Wien – Kein anderes Thema wurde im Wahlkampf so schamlos – und an Wahrheit und Realität vorbei – ausgebeutet wie "die Sanktionen": jene bilateralen diplomatischen Maßnahmen, die die vierzehn EU-Partner 2000 gegen die schwarz-blaue Regierung ausgerufen hatten.

Folgt man der ÖVP-Propaganda, dann hat Heinz Fischer "zu den Sanktionen, so wie die gesamte SPÖ, geschwiegen" (wie es in der "Entscheidungshilfe für eine Million Unentschlossene" aus der "Benita"-Kampfabteilung heißt. Das ist natürlich keineswegs wahr.

Denn die SPÖ-Führung unter Parteichef Alfred Gusenbauer hat an der Strafaktion der EU-Partnerländer gegen die Regierungsbeteiligung der vom französischen (und konservativen!) Staatspräsidenten Jacques Chirac als "extrem rechts" eingeschätzten FPÖ durchaus ihre Freude gehabt. Am leisesten war da noch der vorsichtig abwägende SP-Vize Fischer.

Dass er später europäische Spitzenpolitiker im Zuge der in Österreich von Schwarz-Blau heftig geschürten Hurra- Patriotismus/Anti-Auslands- Welle davor gewarnt hat, dass die Maßnahmen eher kontraproduktiv seien, nimmt man ihm ab. Aber die Behauptung, Fischer habe eine zentrale Rolle beim Strategiewechsel der EU-Partner gespielt, ist ebenso abenteuerlich wie die Erklärungen des Ferrero- Waldner-Lagers, die "Löwin" im Außenamt sei es gewesen, die "mit persönlichem Einsatz und mit Mut bewirkt" habe, "dass Österreich wieder als selbstverständliche Demokratie akzeptiert wurde".

Auf den Azoren

Richtig ist, dass die Außenministerin auf EU-Ebene tatsächlich enormen persönlichen Einsatz zeigte (wobei sie in Brüssel sogar Distanz zu Jörg Haider demonstrierte: "Der ist nur Kärntner Landeshauptmann, nehmen Sie ihn nicht so wichtig", erklärte sie der Weltpresse). Aber Ferrero- Waldner kann nicht für sich beanspruchen, dass sie die Aufhebung der "Sanktionen" auf den Weg brachte. Dieses Verdienst kommt historisch am ehesten dem luxemburgischen Premier Jean-Claude Juncker und Spaniens Expremier José María Aznar zu, die mit dänischen Konservativen und anderen beim Hardliner Chirac ein "Exit"-Szenario vorantrieben. Dieses wurde im März/April 2000 angedacht, in Stufen bis zum "Weisenbericht" umgesetzt – ohne Zustimmung Österreichs.

Die Mär, dass Ferrero-Waldner beim Außenministertreffen auf den Azoren "das Eis gebrochen" habe, geht auf ein Missverständnis zurück: Die Sympathie der EU-Ministerkollegen galt ihr persönlich, die stets sehr moderat formulierte, den Konsens suchte.

Sie musste damals das von der Wiener Regierung beschlossene 18-Punkte-Aktionsprogramm präsentieren, was wegen der darin enthaltenen, von der FPÖ verlangten Drohung mit einer österreichischen Anti-Sanktionen-Volksabstimmung von den Partnern sogar als Zumutung empfunden wurde. Aber der Zug Richtung Ausstieg war seitens der EU-14 schon im Anrollen. Das kam der überzeugten Europäerin Ferrero-Waldner zugute. Sogar SP-Chef Alfred Gusenbauer lobte damals ihren "sehr vernünftigen Kurs". (Thomas Mayer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.4.2004)