Filmemachen wie Jazz spielen: Der deutsche Dokumentarist Klaus Wildenhahn in einer typischen Pose.

Foto: (c) Filmmuseum Berlin - Stiftung Deutsche Kinemathek
Wien - Das Dresdner Königsschloss wird wieder aufgebaut. Geduldig beobachtet die Kamera die einzelnen Handgriffe der Arbeiter, während aus dem Radio der ein oder andere Schlager dringt oder auch Nachrichten von den jüngsten politischen Entwicklungen verlautbart werden. Es ist das Jahr 1990, die Tage der DDR sind gezählt. Die Firma, die die Renovierung verwaltet, wird sich im Laufe des Films zu einer GmbH wandeln, die DM offizielle Währung sein.

Der König geht eröffnet ein mehrtägiges Special im Österreichischen Filmmuseum (bis 28. 3.), das dem deutschen Dokumentaristen Klaus Wildenhahn gewidmet ist. Aus dem konzentrierten Blick auf alltägliche Abläufe erstellt sich darin ein umfassendes Bild eines epochalen Wandels. Etwa wenn die Essensrationen für die Arbeiter unerschwinglich werden, weil sich der Zulieferer selbstständig gemacht hat. Oder erstmals der neue - viel geschmeidigere - Mörtel aus Westdeutschland auf der Mauer verschmiert wird.

"Möglichst anhand des Allerkleinsten, da, wo es das praktische Leben betrifft, suche ich nach allgemeineren Aussagen", erläutert Wildenhahn dem STANDARD gegenüber seine Methode. Alle seine 42 Arbeiten hat er als Mitarbeiter des deutschen Fernsehsenders NDR realisiert. Er war dabei einer der Ersten, die das US-amerikanische Konzept des Direct Cinema in seiner Heimat angewandt haben: Eine leichtere, entsprechend flexiblere Schulterkamera ermöglichte es, auf die Menschen zuzugehen und dadurch den Effekt einer größeren Authentizität zu erzielen.

"Das Direct Cinema war eine Epiphanie für mich", erzählt Wildenhahn, der dieses Verfahren noch um ein betont sozialkritisches Interesse erweitert und etwa auch einige Arbeiten über Gewerkschaften gedreht hat: "Ich wollte diesen Jazz in die dröge, nicht sehr farbige Situation Nachkriegsdeutschlands übertragen. Das soziale Umfeld habe ich dabei stets als lebensessenziell empfunden. Das hängt mit meiner Generation zusammen, die aus dem Krieg kommt. Ideal bei dieser Methode fand ich das Zusammenspiel von ,private' und ,public': wenn man eine kleine Gruppe von Menschen beobachtet und gleichzeitig das Politische in das Leben eingreifen kann."

Wildenhahn hat in den 70ern seine Auffassungen über den Dokumentarfilm in dem Buch Über synthetischen und dokumentarischen Film auch publiziert: Den Dokumentarfilm hat er dabei stets mit Arbeit (oder auch Handwerk) assoziiert, der einen aktiven Zuschauer verlangt. Sprache spielt ebenso in seinen Filmen eine wichtige Rolle, wobei es ihm keineswegs ums Erzählen geht: "In der Dramaturgie meiner Filme hat sich etwas entwickelt, was gar keine Dramaturgie mehr ist. Es gibt Augenblicksmomente, die dann auf eine bestimmte Art montiert werden, sodass man den Eindruck einer gewissen Zeitspanne bekommt."

Ein assoziativer Zugang, dem Wildenhahn auch in seinen fünf Lesungen verpflichtet bleibt, die er im Filmmuseum halten wird. Kanonisierte Autoren wie Humphrey Jennings, Jean Rouch oder auch Richard Leacock werden mit Avantgardisten wie Stan Brakhage oder jüngeren Regisseuren zusammengespannt. "Ich habe Filme ausgesucht, Texte davorgetan und biete an: Seht euch das mal an! Es ist eine Liveperformance, nach Mustern, die von meiner historischen Erfahrung geprägt sind: ,Unsicheres Gelände', ,Für eine bessere Zukunft?' - die Titel zeigen das. Das Prinzip von ,private' und ,public' ist wieder bedeutsam." (DER STANDARD, Printausgabe, 24.3.2004)