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Stadträtin Pitermann weist jede politische Verantwortung von sich

Foto: Reuters/ Heinz-Peter Bader

Zur Auseinandersetzung um die medizinische Unterversorgung von Dialyse-Patienten in Wien: Wie führende Funktionäre des Gesundheitsbetriebs versuchen, Kritiker durch öffentliche Bestrafungspolitik mundtot zu machen. Eine Replik auf AKH-Primar Ernst Wolner.

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Erst die Missstände in Lainz, dann die Vorwürfe bezüglich Qualitätsmängel in der Kinderherzchirurgie im AKH und nun die Schicht nach Mitternacht zur Bewältigung der Engpässe bei der Blutwäsche - Berichte über skandalöse Zustände in wiener Spitälern und Pflegeheimen sind fast schon zur traurigen Routine geworden.

Noch trauriger aber ist die Routine, mit der die zuständige Stadträtin auf solche Vorkommnisse reagiert: Sie weist jede politische Verantwortung von sich und scheint hauptsächlich damit beschäftigt, sich selbst zu bemitleiden und ihre Kritiker zu diskreditieren.

Einblicke in Abgründe

Elisabeth Pittermann ist Ärztin und gut verankert im Beziehungsgeflecht der Wiener Spitalsärzte. Es finden sich daher auch regelmäßig Kollegen, die sich im Sinne der Gesundheitsstadträtin vehement zu Wort melden, wenn sie politisch wieder einmal unter Druck gerät.

Im Falle des Dialyseelends scheint diese Rolle Primar Ernst Wolner mit seinem Kommentar übernommen zu haben ("Wie man ein Problem skandalisiert ...", STANDARD, 16. 4.): Er verwendet nicht nur dieselben unpassenden Beispiele wie Frau Pittermann -"Auch Piloten arbeiten in der Nacht!" -, sondern gibt dem staunenden Publikum Einblick in die Abgründe seines Verständnisses von Kollegialität, wenn er den Nephrologen Dr. Thomas Meisl ("Die verlorene Ehre der Elisabeth Pittermann", STANDARD, 3. 4.), der immerhin die Dialyseabteilung im Wilhelminen-Spital aufgebaut hat, als "selbst ernannten Experten" heruntermacht, ungebeten als dessen Psychiater "schwerst frustrierter und narzisstisch gekränkter Arzt" diagnostisch dilettiert und schlussendlich seine Insiderrolle im Wiener Landessanitätsrat durch öffentliche Preisgabe der Entscheidungsvorgänge - "Es gab viel besser qualifizierte Bewerber um den Primararztposten!" - missbraucht.

Nachtdialyse international nicht üblich

Dumm gelaufen! Just auf der nämlichen Kommentar-Seite des STANDARD räumt die Gesellschaft für Nephrologie in einem Leserbrief ein, dass die Nachtdialyse international nicht üblich und im Sinne und zum Wohle der Patienten abzulehnen ist.

Handelt es sich für den Herzchirurgen Ernst Wolner auch bei diesen Nierenfachärzten, die seit Jahren ihre große Sorge um die Versorgungsmisere drängend ausdrücken, bloß um "hasserfüllte Kritiker", die "so genannte Skandale" aus "Ahnungslosigkeit" herbeireden?

Auch sein Vorschlag, die Dialysenot durch Privatisierung zu bewältigen, ist nur vermeintlich eine Lösung: Denn Wolner will, so seine Absicht, nur die unkomplizierten und "fitten" Patienten, die eine Behandlungsperspektive haben, privat versorgt sehen. Die mühsamen und aufwändigen Fälle, wie multimorbide, alte Patienten, bleiben dann den öffentlichen Spitälern, die überdies auch die Vorhalte- und Back up-Leistungen für die Allgemeinheit zur Verfügung stellen müssen.

Dienstschluss um 13 Uhr

Die Arbeitszeit der Wiener Spitalsärzte - Dienstschluss um 13 Uhr - käme zudem einem energiegeladenen Einsatz in den neuen ambulanten Dialysezentren und damit für den privaten Gewinn entgegen. "Denn", so Wolner "mehr Leistung bedeutet mehr Einkommen und wer ist schon der Feind seiner eigenen Brieftasche?"

Auch die Personalnot will Wolner durch ein Abwerben der raren Pflegekräfte aus den Spitälern beheben, so wie er sich auch die Finanzierung der ambulanten Dialyse durch eine Kürzung der Spitalbudgets sehr unkompliziert vorstellt. Damit böte die Erhaltung der politisch zu verantwortenden Versorgungskrise im öffentlichen Bereich einen massiven finanziellen Nutzen für einige Ärzte. Eine Gesundheitspolitik aber, die die Behandlung der unprofitablen chronischen Erkrankung zum öffentlichen Auftrag macht und den Profit aus einfachen Fällen aber privatisiert, wäre das Einfallstor in die Zwei-Klassen-Medizin.

Der Ersatz von Gesundheitspolitik durch Bestrafungspolitik, hat allerdings gravierende Folgen: die ungelösten Probleme häufen sich, weil die Gesundheitsstadträtin lieber ihre Kritiker dingfest machen will, statt im Gesundheitssystem eine längst überfällige Kultur der Fehlerbearbeitung zu etablieren und damit die Möglichkeit zur Qualitätsverbesserung aufzumachen.

Wer nicht nachgibt, kriegt Ärger

Im Falle des Buches "Weggelegt - Kinder ohne Medizin" agierte die Stadträtin nämlich offen parteilich und mit Wagenburgmentalität: Sie gab im Gesundheitsausschuss ausschließlich den Rechtfertigern aus den kritisierten Kinderabteilungen des AKH breiten Raum zur Selbstdarstellung. Die Kritiker hingegen waren nicht eingeladen. Zudem unterstellte Frau Pittermann den Autoren in der Sitzung unlautere Motive für ihre Publikation. Mittlerweile wurde der Herausgeber des Buches seitens des AKH Wien mit einer existenzgefährdenden Klage konfrontiert, obwohl der renommierte Bostoner Herzchirurg A. Castaneda, der die Vorwürfe im Rahmen einer internationalen Arbeitsgruppe untersucht hat, zu dem Besorgnis erregenden Schluss kommt, dass in der Kinderherzchirurgie in Österreich gravierende Mängel existieren.

Was lernt das Gesundheitspersonal, das unter den Zuständen leidet und seine Patienten mit einem veröffentlichten Aufschrei vor Schäden schützen will? Zumindest, dass sich warm anziehen muss, wer den Finger in die politischen Wunden der Gesundheitsstadträtin legt! Wer kritisiert, wie Dr. Meisl, sollte mit öffentlicher Diffamierung seiner Person rechnen. Wer nicht nachgibt und seine Vorwürfe mit Analysen untermauert, wie Dr. Waldhauser, braucht eine Rechtsschutzversicherung. Beide Ärzte haben, so lässt sich absehen, keine Chance auf eine weitere Karriere.

Mächtige Kollegen aus dem Gesundheitsbetrieb, die Pittermann bei der Abrechnung unterstützen, lassen sich nämlich immer finden. Die mediale Hinrichtung des Kritikers der Nachtdialyse durch Primar Wolner, der im Landessanitätsrat über Postenvergaben entscheidet, ist in diesem Lichte betrachtet, eine Botschaft an aufstrebende Ärzte, die keiner weiteren Interpretation bedarf!

Durchtauchen und weitermachen?

Es ist aber im Interesse der Patienten nicht länger zu dulden, dass die Boten für die Botschaft beschuldigt werden. Sollte sich nämlich herausstellen, dass Menschen sterben mussten, weil die Organisation als solche und nicht Einzelpersonen versagt haben, werden Rundumschläge gegen unbequeme Ärzte nichts mehr nützen. Die politische Verantwortung für fortwährendes Organisationsversagen ist endlich von Frau Stadträtin Pittermann, aber auch von den zuständigen Direktoren im Krankenanstaltenverbund und im AKH einzufordern.

Darüber hinaus habe ich beim Todesfall in der Dialyse zur Klärung einer allenfalls strafrechtlichen Dimension eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft eingebracht.

Mein Verdacht richtet sich nicht etwa gegen Schwestern oder Ärzte, die von der Arbeit in der vierten Schicht ausgepowert sind, sondern gegen diejenigen, die seit Jahren und wider besseres Wissen diese nächtliche Tortour von Personal und Patienten einfordern. (Sigrid Pilz*, DER STANDARD Printausgabe 23.4.2004)