Zwei Drittel der Haus-Rucker-Co in Pose

Foto: AzW / Haus-Rucker-Co

Wien - Geduld und eine gut trainierte Nackenmuskulatur muss mitbringen, wer im Architekturzentrum Wien (AzW) die Ausstellung The Austrian Phenomenon besucht. Die Wände sind mit Zetteln gepflastert, Ergebnis einer erschöpfenden Recherche des Kurators Johannes Porsch. Alles, was zwischen dem "Verschimmelungsmanifest" Friedensreich Hundertwassers (1958) und der Ölkrise von 1973 in Österreich an Architekturvisionen herumgeisterte, wurde ausgegraben, katalogisiert und aufgehängt.

Hans Hollein, der seinerzeit die Zeitschrift Bau auf Avantgardekurs brachte und dessen siebzigster Geburtstag am Dienstag dieser Woche den äußeren Anlass zu der Ausstellung gab, Coop Himmelb(l)au, damals noch ohne Klammern im Namen, weil ohne Aussicht, jemals zu bauen, die Architekturpopgruppen Hausrucker, Zünd-up und Missing Link, Einzelpersonen wie Günther Feuerstein - sie alle und noch Dutzende andere werden mit Projekten vorgestellt, die damals weltweites Aufsehen erregten.

Es dämmerte schon die Postmoderne, die einigen Protagonisten später ein dickes Bankkonto bescheren sollte, da wurde in Österreich - und nicht nur dort - die Architektur mit den Glücksversprechen aus Raumfahrt, Popkultur, Drogen- und Sexorgien aufgeputscht und aus der stumpfen Nachkriegszeit herausgerissen. Gebaut wurde seinerzeit ja nicht grundsätzlich schlecht, aber "die Jungen" hatten an herkömmlicher Architektur kein Interesse.

"Plastik explodiert . . . in ihrem Kopf", schrieb Angela Hareiter, die später mit Krischanitz und Kapfinger die Gruppe Missing Link bildete, im Jahr 1965 neben einen Wohnblasenentwurf, der Roland Barthes' Text aus den Mythen des Alltags illustrieren könnte.

Wieso die Intensität dieser Ausbruchversuche gerade in Österreich so stark war, wurde bereits 1970 von dem Theoretiker Peter Cook, der selbst mit der Archigram-Gruppe in London wichtige Anstöße gegeben hatte, in seinem Buch Experimental Architecture zu erklären versucht. Leider fehlt dieses Dokument in der Ausstellung.

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Wie überhaupt die ganze Rezeptionsgeschichte jener Zeit fast vollständig ausgeblendet wird. Das "austrian phenomenon", von dem Peter Cook wohl auch deswegen so begeistert war, weil seine eigenen Ideen hier Früchte getragen haben, war von Beginn an ein mediales. Meilenweit von möglichen Auftraggebern für die aufblasbaren Liebeskapseln und Architekturpillen entfernt, produzierten die Architekten fleißig Papier, drängten ins Fernsehen.

Seither sind etliche Bücher und Aufsätze erschienen, von denen die als Katalog erschienene AzW-Zeitschrift Hintergrund (6,- €) etliche wieder zugänglich macht. Bloß in der Ausstellung fehlen die Thesen zu Ursache und Wirkung des österreichischen Phänomens. Die Rundgänge mit Zeitzeugen werden also mit Spannung erwartet. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.4.2004)