Foto: Photodisc
Egal, wer für die Bombenattentate in Madrid verantwortlich war oder ist, den internationalen Anlegern wurde wieder ins Bewusstsein gerückt, wie verwundbar die westliche Welt durch Terroranschläge ist.

Doch nicht nur die Angst vor weiteren Terroranschlägen geben Anlass zur Sorge - die weitergehende Erholung der Aktienmärkte ist gemäß weit verbreiterter Expertenmeinung noch immer zu sehr einerseits an die robuste Entwicklung der US-Wirtschaft gebunden, die wiederum andererseits durch das auf Rekordniveau liegende US-Handelsdefizit sowie der auch in Europa unstabilen Lage am Arbeitsmarkt gefährdet wird.

Ein amerikanischer Professor hat jüngst die Grundregel für erfolgreiches Anlegen drastisch widersprochen, auf die sich Millionen von Investoren, Wirtschaftspolitiker und "Kommentatoren" seit Jahrzehnten verlassen.

Jay Ritter, Professor der Finanzwissenschaften an der Universität von Florida, weist nach, dass Aktien nicht vom Wirtschaftswachstum profitieren. Wissenschaftlich ausgedrückt: Ein Ländervergleich von 1900 bis 2000 ergab eine negative Korrelation zwischen den realen Aktienerträgen und dem Wachstum des Pro-Kopf-Bruttoinlandprodukts (BIP).

Nicht zum ersten Mal...

Ritters Studie "Economic growth and equity return" ist nicht die erste Untersuchung, die zu diesem erstaunlichen Ergebnis gelangt. Entscheidend für einen Aktionär ist nicht die Summe der Unternehmensgewinne, argumentiert Ritter, sondern die Steigerung des Gewinns pro Aktie.

Damit die Wirtschaft wächst, muss zunächst Kapital investiert werden. Hierzu werden entweder die Gewinne reinvestiert, was zunächst einmal die Dividenden in der Gegenwart schmälert. Oder es werden die Ersparnisse in neu gegründete Unternehmen investiert, die Aktien ausgeben.

Höhere Gewinne in der Zukunft als Folge höherer Kapitalausgaben in der Gegenwart haben also ihren Preis: Die gegenwärtigen Dividenden fallen tiefer aus, oder die künftigen Gewinne kommen Aktionären von Drittfirmen zugute, aber nicht primär den Eigentümern existierender Unternehmen.

...Aktien- geringer als Wirtschaftswachstum

Die Tabelle "Jährliches Durchschnittswachstum 1900 bis 2000" legt offen, dass die Länder mit dem höchsten Wirtschaftswachstum selten auch die beste Aktiengesamtrendite aufweisen.

Japan brachte es trotz einer überragenden Steigerung des Pro-Kopf-BIP um real 3 Prozent pro Jahr im vergangenen Jahrhundert auf einen im Vergleich dazu moderaten Aktiengesamtertrag von 4,5 Prozent. Hingegen schnitten Unternehmen aus schwächer wachsenden Ländern wie Australien oder Südafrika am Aktienmarkt besser ab.

In Europa fällt der Gegensatz zwischen Frankreich und Italien auf: Wieder scheint sich die Regel zu bestätigen, wonach ein stetig überdurchschnittliches BIP-Wachstum nicht automatisch überdurchschnittliche Aktiengewinne nach sich zieht.

Das mag damit zusammenhängen, dass oft multinationale Unternehmen, deren Gewinnentwicklung den Gang der globalen Wirtschaft mehr spiegelt als die Verhältnisse im Land selbst, den lokalen Aktienmarkt dominieren. Ebenso dürften die Aktienerträge mancherorts enttäuschend ausgefallen sein, weil die Investoren das künftige Wirtschaftswachstum überschätzt hatten, also die Kurse zu hohe Erträge vorweg nahmen.

Aktualität erhärtet Erkenntnisse, aber....

In Untersuchungen, die sich auf einen kürzeren Zeitraum konzentrierten, fällt der Widerspruch zwischen Wachstum und Aktienertrag weniger gross aus. Die Konjunkturzyklen beeinflussen hier die Aktienerträge stärker. Je länger die Frist allerdings gewählt wird, desto augenscheinlicher wird der Gegensatz.

Zuversichtliche Investoren trieben die Aktienkurse höher, worauf die Dividendenrendite abnehme, erklärt Ritter das Phänomen. Weil die Investoren mehr Kapital aufbringen müssten, um die gleichen Dividenden zu erhalten, sei der Gesamtertrag niedriger.

In vielen Ländern mit hohem Wirtschaftswachstum seien die Aktien hoch bewertet, was den Widerspruch zwischen Aktienertrag und volkswirtschaftlicher Leistung erklären könne. Ritter ist davon überzeugt, dass langfristig der Aktiengewinn von der Dividendenrendite und dem Wachstum der Dividende pro Aktie abhängt.

Er rät Investoren, mehr auf die gegenwärtige Gewinnrendite bzw. das Kurs-Gewinn-Verhältnis zu achten, um abzuschätzen, wie ein nationaler Aktienmarkt langfristig rentieren wird. Den Blick auf die BIP-Prognosen könnten sie sich hingegen sparen.

Fazit: im Moment können die Aktienmärkte auf den historisch hohen "Free Cash-flow" etlicher Unternehmen hin- und verweisen, und der hat historisch ebenso nachweislich stets zu Dividendenerhöhungen geführt - genau jenes Fahrtwasser, dass zu steigenden Kursen in den vergangenen zwölf Monaten geführt hat, und angesichts der unvermindert "schwächelnden Konkurrenz" von der Anleiheseite für Kursauftrieb sorgen wird, wenn, ja wenn nicht die Abartigkeit islamistisch motivierter Terror-Übergriffe jegliches rationale Anlageverhalten ad absurdum führt!

Jährliches Durchschnittswachstum 1900 bis 2000

LandReales BIP pro KopfAktien Gesamtrendite real
Schweden2,27,7
Australien1,67,6
USA1,86,8
Grossbritannien1,45,7
Schweiz5,04,9
Japan3,04,5
Frankreich2,03,9
Deutschland1,83,8
Spanien5,23,4
Italien2,42,7
Quelle: Jay Ritter, Economic Growth and Equity Returns