Schuld sind die Schotten. Zu Beginn der 1880er Jahre bemerkte nämlich die Football Association (FA), dass viele schottische Spieler in der nordenglischen Industrieregion Lancashire keinen »plausiblen Grund für ihren Aufenthalt in England nachweisen konnten, als hier Fußball zu spielen«, wie Fabian Brändle und Christian Koller schreiben (in: »Goooal!!!«, Zürich 2002). Damit brach das System des verdeckten Profitums, wie es seit den 1870er Jahren existiert hatte, zusammen: 1882 verbot die FA den Professionalismus, zwei Jahre später wurde Preston North End wegen Profiverdachts vom Cup ausgeschlossen. Nun begann ein Kampf zwischen zwei Ideologien, zwischen Amateurismus und Profitum - geografisch gesehen zwischen Nord (Lancashire) und Süd (London). 1885 setzte sich der Norden durch, die FA ließ professionellen Fußball zu. Die Folge war eine soziale Umwälzung: Hatten bisher die Londoner Vereine der »Upper Class« dominiert (The Wandereres, Oxford University etc.) begann nun der Siegszug der proletarischen Klubs aus dem Norden, wie der Blackburn Rovers. Sie gewannen den Cup von 1884-1886 drei Mal hintereinander. Fußball hatte sich vom Freizeitvergnügen der privilegierten Klassen zu einer Industrie entwickelt, mit bezahlten Arbeitern auf dem Spielfeld. Die Arbeiter in den Fabrikshallen betrachteten einen Profikicker durchaus als »einen der ihren«, astronomische Gehälter wurden nicht gezahlt. 1901 kam der Profi im Schnitt auf 144 Pfund, ein Vorarbeiter in der Metallindustrie auf 134.

Der Herr Meisl aus dem Karl-Marx-Hof

Als in England schon Profis auf dem Rasen werkten, fehlte in Europa vom runden Leder noch jede Spur. In Österreich wurde 1911/12 die erste Meisterschaft ausgetragen, verdeckte Zuwendungen an die Spieler hatte es schon knapp nach der Jahrhundertwende gegeben. Zum Massenphänomen wird Fußball nach dem Ersten Weltkrieg. Dann schritt die Entwicklung sehr schnell voran. 1924 führt Österreich als erstes Land auf dem europäischen Kontinent eine Profiliga ein. Eine weitere Besonderheit war die Beschränkung auf Wien. Die Tschechoslowakei und Ungarn folgten bald, der DFB bleibt beim Amateurismus - und verbot sogar Spiele gegen Profiteams. Die professionelle Liga bedeutete die endgültige Spaltung des Fußballbundes. Die Profivereine traten aus dem proletarisch dominierten Verband aus und gründeten ihren eigenen. Profiklubs konnten durchaus »proletarische« Vereine sein, bekanntestes Beispiel ist Rapid. Von der Sozialdemokratie wurden sie lange als Verräter gebrandmarkt. Das änderte sich erst nach 1945, als die proletarischen Visionen der SPÖ dem Pragmatismus wichen. In der österreichischen Hauptstadt haben sich die englischen Verhältnisse der 1880er Jahre also auf den Kopf gestellt: Dort ein Schutzschild der Upper Class gegen die (auf Bezahlung angewiesenen) Proletarier, wurde der Amateurismus in Wien gerade von der Sozialdemokratie verteidigt. Als Vater der Wiener Profiliga gilt Hugo Meisl, der Chef des Wunderteams und Erfinder des Mitropacups. Ironischerweise wohnte er im Karl-Marx-Hof, einem zentralen Symbol des Roten Wien.

Sozialer Aufstieg für Vorstadtkinder

Fußball war im Wien der ersten Republik eine der raren Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg. Josef Uridil, Stürmer der Hütteldorfer wurde zum ersten Star des europäischen Fußballs, er machte sogar Produktwerbung. Wie ein paar Jahre später auch Matthias Sindelar. Die beiden sind aber sicher nicht typisch für die österreichischen Fußballprofis dieser Zeit. 1926 wurden Höchstgagen eingeführt: 300 Schilling pro Monat, plus 10 Schilling Aktivitätszulage und 20 Schilling Prämie für einen Sieg. Eine Regelung ohne Biss: »Bereits zu diesem Zeitpunkt war absehbar, dass sich die großen Vereine zumindest hinsichtlich ihrer Spitzenspieler nicht an diese Beschränkungen halten würden«, schreibt Matthias Marschik (»Wir spielen nicht zum Vergnügen«, Wien 1994). Die kleineren Vereine hatten dagegen nicht das Geld, diese Höchstsätze zu bezahlen, viele Spieler brauchten Nebenjobs zum Überleben. Insgesamt war die wirtschaftliche Entwicklung der meisten Vereine Besorgnis erregend, der österreichische Spitzenfußball der zwanziger Jahre war ein Krisenphänomen, in vielerlei Hinsicht. Ob die Profiliga langfristig lebensfähig gewesen wäre oder nicht, muss Spekulation bleiben. Der Anschluss setzte ihr ein Ende, am 22. April 1938 wurde der Profifußball abgeschafft. Bezahlter Sport passte nicht zur NS-Ideologie.

Von Tankwarten und Gaskassieren: die NS-Zeit

Die Spieler erhielten Jobs zugewiesen, oder sie wurden kleine Unternehmer. Das von Sindelar arisierte Kaffeehaus hat der ballestererfm schon ausführlich behandelt. Sindelars Teamkollege Josef Stroh wird Tankwart und »verzapft nicht nur Benzin, sondern auch Autogramme«, wie das »Reichssportblatt« schrieb. Karl Sesta arisierte eine Bäckerei, Josef Pesser wurde Gaskassier - wie überhaupt viele Spieler Jobs bei der Gemeinde Wien bekamen. Egal ob Cafétier oder Gemeindeangestellter: Die Eingliederung der ehemaligen Profis in den Arbeitsprozess wurde propagandistisch ausgeschlachtet. Im »Altreich« war das, mangels Fußballprofis, nicht möglich. Naturgemäß endete der bezahlte Fußball aber nicht im Jahr 1938. »Die Spieler waren ja nachher noch besser dran, weil da haben sie wenigstens dann keine Steuern mehr zahlen müssen. Die haben dann schwarz weiter verdient«, sagt Karl Kowanz, damals Spieler bei der Admira (in: Marschik, »Vom Nutzen der Unterhaltung«, Wien 1998). Weil der deutsche Fußballer also offiziell kein Geld verdienen durfte, bekam er es schwarz - eine bezeichnende Facette der Verlogenheit des NS-Regimes. Wer nun glaubt, Österreich habe 1945, in der »Stunde Null«, wieder an die Fußballpraxis von Erster Republik und Austrofaschismus angeknüpft, der irrt.

Zeitungsausschnitt aus dem Reichssportblatt vom 4.10.1938: "Tankwart Stroh verzapft nicht nur Benzin sondern auch Autogramme - So wie hier ist der "Sindi" um alle seine Gäste besorgt!"

»Entschädigungen« für Vertragsspieler

Fußballer blieben nach dem Krieg Gaskassiere oder Tankwarte, sie betrieben Eissalons und Kaffeehäuser, arbeiten bei der Pensionsversicherungsanstalt oder waren bei Vereinsmäzenen angestellt. Das galt - mit gewissen Variationen - bis in die siebziger Jahre. Einen Unterschied zur NS-Zeit gab es doch: Die Spitzenspieler waren nun weder Profis noch Amateure, sie hatten den Status eines »Vertragsspielers«. Das bedeutete, sie mussten einem Beruf nachgehen, Fixum und Prämien waren genau reglementiert. Die Folge: Handgelder, also Prämien bei Vertragsunterzeichnung, und viel Schwarzgeld. Der Vorteil: kein Sozialversicherungsaufwand für die Vereine. Im Archiv des Wiener Sport-Club findet man erst ab Ende der sechziger Jahre SVA-Unterlagen zu den Spielern. Was verdienten die Kicker? Ein Teamspieler konnte offiziell etwa auf das Einkommen eins Facharbeiters kommen. Deklariert wurden die Gelder bezeichnender Weise als »Entschädigungen«. In der Jahresbilanz für das (Europacupjahr) 1959 gab der Wiener Sport-Club 464.410 Schilling als Zuwendungen an die Spieler aus. Zusatzeinnahmen brachten vor allem Auslandstourneen, für Vereine wie für Fußballer. Spitzenspieler hätten von ihren Gagen - und den diversen Zuwendungen - also locker leben können. 1962 setzte der ÖFB neue Obergrenzen fest: 700 Schilling Fixum, 600 für einen Sieg, bei einem Unentschieden durften es 300 sein, bei einer Niederlage 150. Für Siege bei internationalen Spielen waren 800 Schilling erlaubt und für ein Entscheidungsspiel um den Meistertitel konnten Vereine nach Genehmigung durch den Kontrollausschuss eine Sonderentschädigung bis zur Höhe der Unentschiedenprämie gewähren.

Fußball-Millionäre? Die gibt es anderswo ...

In England, Italien und Frankreich waren Profibetrieb und hohe Gagen längst üblich. Bei Real Madrid sowieso. Ferenc Puskas soll zu Beginn der 60er-Jahre etwa eine Million Schilling pro Jahr verdient haben. Davon war man in Österreich noch zehn Jahre später weit entfernt: »Rechnet man Grundgehalt und Prämien zusammen, kann ein Spitzenfußballer der Austria, Rapids oder des Sportklubs auf etwa 8000 Schilling im Monat kommen«, schreibt der Sportfunk Anfang 1969. »Teilt man das übliche Hand- und Treugeld auf die Monate auf, sind es etwa 12 000 Schilling, die ein Kicker einstreifen kann.« Genug Geld zum Leben, aber zu wenig, um nach der Karriere davon zehren zu können. Anfang der siebziger Jahre war die Wiedereinführung des Profitums in Österreich nicht mehr aufzuhalten. Während der gesamten Sixties liefen heftige Diskussionen, die Bestimmungen für Vertragsspieler wurden x-mal reformiert. Angeheizt wurde der Streit um den Status der Spieler vor allem durch zwei Faktoren: der rasante Abstieg des österreichischen Fußballs und die Einführung der Bundesliga in Deutschland. Dort durften die Spieler ab 1963 Geld verdienen, mit einer Obergrenze von 1200 Mark. Grund für diesen Modernisierungsschub beim DFB, dem konservativsten aller Verbände, war der Europacup der Meister: Er zeigte, dass sich der deutsche Fußball international im Nirwana befand. Nach dem Bundesliga-Skandal 1970 (es ging um Bestechungen im Abstiegskampf) fielen die Gehaltsgrenzen. Gut verdienende Spieler seien weniger anfällig für Bestechungsversuche, so die Argumentation. In Österreich war Profifußball zu dieser Zeit über die Zuschauereinnahmen nicht finanzierbar, soviel war klar - zu manchen Zeitungskommentatoren war das allerdings noch nicht durchgedrungen. Jovalis schreibt im Sportfunk: »Führen sie einen ehrlichen, offenen anständigen Professionalismus in Österreich ein... Unser Fußballpublikum wird mehr Geld an die Kassa tragen und öfter dabeisein wollen, wenn man ihm ein ordentliches Game bieten wird.« Darauf warten wir bis heute... (BERNHARD HACHLEITNER)


Weitere Themen des ballesterer fm, Nr.12:

Schwerpunkt: Beruf Fußballer

- Nachwuchs: Frank Stronachs Hollabrunner Fohlen
- Gewerkschaft: Der glanzlose Alltag der VdF
- Profi-Alltag: 24 Stunden mit Michi Hatz
- Schattenmann: Die Geschäfte des Skender Fani
- England: Junprofis und die sexuelle Gewalt

Außerdem in dieser Ausgabe:

- FC Kärnten: Die Fehler des Abstiegskandidaten
- Türkei: Die Süper Lig in der Krise
- Montserrat: Zu Gast beim Schlusslicht der Weltrangliste
- Lost Ground: Das Wembley-Stadion
- Maradona-Musical: Verzerrtes Abbild einer lebenden Legende
- Krone-Gala: Viel Ehr’ und viel Verriss für den Tabubruch


Präsentation und Lesung

Anlässlich des Erscheinens der 12. Ausgabe lädt das Fußballmagazin »ballesterer fm« gemeinsam mit den FreundInnen der Friedhofstribüne und dem Linzer Kulturzentrum KAPU zu zwei garantiert winterfesten Abenden, an denen der Berliner Autor Andreas Rüttenauer aus seinem im Verbrecher Verlag erschienenen Roman »Pokalfinale« lesen wird.

Termine:

Donnerstag, 18. März (20 Uhr): Sportklub-Platz Alszeile 19, 1170 Wien

Freitag, 19. März (20 Uhr): Kapu Kapuzinerstr. 36, 4020 Linz

Nähere Infos unter: www.ballesterer.at

Der neue "ballesterer fm" ist in diversen Verkaufsstellen zum Preis von 2,50 Euro erhältlich. Ein Jahresabonnement zum Preis von 13 Euro (Inland) kann auf www.ballesterer.at geordert werden.