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Vanunu nach seiner Freilassung

foto: reuters/elias
Tel Aviv/Aschkelon - Mit zehn Minuten Verspätung trat er, beide Arme zum Victory- Zeichen erhoben, aus einer kleinen blauen Tür in den Außenhof des Shikma-Gefängnisses von Ashkelon und vor Dutzende von Kameras. Nach 18 Jahren fast völliger Isolation konnte der schmächtige Mann mit dem weiß gewordenen Haarkranz dann einfach nicht genug davon bekommen, Fragen der Weltpresse zu beantworten.

„Stolz und glücklich“

„Ich bin stolz und glücklich über das, was ich getan habe“, sagte Mordechai Vanunu und wehrte sich immer wieder gegen die Versuche seines jüngeren Bruders Meir, ihn endlich behutsam ins Auto zu bugsieren. Auf der Straße vor dem Gefängnistor hatten schon seit Stunden mehr als hundert Atomwaffengegner aus verschiedenen Ländern gewartet, um Vanunu als „Held des Weltfriedens“ zu bejubeln und 18 weiße Tauben aufsteigen zu lassen. Unterdessen wetterten israelische Passanten über das „Spektakel“ für den „Verräter“. 1986 war der kleine Nuklerartechniker schlagartig berühmt geworden, nachdem er von einer blonden Geheimagentin mit dem Decknamen Cindy von London nach Rom gelockt und dann von Angehörigen des israelischen Geheimdienstes Mossad nach Israel entführt worden war.

Grund: Vanunu hatte der Londoner Zeitung Sunday Times sensationelle Fotos und Beschreibungen des Atomreaktors von Dimona und von mutmaßlichen Atomwaffen übergeben. Neun Jahre lang hatte der in Marokko geborene Vanunu in dem streng abgeschirmten Kernzentrum in der Negev- Wüste gearbeitet, eher er Israel verließ und in Australien der anglikanischen Kirche beitrat. „Es stimmt, dass er Staatsgeheimnisse verraten hat“, sagt Phil Budge, der eigens aus Sydney angereist ist, um Vanunu zu feiern. „Aber er hat es aus Sorge um die Welt getan.“ Seine Nachbarin, eine ältere Aktivistin aus dem amerikanischen Seattle, vergleicht Vanunu gar mit alttestametarischen Propheten. Chaim Ben-Arush, der in der Nähe arbeitet, schüttelt verbittert den Kopf: „Wir brauchen dieses Volksfest hier nicht. Dieser Mann sollte hinter Schloss und Riegel bleiben, bis er verrottet.“ Der Lenker eines Müllabfuhrwagens hält an, um aus Leibeskräften „Verräter“ zu brüllen. Vanunu würde jetzt gerne in die USA auswandern, eine Familie gründen und Geschichte studieren. Aber die volle Freiheit wird der inzwischen 50- jährige „Atomspion“ noch lange nicht bekommen. Vanunu habe ein phänomenales Gedächtnis, heißt es im israelischen Sicherheitsapparat: Erst vor kurzem habe er in seiner Gefängniszelle präzise Diagramme von Arbeitsabläufen im Reaktor von Dimona angefertigt. Er sei also immer noch eine Gefahr für die Staatssicherheit.

Kein Pass

Weil er nach wie vor entschlossen scheint, sein Spezialwissen auszuplaudern, haben die Behörden seine Bewegungs- und Redefreiheit fürs Erste drastisch eingeschränkt. Vanunu, der weiter israelischer Staatsbürger ist, bekommt keinen Reisepass, darf sich keinem Flughafen nähern, keine Kontakte mit Ausländern haben und nicht im Internet chatten. Freunde und Anhänger Vanunus meinen, er habe ja vor 18 Jahren schon alles erzählt. „Es gibt keine Geheimnisse mehr, alles wurde veröffentlicht“, versicherte Vanunu am Mittwoch nach seiner Haftentlassung. Er wolle aber weiterhin seine Meinung über Atomwaffen sagen. „Meine Botschaft lautet: Öffnet den Reaktor von Dimona zur Inspektion.“ (DER STANDARD, Printausgabe, 22. 4. 2004)