Zum Beispiel Yuki Eliaz: "Mein Vater ist ein so genannter Muslim, meine Mutter eine so genannte Hindu", sagt das Mädchen aus Bombay von einer der Leinwände herab. Schnitt, und ein afrikanischer Bursche meldet sich zu Wort. Seine Eltern sind Mitglieder der Hutus bzw. Tutsis, jener zwei ruandischen Stämme, die sich Mitte der Neunziger einen blutigen Krieg lieferten. Schnitt, und ein junger Mann, halb Türke und halb Armenier, ist dran.

Den jungen Menschen, die im neuesten Großprojekt von Benettons Kreativ- und Kulturzentrum Fabrica ihre Stimme erheben, sind ethnische und religiöse Konflikte geradezu auf den Leib geschrieben: "Ich gehe in die Kirche und ich gehe in die Moschee", erklärt der junge Mann aus Istanbul. Und: "Ich selbst habe kein Problem damit."

"Credo", "Ich glaube", heißt das in Kooperation mit dem Staatstheater Karlsruhe und dessen Intendanten Achim Thorwald erarbeitete multimediale Projekt (Uraufführung im Rahmen der Kulturtage 2000 am 30. April in Karlsruhe, Vorstellungen in Istanbul und im australischen Brisbane folgen), und damit ist nicht allein das erste Wort des apostolischen Glaubensbekenntnisses gemeint. "In jedem Krieg beten die Konfliktparteien zu ihrem Gott um den Sieg. Aber wie Mark Twain geschrieben hat, zu Gott um den eigenen Sieg zu beten bedeutet auch, um Tod und Vernichtung der Gegner zu bitten", sagt Andrea Molino, der künstlerische Leiter, Dirigent und Komponist des groß angelegten Unternehmens. Ein soziales, kein politisches oder moralisches Unterfangen schwebt ihm vor, eines unter der Oberhoheit von Musik.

Vor eineinhalb Jahren begannen die ersten Vorarbeiten, mittlerweile vibriert die gesamte Fabrica unweit vom venezianischen Treviso unter den letzten Vorbereitungen. Vor geöffneten Fenstern, durch die die milde Frühlingsluft hereinkommt, üben die irischen Musiker, jene aus Israel spazieren gerade herein. Molino selbst sitzt am Mischpult, spielt Musik ein und schneidet dazu die Videobilder. "Hier zeigen wir die Mutter eines palästinensischen Selbstmordattentäters, die Opfer des Attentats schneiden wir dagegen." Doch damit nicht genug: Bibeltexte werden zitiert, auch die Ringparabel aus Lessings "Nathan". Ein Symphonieorchester spielt auf, der Vokalist David Moss ist mit dabei, und am Abend der Vorstellung werden musikalische Liveübertragungen aus Belfast, Istanbul und Jerusalem eingespielt.

"Credo" - ein Projekt ganz im Zeichen der United Colors of Benetton? Molino lacht auf, spricht man ihn darauf an: "Auch Musik muss ein soziales Gewissen haben", sagt er nach einer kleinen Gedankenpause. "Doch instrumentalisieren lasse ich mich nicht." Dafür wäre jemand wie Andrea Molino wohl auch nicht der Richtige: Heiner Goebbels hat der Leiter der Abteilung Fabrica Musica nach Treviso geholt, im Jahre 2000 dirigierte er die Bühnenversion von dessen "Surrogate Cities". Im Wiener Konzerthaus arbeitete er mit dem Klangforum Wien, der Nürnberger Pocket Opera Company steht er seit 1996 vor.

Die musikalischen Wurzeln des in Turin geborenen Molino liegen in der Avantgarde, in der Musik eines Luigi Nono etwa. Die für "Credo" komponierte Musik, wird Raphel Camenisch, einer der Solisten, später erklären, sperrt sich allerdings gegen eine allzu große Hermetik. "Andrea scheut sich nicht, auch Dreiklänge zu benutzen", erklärt Camenisch lachend: "Und er arbeitet auch mit traditionellen Elementen." Im Falle von "Credo" hat Tradition sogar ein Gesicht, elf Gesichter um genau zu sein. Vier junge Musiker aus Nordirland, vier aus Israel und drei aus der Türkei begleiten das Projekt mit selbst komponierter bzw. selbst zusammengestellter Musik.

Einige Wochen vor dem Uraufführungstermin haben sich alle elf jetzt in der Fabrica zusammengefunden, tauschen sich aus und proben Abläufe. Am 30. April werden die einzelnen Gruppen dann live aus ihren jeweiligen Heimatländern via Satellit in das Staatstheaters Karlsruhe zugeschaltet werden. Während die nordirischen Jugendlichen dann auf traditionellere Weisen setzen werden, wählten die vier Israelis einen Komponisten aus Aserbaidschan. Für Itamar Shahar, der aus einer hebräischen Familie mit polnischen und irakischen Wurzeln stammt, eine logische Entscheidung: "Unsere Tradition ist sowohl Humus als auch gefillte Fisch, warum sich für eines entscheiden?"

Zusammen mit seinen Musikerkollegen Mark, Ranin und Noam sitzt Itamar auf der sonnigen Piazza der Fabrica: Beinahe ist es ihnen ein bisschen unangenehm, dass sich der Besucher derart für ihre Herkunft interessiert. Doch auch sie ist Teil des Projekts: Ranin stammt aus einer palästinensischen Familie, Noam ist jemenitischer Herkunft, Mark ursprünglich aus Aserbaidschan. "Mein bester Freund ist Araber", sagt Itamar, "in Haifa wohne ich in einem jüdischen Viertel", erzählt Ranin. Wie sie sich selbst definiere? "Das ist doch herzlich egal!" Dem haben auch Itamar, Mark und Noam nichts hinzuzufügen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.4.2004)