochener Italiener in Österreich noch eine zweite Chance, schuldig zu sein. Und doch ist ein kleiner, rundlicher Bolognese namens Massimiliano Franzoni neuerlich der Beihilfe zum Raubmord angeklagt. Das verdankt er seinem Landsmann Andrea Venturi, der nun als Kronzeuge aus Italien eingeflogen wird, was die strenge Polizeibewachung im Gericht gleich noch um einiges strenger aussehen lässt.

Venturi ist bekennender schwerer Räuber der Vergangenheit. Mindestens 30 Coups will er europaweit durchgezogen haben. Beim Juwelier Haban war er zufällig nicht dabei. Aber er kennt natürlich die Täter, und er nennt sie auch gerne. Einer, wenn auch nicht der Schütze, sei Franzoni gewesen. Dieser hätte ihm einen Tage später im Detail davon erzählt. "Er war sehr blass", erinnert sich Venturi.

"Haben Sie ein Interesse daran, alte Freunde einzutunken?", fragt der Richter. "Wirklich nicht", erwidert der Zeuge, "aber ich habe mein Leben geändert. Ich habe mein Gewissen erleichtert." Außerdem hat er Strafmilderung erhalten. Für einen Raubüberfall auf eine Wechselstube am Wiener Stephansplatz (im Juni 1998, zwei Monate nach dem Haban-Raub) gab es acht Jahre Haft. Die sitzt er in Ferrara ab. Seit einigen Monaten steht er allerdings nur noch unter Hausarrest, Vor- und Nachmittage kann er nach freiem Gutdünken gestalten. "Ich bin freiwillig hier her gekommen", verrät er dem Richter, "ich hätte auch zu Hause bleiben können." Die Einvernahme des Kronzeugen wird heute fortgesetzt.(Daniel Glattauer, Der Standard, Printausgabe, 27.04.2004)