Ahmadschah Akrami erfüllt das Wiener Wohnmodell "inter-ethnische Nachbarschaft" im 23. Bezirk mit Leben. Neben der Hausbetreuung sorgt er dafür, dass zwischen Menschen verschiedener Herkunft die Chemie stimmt.
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Die "inter-ethnische Nach- barschaft" in Wien-Liesing, gegenüber dem Wohnpark Alterlaa gelegen, ist anders. In den 140 Wohnungen des "globalen Dorfs" leben Menschen aus 24 Ländern. Aber mit einem Inländeranteil von 50 Prozent ist es von einem Ausländergetto weit entfernt. "Es geht nicht nur um In- und Ausländer, sondern darum, dass Menschen, die bisher nicht zusammengelebt haben, hier zusammenleben können", sagt Sozialbau-Chef Herbert Ludl, der Vater der ungewöhnlichen Anlage, dem STANDARD. "Dazu gehört auch ein Kärntner, der nach Wien zieht, oder ein Student, der erstmals nicht zu Hause lebt. Alle sollen sich als Teil einer Wohngemeinschaft fühlen."

Die Schlüsselfigur für die Schaffung dieses Zusammengehörigkeitsgefühls ist der gebürtige Afghane Ahmadschah Akrami, der seit drei Jahren diese Anlage betreut. Ludl ist stolz darauf, den Diplomingenieur für sein Lieblingsprojekt entdeckt zu haben, denn Akrami verbindet die besten Eigenschaften des traditionellen Hausbesorgers mit dem neuen multifunktionalen Service-Manager. Sein Tag kennt keine festen Arbeitszeiten, und seine Tätigkeiten gehen weit über die im abgeschafften Hausbesorger-Gesetz festgelegten Pflichten hinaus.

"Ich bin Techniker, Koordinator, Organisator, Mediator, Beichtvater und Sheriff geworden", beschreibt Akrami im STANDARD-Wohnsymposium seine vielfältigen Tätigkeiten. Akrami kümmert sich selbst um kleinere Reparaturen, er organisiert Geburtstags-, Weihnachts- und Faschingsfeste (siehe Bild), er ist der Ansprechpartner für Beschwerden über Hausverwaltung oder Mitbewohner, und er übt sich gar als Eheberater.

Ehe gerettet

"Vor kurzem kam eine junge Mutti zu mir, die eine Wohnung suchte, weil sie vor der Scheidung stand. Ich legte ihr das Schicksal ihrer Kinder ans Herz, und nach einem ausführlichen Gespräch konnte ich die Ehe retten", erzählt er aus seinem Arbeitsleben. "Beichtvater bin ich deshalb, weil hie und da ein Betrunkener zu laut war oder etwas schmutzig gemacht hat. Am nächsten Tag ist er dann zu mir gekommen und hat mir die Sünde gestanden. Ich trage keinen Revolver oder Stern, aber die Kinder nennen mich Sheriff. Wenn im Haus etwas kaputtgemacht wurde, verraten sie mir für eine kleine Belohnung, wer es gemacht hat. Sie sind keine Spione, aber ich habe ihnen erklärt, dass die Schäden sonst über die Mieten von ihren Eltern bezahlt werden müssen."

Der 55-jährige lebt seit 16 Jahren in Wien, ist mit einer Beamtin verheiratet und hat drei fast erwachsene Kinder. Er ist zwar studierter technische Chemiker, aber hat sich freiwillig für diese Arbeit entschieden. "Ich könnte viele Arten von Arbeiten machen, aber das macht mich einfach glücklich", sagt er. Akrami schaufelt selbst den Schnee und ist Bademeister im Schwimmbad. Bloß Reinigungen und Gärtnerarbeiten hat er an Fremdfirmen ausgelagert.

Akramis offene Art ist entscheidend dafür, dass die ethnische Integration im Modellprojekt funktioniert, sagt Ludl. "Die Mischung aus Haus-Sheriff und Beichtvater ist überall wichtig, vor allem aber dort, wo es Vorurteile und von außen hereingetragene Spannungen geben kann. Das Fehlen einer solchen Person wäre hier noch schmerzhafter." Ausländern bringe das Leben "mit normalen Österreichern in einem normalen Bau" viel, doch dafür benötigten sie eine Integrationsfigur.

Gemeinsamer Grill

Akrami beschreibt das Zusammenleben so: "Wir sind ein Dorf, in dem jeder seine Sitten und Gebräuche aus- leben kann. Der eine grillt Lammfleisch, der andere Schweinefleisch, beide auf einem gemeinsamen Grill."

Die Aufgabe eines Hausmeisters werde durch die EU-Erweiterung noch vielfältiger werden, wenn mehr Mitbürger aus den neuen EU-Staaten wie einst in der k.u.k. Monarchie nach Wien ziehen. "Ich werde mich dann als kleiner Kaiser fühlen."

Bei aller Bewunderung für seinen Mann weiß Ludl: "Es gibt zum Glück viele Akramis. Der Hausbetreuer, der offen auf alle zugeht, wird immer mehr zum Regelfall, den alten Typ des Hausdrachens gibt es nicht mehr." (Eric Frey, DER STANDA%D Printausgabe 12.3.2004)