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John Waters, Schriftsteller und Kultfilmregisseur ("Pink Flamingos"), mit zwei Divine-Look Alikes: Chicer Trash ist natürlich kein Phänomen der Kleidung alleine. Vielleicht geht es bei der Verklärung von Müll und Schrott um einen Reinigungsprozess, die gesellschaftlich akzeptierten Gewohnheiten und verbindlichen Geschmacksvorstellungen in Frage zu stellen.

Foto: Reuters/Fred Prouser
Wie es euch nicht gefällt Wenn sich der schlechte Geschmack umkehrt und als guter Geschmack gilt, sind soziale Phänomene im Spiel. Wolfgang Zinggl* über Ästhetisierungsstrategien, Reinigungsprozesse und White Trash Chic.

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Wer in den letzten Monaten zahlreiche Artikel mit "Trash chic" im Titel gelesen hat, weiß, die Welle ist wieder da. Dem Falter war das Phänomen kürzlich ein Cover wert und einen Bericht über die aufstrebende Trash-Prinzessin Mel Merio, die mit heftiger Liebe zum Plunder - die sie sogar mit Ihrem Freund teilt - seit einem Jahr einen Shop betreibt. Mit eigener Müll-Couture und Nippes aus zweiter Hand. Dumm für die Modedesignerin, dass zwei Monate zuvor die taz ein deutliches Signal der Entwarnung gegeben hat: "trash chic ist over".

Trash ist das, was zu lieben verpönt ist

Aber was heißt over? Trash ist das, was zu lieben und zu schätzen verpönt ist und solange so etwas existiert, gibt es auch Menschen, die diese Stigmatisierung hinterfragen, insbesondere wenn sie lediglich auf Konventionen beruht und rationaler Grundlagen entbehrt. Seitdem der Philosoph Karl Rosenkranz zu Ende des 19. Jahrhunderts die Ästhetisierung des Hässlichen angedacht hat, wirkt seine Überlegung weiter: Wer bestimmt denn, was hässlich oder wertlos ist? Warum ist einmal der Kitsch liebenswert und das andere Mal schwülstiger Quatsch. Diese Überlegung reizt Menschen, die gerne gegen den Strich kämmen. "Seht nur recht hin ihr biederen Geschmacksverbohrten", sagen sie, "auch im Abfall findet sich Charme und Schönheit".

Wertvolles im Abfall

Bleibt noch die Frage, was sie jeweils an Wertvollem im Abfall finden und was drin bleiben muss. In den Neunzigern zum Beispiel war lediglich ein Trash der Siebziger in, die Achtziger wiederum waren am Schund der Fünfziger interessiert und heute ist die vollendete Trashmode eine Travestie der 80er-Jahre: Enge Jeans, Flitter- Fortsetzung auf und Fransenkram, aufgeföhnte Dallas- Frisuren. Alles, was im Espresso Silvy vor zehn Jahren noch stolz machen konnte. Oder eben nicht genau das. Denn eine Verwechslung wird tunlichst vermieden. Wichtig bleibt, dass sich der künstlerisch wertvolle Trash vom echten abhebt. Das Imitat muss jederzeit erkennbar bleiben, sonst könnte aus dem Spaß an der Ästhetisierung leicht Ernst werden und aus der Travestie eine Verwechslung der sozialen Herkunft.

Chicer Trash

Chicer Trash ist natürlich kein Phänomen der Kleidung allein. In der Musik gibt es denn Trash, wenn "Tocotronic" zu Drei-Akkord-Stücken die Namen ihrer Lieblingsbands herunterleiern und damit auf den diskreten Charme des Dilettantischen setzen. In der bildenden Kunst wimmelt es nicht erst seit der Pop Art an Trashigem, in der Literatur hat sich der Rabulist Charles Bukowski, mit ramponierter Visage, exzessivem Bierkonsum und unflätigen Machoausdrücken ein Desperado- und Underdog-Image kultiviert. Und im Film gibt es seit den Sechzigern und John Waters das Trashmovie. In Filmen wie "Pink Flamingos" wollte er den Wertewandel geradezu herbeifilmen.

Das Wahre, Gute und Schöne sucht er nicht im Bürgerideal und dessen Vorliebe für ein unauffälliges Blau, sondern in den Schweinereien eines dicken, faulen Transvestiten-Nichtsnutz. Optisch in grelles Pop getaucht, sprachlich zusammengeschweißt aus Fäkalwörtern wird mit den Filmen von Waters der "White Trash" stilisiert und ästhetisiert, jene Populärkultur der verarmten, weißen Bevölkerung in den Südstaaten, die sich um Trailer-Parks, inzestuöse Familien, versoffene Männer und lose Frauen weißer Hautfarbe rankt. White Trash ist als Begriff seither einerseits eine beleidigende Herabsetzung der Unterschicht andererseits aber auch eine kulturelle Identität von Menschen geworden, die nicht nur einen besonders abgestandenen Geschmack haben, sondern die sich darauf auch noch etwas einbilden. Trash chic oder White trash chic: Wenn sich der schlechte Geschmack umkehrt und als guter Geschmack gelten darf, handelt es sich jedenfalls um soziale Phänomene.

Verklärung von Müll und Schrott

Und vielleicht geht es bei der Verklärung von Müll und Schrott gar nicht so sehr um die Nivellierung gesellschaftlicher Geschmacksvorstellungen sondern lediglich um deren Verschiebung, um einen Reinigungsprozess, der regelmäßig die gesellschaftlich akzeptierten Gewohnheiten, festgefahrenen Urteile, die verbindlichen Stil- und Geschmacksvorstellungen in Frage stellt, weil sie langweilig geworden sind und die kreative Seele nach Erneuerung lechzt. Dann ist manch ein tabuisiertes Ekel- und Schmuddelmaterial als kleine Schocktherapien geeignet, die Konventionen durcheinander zu wirbeln.

Ästhetisierungsstrategien

Um größeren Schmerz bei diesem Erneuerungsprozess zu vermeiden, gibt es - aus der Kunst kommend - Ästhetisierungsstrategien. Sie erleichtern den Prozess, Dinge mit anderen Augen zu betrachten. Da hilft zum Beispiel der weiße, sakrale Ausstellungsraum. Wie ein Tabernakel umfasst er das Ausstellungsobjekt, grenzt es von der lärmenden Welt draußen ab und verweist auf Werte jenseits der gewohnten Realitätsbezüge, die es vielleicht abgewertet haben. Eine blutverschmierte Leinwand, ein Schmutz- oder Fetteck kann so anders erlebt werden. Die Dinge mit fremden Augen betrachten, nannte Ludwig Wittgenstein diesen Vorgang der Umwertung im veränderten Kontext.

Eine andere Ästhetisierungsstrategie bedient sich des Spottes. Über die Ironie wird die eigene Geschmacksicherheit gegenüber einer Durchschnittsgesellschaft betont, indem Lächerliches zum Liebenswerten überhöht wird. Diese Strategie greift gerne tiefer in den Sumpf um deutlich zu machen, "ich bestimme, was mir gefällt und das ist sicher nicht das, was Euch gefällt, sondern im Gegenteil das, was Euch nicht gefällt, sonst wäre es ja nicht eigenwillig."

Geschmacksextremisten

Die Eigenwilligen werden für diese scheinbaren Vorlieben zunächst belächelt und mit Kopfschütteln bedacht. Doch gelegentlich interessieren sich Kreative aus Wirtschaft und Werbung für solche Geschmacksextremisten. Auch weil Werbung Aufmerksamkeit erregen muss. Und dann wird manch ein individueller Trip geklaut, auf ein zumutbares Maß reduziert und einer finanzkräftigen, an Gags und Gimmicks interessierten Partygesellschaft verkauft.

(Wolfgang Zinggl, DER STANDARD Printausgabe 17/18.4.2004)