Drei Stunden hat der Aufstieg gedauert, zuerst auf einem Ziehweg bis zu ein paar Almhütten, dann über mittelsteile Hänge bis zum abgewehten Gipfel. Die Rast hier oben ist kurz, Bergführer Hannes drängt zur Abfahrt, damit wir noch unverspurtes Gelände vorfinden. Und dann geht es hinein in den knapp knietiefen, daunenleichten Pulverschnee.

Links, rechts, links, rechts in exakt gezirkelten Schwüngen. Der erste Hang ist lang, nach dreißig Schwüngen brennen die Oberschenkel und zittern die Knie, aber stehen bleiben würde unweigerlich bedeuten, das regelmäßige Muster der Skispuren zu zerstören. Der Blick zurück auf diese Spuren, sei es im Winterpulver oder im Frühjahrsfirn, gehört zum Schönsten einer Tiefschnee-Skitour.

Wohlgemerkt neben der Aussicht auf das Bier im ersten Gasthaus im Tal und die bereits vorgeheizte Sauna im Hotel. Längst nämlich ist Skitourengehen nicht mehr verbunden mit muffigen Decken im kalten Matratzenlager einer Alpenvereinshütte und mit der im Rucksack mitgeschleppten Leberstreichwurst oder Erbswurstsuppe.

Steigende Zahl an Skitourengehern

Im Osttiroler Villgratental beispielsweise hat man sich vor Jahren für den Verzicht auf den Ausbau eines Pistenzirkus entschieden und fährt seither vom Hochwinter bis ins Frühjahr ausgezeichnet mit einer steigenden Zahl anspruchsvoller Skitourengeher.

Die Aussicht auf das Abendmenü im Haubenlokal Gannerhof verleiht beim mehrstündigen, schweißtreibenden Aufstieg Flügel: Osttiroler Schlipfkrapfen mit Bollakäse und brauner Butter, Schweinsfilet gefüllt mit Dörrzwetschken, dazu Gemüselaibchen auf Kürbis, und zum Abschluss Birnenknödel auf Amarettosabayon.

Immer mehr Skifahrern ist in den vergangenen Jahren der Pistenbetrieb zu eintönig geworden. Sie suchen, speziell im Frühjahr, oft bis hinein in den Frühsommer, eine Herausforderung in der Natur, abseits von künstlich geglätteten Abfahrten, Schneekanonen und mechanischen Aufstiegshilfen. Im Villgratental haben die Berge eigenartige Namen: Eine "Kunke" ist, was woanders Kogel heißt, und ein kleiner Kogel ist hier ein "Kinkele". Pürgleskunke, Rotes Kinkele und Marchkinkele sind lohnende Tourenziele, unter anderem deshalb, weil sie nur selten lawinengefährlich sind. Und auch wenn die Lawinengefahr größer ist, weiß der Berg- und Skiführer Hannes Grüner, der hier regelmäßig Touren führt, "findet man unterhalb der Waldgrenze sichere Verhältnisse".

Erfahrung, Wissen und Vorsicht

Auch für das Paznauner Bergführer-Urgestein Hugo Walter hört beim Thema Lawinen der Spaß auf. Der heute 64-Jährige führt seit 44 Jahren Skitouren-Begeisterte durch die Silvretta, das Samnaun und die Verwallgruppe. Dass ihm und seinen inzwischen Tausenden Gästen nie etwas passiert ist, verdankt Hugo einer Mischung aus Erfahrung, Wissen und Vorsicht.

Dabei geht es nicht nur um die Beurteilung der aktuellen örtlichen Schnee-, Wetter- und Windsituation, sondern um die Bewertung dieser Faktoren über das ganze Jahr hinweg - vom ersten Schneefall im September bis zum Verhalten der Gletscher im Hochsommer.

"Ich war immer sehr vorsichtig und habe eine Tour lieber abgebrochen, als etwas zu riskieren", ist Hugos Motto, aber vielleicht habe er auch Glück gehabt, denn "ein Restrisiko darf man nicht wegleugnen." Zusatz: "Dieses ist aber sicher nicht größer als das Risiko auf der Westautobahn."

In den Sechzigerjahren, erinnert sich Hugo, war eine Skitour in die Silvretta der Höhepunkt eines vierzehntägigen Skikurses in Galtür, und davon schwärmen die Stammgäste heute noch. Die Spezialisierung der Ausrüstung und die immer kürzeren Winterurlaube haben dem den Garaus gemacht, aber jetzt soll sich das ändern.

Basics des Aufstiegs in drei Tagen

Ab dem kommenden Winter veranstaltet die Ski- und Snowboardschule Silvretta Galtür Skitouren für Anfänger. In drei Tagen werden Basics des Aufstiegs mit Fellen, der Fahrtechnik im Tiefschnee und der Sicherheit (Schneedeckenuntersuchung, Verwendung des Lawinenpiepsers, Kartenkunde) vermittelt. Das alles von Anfang an verbunden mit lohnenden Touren, geführt von geprüften Führern wie Christoph oder Herbert, die Hugos Wissen weitergeben.

Die Ausrüstung (Touren-Carvingskier, Klebefelle und Verschütteten-Suchgeräte) kann geliehen werden, der Transport mit Kleinbussen und Raupenfahrzeugen erspart die stundenlangen flachen Hüttenhatscher.

Ziele sind der Ils Calcuogns (2792 Meter) über der Heidelbergerhütte oder der Russkopf (2693 Meter) oberhalb der Jamtalhütte, zwei- bis dreistündige Anstiege, mit Panoramablick auf die berühmtesten Gipfel der Silvretta: Piz Buin, Dreiländerspitze und Fluchthorn.

Und mit Abfahrten, die noch jetzt im April Pulverschnee und bis weit in den Juni hinein Firn versprechen. Es sind Skitouren de luxe, und sie enden zünftig. Mit einem Bier in der uralten Wirtsstube des "Weißen Rößle", in der der Skitourengeher Ernest Hemingways seine Kurzgeschichte "Ein Gebirgsidyll" schrieb: "Es war Frühling im Tal, aber die Sonne war sehr heiß. Wir gingen die Straße entlang nach Galtür hinein und trugen unsere Skier und Rucksäcke . . ." (Der Standard/rondo/09/04/2004)

Tipps:
Infos und Buchungen: Tourismusverband Innervillgraten, Tel.: 04843 / 5194; www.innervillgraten.info.
Bergschule Alpin Aktiv Hochpustertal, Leitung Hannes Grüner, Tel.: 04842 / 6085;
Tourismusverband Galtür, Tel.: 05443 / 8521;
Ski- & Snowboardschule Silvretta Galtür, Tel.: 05443 / 8565,

Literatur: Günter Auferbauer/Luise Auferbauer, "Skitourenparadies Österreich", Verlag Styria, Graz. Dieselben, "Schitourenparadies Steiermark", Verlag Styria, Graz. F. Holzermayr, G. Hunger, H. Wagner, O. Walitsch, "Skitouren Atlas Ostalpen", 5 Bände, Nelles Verlag, München. K. Schett, O. Fürhapter, H. Grüner, A. Mayer, "Weiße Abenteuer in verborgenen Oasen", Schitourenführer Villgratental