Iwan der Schreckliche belauscht seine sechste Frau im Schlaf, um sie der Untreue zu über-führen: Grigori Sedow, (1875).

Foto: Kunsthalle Krems

Krems – "Du sultanischer Teufelsschwanz, Bruder und Genosse des erbärmlichen Satans und des leibhaftigen Luzifers Sekretär!! Ei, was bist Du Hosentrompeter doch für ein trauriges Zwiebelchen! Was Beelzebub scheißt, das frisst Du samt Deinen Scharen!", schrieben die Saporosker Kosaken im Jahre 1675 an den türkischen Sultan Mehmed IV., nachdem der ihnen befohlen hatte, sich "freiwillig und ohne jeden Widerstand" zu ergeben.

Dem Maler und Zeichner Ilja Repin (1844-1930) fiel 1878 eine Abschrift dieses Briefes in die Hände. Angetan von der Kühnheit des Volkes ging er an ein monumentales Werk, um der Freiheitsliebe zu huldigen. Nach immerhin dreizehn Jahren hatte er eines der besten Historienbilder der russischen Kunst fertig gestellt. Virtuos in Komposition und penibel ausgearbeitet in den Details wird – selbst ohne Kenntnis der Geschichte – unmittelbar deutlich, worum es Repin ging: Um die Darstellung von Verachtung, die ungehemmte Freude am Verhöhnen selbst ernannter Obrigkeit und zugleich darum, ein Ideal von Freiheit und Brüderlichkeit zu stilisieren.

Ilja Repin sah die Saporosker als Volkshelden, eine beißende Kritik an den russischen Intellektuellen seiner Tage, die den Glauben ans Volk aufgegeben hatten. Der Historienmalerei im Zarenreich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ein Abschnitt der Schau Liebe, Tod, Leidenschaft gewidmet, mit der die Kunsthalle Krems ihren 2002 mit Russland – Repin und die Realisten initiierten Russland-Schwerpunkt fortführt.

Freie Künstler

Den Hauptteil der Ausstellung füllen Genreszenen. Nach dem oft krassen Realismus der Kunst der ersten Jahrhunderthälfte dominiert jetzt die "russische Seele". Den Wandel in den Darstellungskonventionen bedingte eine eindeutige Absage. Vierzehn Studenten der St. Petersburger Akademie baten deren Großen Rat, ihr Abschlussthema frei wählen zu dürfen oder aber als "freie Künstler" entlassen zu werden. Sie blieben "frei", gründeten eine Kommune, lebten im Kollektiv von Porträtaufträgen und schufen so die ideologische Basis für die folgende Peredwishniki-Bewegung.

Deren Mitglieder organisierte große Tourneeausstellungen innerhalb Russlands in der Absicht, das Volk aufzuklären, die bestehende russische "Weltordnung" auszuhebeln. (Von den etwa 60 Millionen Menschen, die Zar Nikolaus I. regierte, galten 48 Millionen als unfrei oder leibeigen, waren vor dem Gesetz somit rechtlos.)

Der Publizist Nikolai Tschernyschewski prägte in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts den Satz: "Das Schöne ist das Leben." Er gab damit die Welt des gemeinen Volkes, der Bürger und Kleinbürger als Bildthema frei, was sich zunächst in kritischen realistischen Darstellungen des Alltags äußerte, später – bei Iwan Kramskois oder Ilja Repin – zu einem verstärkten Interesse am Innen-, am Seelenleben der Dargestellten führte. Und zu Ironie sowie beißendem Spott. Der Leibeigenschaft der Bauern wurde die Korruption der Beamten entgegengestellt, der Armut und Chancenlosigkeit des Volkes das Lotterleben der Geistlichkeit. Der russische Alltag war voller Anlässe für herzzerreißende Bilder.

Da wurden potenzielle Bräute erniedrigend "beschaut" (Grigori Mjassojedow), überall standen Waisen an den Gräbern ihrer Eltern (Nikolai Kassatkin, Waisen geworden, 1891), es gab Streit beim Kartenspiel (Wladimir Makowski, 1889), da trafen sich die Generationen zur Suppe in der Volksküche (Wassili Nawosow, 1888) oder versanken die Bewohner auf Moskaus Straßen im Schlamm (Andrej Rjabuschkin, 1895).

Die 50 Werke zwischen 1850 und 1905 stammen alle aus dem Staatlichen Russischen Museum St. Petersburg. Und waren noch nie außerhalb des ehemaligen Eisernen Vorhangs zu sehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.4.2004)