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Wien - "Ich halt' das nicht mehr aus." Wenn alles gesagt sein könnte, dann geht es hier erst richtig los: Mann (Frank Giering) und Frau (Anne Ratte-Polle) stehen einander in ihrer Berliner Wohnung in beredter Ohnmacht gegenüber. Arretiert in einem Status quo, in Verhaltensmustern und gewohnheitsmäßigen Vorwürfen, die sich in knappen, insistierenden Aussagesätzen manifestieren.

Sprachmechanik in einem geschlossenen System. Alles wird schon im übernächsten Satz wieder gegen den anderen gewendet, jeder scheinbare Ausweg sofort wieder zugemacht. Selbst kleine Ausnahmen wie ein Besuch der Schwiegereltern (Manfred Zapatka und Marthe Keller) oder die flüchtigen Exkursionen der jungen Frau ins Stadtleben führen hier nicht weiter. "Hör nicht auf das, was ich sage. Ich rede nur."

Ausgedacht hat sich diesen intensiv lastenden Beziehungskrimi der norwegische Dramatiker Jon Fosse. Der deutsche Filmregisseur Romuald Karmakar hat Die Nacht singt ihre Lieder fürs Kino adaptiert. Bei der diesjährigen Berlinale war er damit - neben dem späteren Preisträger Gegen die Wand - als eine von zwei deutschen Produktionen im Wettbewerb vertreten. Zahlreiche Kritiker fühlten sich damals offensichtlich nicht nur vom Film, sondern auch vom Regisseur persönlich provoziert.

Skandalinszenierung

Die Pressekonferenz geriet zu einem hitzigen Wortgefecht. Dabei scheint der "Skandal" von Die Nacht singt ihre Lieder mehr alten Vorurteilen gegen ein Enfant terrible des deutschen Kinos und dessen sturem Beharren auf die Diversität filmischer Formen wider die Formatierungen des Hollywood-Kinos geschuldet. Tatsächlich sind hier keine handelsüblichen Ingredienzien für mediale Aufregung zu finden. Die Nacht singt ihre Lieder ist vielmehr ein ruhiges, konzentriertes Kammerspiel, das eben auch ein entsprechend gestimmtes Publikum verlangt.

Wie in Karmakars früheren Spielfilmen (Der Totmacher, Frankfurter Kreuz, Manila) wird auch hier eine strenge Einheit von Ort, Zeit und Handlung gewahrt. In Zeiten, in denen andere mit kunstvoll verschachtelten Erzählungen reüssieren oder "viele Filme nur noch über den Formtransport, entkoppelt vom Inhalt, funktionieren", arbeitet der 1965 geborene Regisseur, der sich zunächst als Dokumentarist einen Namen machte (Warheads), weiter mit den Mitteln des klassischen Kinos:

Gemeinsam mit seinem Kameramann Fred Schuler, der seinerseits in den 70er-Jahren für Martin Scorsese, Michael Cimino oder Woody Allen tätig war, hat er Fosses Stück in lange Einstellungen aufgelöst, das Kräftemessen der Figuren in Schärfeverlagerungen übertragen, auf Zwischenschnitte weit gehend verzichtet. Bei den sparsamen Ortswechseln und Zeitsprüngen hält die Off-Musik die Verbindung.

"Reduktion" ist dabei ein zentraler, in Karmakars Ausführungen wiederkehrender Begriff. Genauigkeit und Konsequenz könnte man noch hinzufügen. Nichts ist hier dem Zufall überlassen: Schon an Fosses Stück hat Karmakar nicht nur der Topos einer "Liebesgeschichte ohne Happyend" interessiert, sondern vor allem auch, wie jemand "mit wenigen Mitteln viel erzählen kann". Und wenn er beginnt, einzelne Sequenzen seines Films akribisch zu beschreiben, dann wird deutlich, dass die Reduktion auf ein klar abgezirkeltes Terrain bloß den Ausgangspunkt und den Freiraum für genaueste Differenzierungsarbeit schafft.

Dazu gehört auch die Nach- beziehungsweise Vorbereitung möglicher Kritikpunkte - entlang der Aufgabenstellung, wie man, ohne die originäre Quelle des Theaters zu verleugnen, einen Kinofilm machen könne.

Fosses artifizielle Sprache als solche habe ihn und seinen Koautor Martin Rosefeldt dabei nicht weiter irritiert: "Das Repetitive sagt mehr über den Sprecher und die konkrete Situation, in der er spricht, aus. Das ständige Wiederholen eines Satzes entkoppelt diesen von seinem Bedeutungskern, dieser Entkoppelungsprozess macht das Dramatische aus. Man beginnt sich zu wundern, auf Variationen zu achten - wenn die junge Frau etwa am Anfang und am Ende sagt: 'Ich halt' das nicht mehr aus.' Wir haben uns nur Gedanken darüber gemacht, wie diese Sätze zu sprechen seien."

Der Bezug etwa zu Rainer Werner Fassbinders Die bitteren Tränen der Petra von Kant liegt nahe. Und nicht zuletzt im zeitgenössischen österreichischen Autorenkino - von Seidl und Haneke bis Albert und Hausner - findet der Regisseur, der sich im deutschen Kino als Einzelgänger positioniert, Geistesverwandte im Bemühen um eine eigenständige Formensprache. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 3. 2004)