Foto: Tomas Maier/Bottega Veneta
Foto: Stephan Schneider
Foto: Bernhard Willhelm/Capucci
Foto: KL/Chanel
Foto: Jil Sander
Über Jahre hinweg war Karl Lagerfeld der Vorzeigekreative des Landes mit internationaler Reputation, Jil Sander galt als klassische Ausnahme, welche nur die Regel bestätigte. Die aber hieß: Die Deutschen können zwar Konfektion, doch wenn es um modische Innovation geht, haben sie Pause.

"No fashion please, we're Germans!", spöttelte einst das Szenemagazin Dutch. Doch nun scheint sich das Blatt gewendet zu haben. Begonnen hat es mit Jil Sanders Rückkehr nach dreijähriger Abstinenz vom Modegeschehen im Oktober des vergangenen Jahres. Die Spannung, mit der ihre Kollektion für die kommende Frühjahr / Sommer-Saison erwartet wurde, konnte nur noch die Begeisterung über deren Ergebnis übertreffen. Presse und Einkäufer waren sich einig, dass Sanders Entwürfe wieder zum Schönsten gehören, was die Mode zu bieten hat.

"Mit ihr haben die Frauen ihre Stimme innerhalb der Mode wiedergewonnen", urteilte Suzy Menkes von der International Herald Tribune. Ob sie in der Designerin aus Deutschlands kaltem Norden eine moderne Wiedergängerin von Coco Chanel sieht? Auf jeden Fall zählt die Hamburgerin derzeit zu den wichtigsten Kreativen der Branche. Auch für einen anderen deutschen Designer findet Menkes nur lobende Worte. Als "Hit" bezeichnete sie die Prêt-à-porter-Kollektion von Italiens Couture-Legende Roberto Capucci, die der junge Bernhard Willhelm aus Ulm entwirft. Sie sei eine feine, frische Überraschung, die endlich Bewegung brächte in Mailands stagnierende Modeszene! Und Londons Trend-Magazin The Face zählte den dauerreisenden Schwaben, der in Antwerpen werkt und in Paris seine eigene Mode zeigt, zu den 100 einflussreichsten Menschen in der Modebranche. Als einzigen Deutschen übrigens!

Gekürt von der Pflichtlektüre der Branche

Auch Tomas Maier wurde gekürt. Der Schwarzwälder Architektensohn, den in Deutschland niemand als Designer kennt, wurde prompt zum "Designer of the year" gewählt, von Amerikas täglicher Modegazette Women's Wear Daily, der Pflichtlektüre der Branche. Nachdem er jahrelang - vor Martin Margiela - die Mode für Hermès entworfen hatte, war es Maier doch gelungen, in nur drei Jahren das angestaubte Image der traditionsreichen italienischen Lederfirma Bottega Veneta in ein verführerisch funkelndes Luxuslabel zu verwandeln. Wer derzeit auf der Suche nach jungem, innovativem Modedesign ist, dem werden die Namen des Kölners Dirk Schönberger oder des Duisburgers Stephan Schneider geflüstert, die beide mittlerweile in Japan bekannter sind als im eigenen Land. Susanne Bommer aus München wird genannt oder Lutz Huelle aus Remscheid, der in Paris kreiert, oder Markus Lupfer, der Allgäuer in London. Sogar der ehemalige Helmut-Lang-Assistent Kostas Murkudis, der Grieche aus Dresden, ist mit neuer Partnerin und einer Kollektion namens "Haltbar" in die Mode zurückgekehrt. Was ihnen allen gemeinsam ist, außer der Herkunft aus Deutschlands vielfältigen Provinzen, ist das Bemühen um eine eigenständige, unverwechselbare Handschrift, die sich wenig vom Modetreiben in Paris oder Mailand beeinflussen lässt. Schnitttechnische Ernsthaftigkeit paart sich mit Innovation und zuweilen einer Prise skurrilen Humors - für Deutsche durchaus keine Selbstverständlichkeit!

Mode mit Innovation entwerfen? Deutschland ist Konfektionsland.

Dass die Auslandspresse den exotischen Seltenheitswert deutscher Designer eher goutiert als die eigene Heimat, verwundert denjenigen nicht, der in Deutschland lebt. Denn noch immer ist dort in den Köpfen fest verankert, dass deutsche Designer Motoren erfinden und Karosserien bauen können und sogar wissen, wie man Funktion und Technik mit einer schönen Form verbindet. Doch Mode mit Innovation entwerfen? Deutschland ist Konfektionsland. Das hat Tradition und führt auch an den Modeschulen eher dazu, dass man unterrichtet, was in Mailand und Paris Trend ist, als dass man Eigenkreativität fördert. Deshalb ging Karl Lagerfeld schon als Kind nach Paris und Jil Sander fast mit Scheuklappen ihren Weg, um von den eigenen Vorstellungen nicht abzukommen. Bernhard Willhelm verließ die Modeschule in Trier und wechselte an die Königliche Akademie der Künste in Antwerpen, weil er befürchtete, seine Kreativität zu verlieren und in den Zwängen der Konfektion zu enden. Dirk Schönberger und Stephan Schneider folgten seinem Beispiel, auch auf die Gefahr hin, als Teil von Belgiens dritter Designerwelle die eigene Identität aufzugeben.

Deutschlands Mode wird von Marketingaspekten beherrscht. Der lange währende Erfolg der Konfektion von Escada, Boss & Co vergoldete und bestärkte die Entscheidung auf Kosten eines individuellen Designs. Eher mitleidig belächelte man Jil Sanders einsamen Weg zum kreativen Gipfel. Natürlich hätte man gerne deren internationales Renommee mit dem pekuniären Erfolg verknüpft. Wolfgang Joop hat es versucht und ist gescheitert. Und auch Gabriele Strehle tut sich schwer, den Schatten der Konfektionsmarke Strenesse von der strahlenden Kreativität ihrer Laufstegmode fern zu halten.

Wird es also Deutschlands Designern auf Dauer gelingen, in der Ferne eine eigene Identität aufzubauen und zu wahren? Mit einem ersten gemeinsamen Auftritt bei der "Premium Exhibitions", einer neuen Messe in Berlin, wurde jedenfalls ein Anfang gemacht. Wie lange war das Fehlen einer Metropole in Deutschland beklagt worden? Doch nun beginnt die spröde Schönheit der Hauptstadt zu wirken. Hedi Slimane, der für Dior die Männermode entwirft, hat seine Fotoeindrücke von Berlin, mithilfe von Karl Lagerfeld, als Bildband herausgegeben. An ihm werden sich die Geister der Betrachter ebenso scheiden wie an den kaputten Hinterhöfen der Szeneviertel oder der trostlosen Leere ihrer Plätze. Trotzdem haben für sie Deutschlands Modeavantgardisten ein Statement abgegeben. Vielleicht gelingt es ihnen, auch dem zarten Pflänzchen Mode im eigenen Land ein neues Kapitel aufzuschlagen. (Der Standard/rondo/02/04/04)