Samir: Obwohl ich einer muslimischen Familie entstamme, haben die Figuren viele Analogien zu mir selbst: Sie sind in ihrer Jugend in eine fremde Kultur gekommen und mussten sich darin zurechtfinden. Die Frage war: Wie bildet man seinen Charakter in einer Gesellschaft aus, in die man hineingestoßen wird? Kommunistische irakische Juden erschienen mir dafür besonders interessant, weil in deren Leben vieles aufeinander trifft. Und es hat natürlich mehr politischen Zündstoff.
STANDARD: Eine Diaspora, der bisher wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde?
Samir: Ja, es gab da dieses CNN-Bild aus dem ersten Golfkrieg, wo man eine israelische Familie sieht, die vor einem Anschlag in Deckung geht. Das waren irakische Juden. Und ich dachte mir: Was für ein Paradoxon des 20. Jahrhunderts! Da flohen Menschen aus einem Land, für das sie sich sehr engagiert hatten, in ein Land, in das sie eigentlich nie gehen wollten - und am Ende ihres Lebens wurden sie von ihrem Herkunftsland attackiert. Der Schriftsteller Samir Naqqash sagt ja immer noch über Israel: Das ist nicht mein Land.
STANDARD: Weil er als orientalischer Jude in Israel Außenseiter blieb - vergleichbar Edward Said als Christ unter Arabern?
Samir: Das Interessante an Said ist, dass er als Christ mit der islamischen Kultur über die Sprache verbunden ist. Es gibt da auch einen sehr schönen Text von ihm über die arabische Sprache, in dem er beschreibt, welche Probleme es ihm verschafft, dass er nicht genuin arabisch erzogen wurde. Und wie er sich das wieder aneignen musste. Die Filmwissenschafterin Ella Shohat benennt das auch: Inwiefern man erst eine analytische Fähigkeit herausbilden muss, um die persönliche Geschichte zu reflektieren. Sie sagt: Ich bin nicht nur Opfer gewesen, sondern ich wurde auch Täterin gegenüber meiner Großmutter, indem ich meine Herkunft verschwieg.
STANDARD: Die Propagandafilme in "Forget Baghdad" demonstrieren, dass dies auch auf offizieller Ebene geschah.
Samir: Das sind Filme, die für sephardische Juden hergestellt wurden und die halfen, einen Mythos aufzubauen. Es war verblüffend zu sehen, dass in diesen orientalische Juden nicht existieren. Die gab es einfach nicht. Null, nada! Umgekehrt zeigen die Spielfilme die Klischees, die unsere Projektionen transportieren. Und wir greifen sie wieder auf, selbst wenn sie das Gegenteil von dem behaupten, was wir sind. Ich saß selbst dem Glauben auf, dass die zionistische Propaganda die irakischen Juden dazu gebracht hatte, nach Israel zu gehen. Dann sprichst du mit ihnen und merkst, sie identifizieren sich nicht.
STANDARD: Handelt es sich insofern eher um eine kulturelle Ausgrenzung?
Samir: Antonio Gramsci hat einen entscheidenden Satz in seinen Analysen des Faschismus gesagt: Ohne kulturelle Hegemonie gibt es keine linke Politik. Das heißt, die Linke muss sich um die kulturellen Belange kümmern, sonst überlässt sie auf der politischen Ebene das Feld den reaktionären Kräften. In Israel hat sich die Linke der zionistischen Idee unterworfen. Sie haben die zionistische Idee nicht auf der Ebene der kulturellen Assoziation angegriffen. Wessen Staat das eigentlich ist, wem er gehört, wurde nicht gefragt. Das war der Sieg der bürgerlichen Hegemonie in Israel.
STANDARD: Umgekehrt gab es auch im Irak den Prozess einer Homogenisierung.