Wien - Zumindest akustisch ist in Wien vom karwöchlichen Fastengebot wenig zu spüren. Wurde doch beim Osterklang der Schinken symphonisch schon viel früher als erlaubt und obendrein sehr üppig aufgetischt.

In den beiden Konzerten des St. Petersburger Mariinsky-Theaters unter Valéry Gergiev - am Montag im Musikverein, tags darauf im Konzerthaus - wurden alle Trommelfelle auf das reichlichste versorgt, was deren Besitzer mit lautem Jubel quittierten.

Womit noch lange nicht gesagt ist, dass sehr laut automatisch auch schon sehr schön bedeutet. Bei der martialischen Intensität, mit der sich die Hundertschaft der Gäste ins Zeug legte, hätte man beinah meinen können, in ihrem Spiel lebt noch der - bekanntlich in jeder Hinsicht zum Deftigen neigende - Geist der Großen Katharina fort, die das Mariinsky-Theater vor über 200 Jahren gegründet hat.

Und wenn dieses Orchester ohne Bühne agiert, versucht Valéry Gergiev die fehlende optische Theatralik akustisch zu kompensieren. Und hat dabei zumindest unüberhörbaren Erfolg - der im Falle der Symphonie Nr. 7 ("Leningrader") von Dimitri Schostakowitsch auch durchaus seine Berechtigung hatte. Ihre Aufführung bildete nicht nur den Schluss-, sondern auch den Höhepunkt der Gastkonzerte.

Dieses beinah eineinhalbstündige Werk erweist sich nicht nur thematisch und in seiner Architektur als ein Labyrinth, sondern auch in seiner Programmatik.

Im Jahr 1941 im von den deutschen Truppen blockierten Leningrad begonnen, nimmt der erste Satz des Werkes auf die aktuellen Kriegsereignisse Bezug, während die restlichen drei Friedens- und Siegesvisionen schildern. In der kompositorischen Realität erweisen sich die kontrastierenden Elemente jedoch als viel enger verzahnt, zumal sie nicht einmal den Satzbezeichnungen vollends entsprechen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Gergiev sein wohl trainiertes Orchester und die Zuhörer durch schlüssige Gliederung zu nicht nachlassender Konzentration zwang, verdient allen Respekt. Und gab auch dem donnernden Fortissimo-Finale seine künstlerische Berechtigung.

Allerdings war das nicht immer der Fall. In Nikolai Rimski-Korsakows Ouvertüre Russische Ostern etwa nahm die Freude an der Lautstärke dem Werk einiges von seinen reizvollen Orchesterfarben.

Auch Sergej Rachmaninows symphonisches Schwerfahrzeug, als das man seine zweite Symphonie bei allem gebotenen Respekt bezeichnen kann, wurde hauptsächlich mit Tonnen von Dezibel beladen. Sodass bei dieser an sich begrüßenswerten Begegnung kaum auszumachen war, ob sich außer dem samtigen Thema im ersten Satz auch im übrigen Werk so etwas wie eindringliches Melos finden lässt.

Dass die Gäste auch zu dynamischer Diskretion fähig sind, erfuhr man während der konzentrierten, qualitätsvollen, wenn auch nicht begeisternden Wiedergabe des Violinkonzertes von Jean Sibelius durch Vadim Repin. Auch bei Modest Mussorgskys Liedern und Tänzen des Todes hatte der Bassist Evgeny Nikitin hinreichend dynamischen Freiraum für deren ausdrucksstarke Wiedergabe. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.4.2004)