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Drei Verdächtige wurden in Italien freigesprochen. Einen von ihnen fing sich Wien noch einmal heraus und klagte ihn des Mordes an. Er bleibt dabei: "Ich habe nichts begangen."

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Wien - Der Prozess erweckt nicht leicht den Eindruck, dass er unbedingt sein hätte müssen. Aber aus dem Nichts heraus entwickelt Österreich manchmal einen erstaunlichen Ehrgeiz, der Schweizer Gründlichkeit und deutschen Ordnungssinn glatt hinter sich zu lassen scheint. Überhaupt wenn es gelten darf, mit allfälligen italienischen Schlampereien aufzuräumen, wie im vorliegenden Fall.

Da sitzt nun ein pausbackiger, rundbärtiger, bieder anmutender 33-jähriger Bolognese namens Massimiliano Franzoni, Mitarbeiter der Reinigungsfirma seiner Mutter, in der Anklagebank fern seiner Heimat. Und schon wieder sieht er sich in der Rolle des Beteiligten an der Ermordung eines Juwelier-Geschäftsführers am Wiener Graben. In Italien war er deswegen schon einmal zu 16 Jahren Haft verurteilt worden, ehe das Höchstgericht einen rechtskräftigen Freispruch fällte.

Aber, wie gesagt, das war in Italien. Da kann Verteidiger Richard Soyer noch so sehr beteuern: "Bologna ist die Wiege der europäischen Rechtsprechung. Bologna ist bitte nicht Palermo!". Aber Wien ist es auch wieder nicht. Deshalb sitzt neben der routinierten Klägerin gleich noch ein zweiter erfahrener Staatsanwalt. Gemeinsam sind sie mindestens 100 Prozent sicher, dass Franzoni beim Raub im Juweliergeschäft Haban am 9. Mai 1998 dabei war. In München entdeckte man ihn kürzlich wieder. Zum Glück war der heimische Haftbefehl über die Jahre wacker aufrechterhalten worden. Und italienische Verfahren gelten als besonders uninteressant, wenn Tat und Vorbereitung in Österreich stattfanden.

Unschuldsbeteuerung

Da der Angeklagte kein Wort Deutsch spricht, vermisst das Gericht schon nach wenigen Minuten die Dolmetscherin. Als die Vergessene dann doch noch einlangt, erfahren die Geschworenen endlich, was schon die Miene des Italieners verraten hatte: "Ich bin unschuldig. Ich habe nichts begangen. Diesen Prozess akzeptiere ich nicht."

Dessen ungeachtet erzählt die Staatsanwältin die große Kriminalgeschichte einer bolognesischen Schwerverbrecherbande, die mindestens 30 internationale Raubüberfälle auf Banken und Schmuckgeschäfte erfolgreich hinter sich gebracht haben soll, ehe sie ein Streifzug in die Wiener Innenstadt führte. Drei Italiener waren bei Haban, ließen sich Uhren zeigen, sattelten dann aber rasch auf Raub um. Der Geschäftsführer wollte flüchten, da fiel der tödliche Schuss. D'Ambrosio soll es gewesen sein. (Aber auch er wurde später in Bologna des Mordes freigesprochen.)

Woher die Staatsanwältin von den Tätern weiß? - Von einem gewissen Herrn Venturi, auch einer aus der Bande, aber etwas sanftmütiger und labiler als die anderen. Er war bei einem späteren Wiener Coup dabei gewesen. Da hatte man eine Wechselstube des Verkehrsbüros besucht. Bei der Flucht mit dem Motorrad kamen die Räuber, verfolgt von 400 Polizisten und Gendarmen, dann auch noch in ein böses Gewitter. Die Maschine rutschte weg. Venturi wurde zwar verletzt, aber vor allem auch verhaftet. Als Angeklagter war er später weich und wollte ein neues Leben beginnen. Deshalb erzählte er unter Tränen von all den Verbrechen seiner Freunde, darunter auch vom Mord bei Haban.

Beim Prozess in Italien hat man Kronzeugen Venturi nicht geglaubt. In Wien ist man auf seine neue Aussage (kommende Woche) gespannt, denn als für ihn schlechte Pointe war er nach seiner Beichte in Wien zu acht Jahren Haft verurteilt worden.

Beweisschwäche

Was den nun angeklagten Franzoni weiters belasten könnte: ein Phantombild, das ihm ähnlich sieht. Ein Geständnis vor einem heimischen Polizisten, welches er bald zutiefst bereut und zurückgezogen hatte. Ein schwarzer Handschuh mit gemischten DNA-Spuren, den sein Komplize verloren hatte. Und, da ist die Staatsanwältin äußerst mutig: "Wir wissen, dass er rund um die Tat irgendwann in Österreich war."

Das ist an sich auch das Argument der Verteidigung: "Es gibt keinen Beweis, dass er am 9. Mai in Wien war." Auch sonst sei das Verfahren ein Hohn, mein Anwalt Soyer. "Aber in Brüssel wird das ein Nachspiel haben", verspricht er. In Wien geht der Prozess heute weiter. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.4.2004)