Naomi Watts

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Wien – "Life has to go on – das Leben geht immer weiter": Diese Beschwörungsformel wird in 21 Grams / 21 Gramm wahrscheinlich am öftesten ausgesprochen. Dabei geht es in Alejandro Gonzáles Iñárritus zweitem Film vor allem um den Bruch – um fatale Ereignisse, die alles ändern, um den Tod und seine Wirkungen. Insofern ist der Umstand, dass es weitergehen muss, hier kein Trost, sondern eher das wahre Unglück.

Geradlinig erzählt wäre 21 Grams ein Melodram, sentimental und überspannt: Drei unterschiedliche Milieus, situiert an der Peripherie einer namenlosen US-Stadt, prallen durch einen Autounfall aufeinander. Jack (Benicio Del Toro), ein ehemaliger Krimineller, zerstört das Glück einer Mittelschichtsfamilie, indem er deren Vater und zwei Töchter überfährt. Das Herz des Verunglückten rettet dem todkranken Wissenschafter Paul (Sean Penn) das Leben, der wiederum die Hintergründe seines Spenders recherchiert – und so auf die Witwe Christina (Naomi Watts) trifft, in die er sich verliebt.

Radikaler noch als in seinem Debüt Amores Perros, in dem es auch schon ein zufälliger Zusammenstoß war, der die Episoden verbunden hat, splittert Iñárritu das Geschehen auf. Die ersten dreißig Minuten des Films muten wie ein abstraktes Puzzle an, Figuren treten in unterschiedlichen Konstellationen und Verfassungen in Erscheinung, zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Fabel, ohne dass sich dadurch gleich ein narrativer Bogen schließen würde: Paul etwa liegt mal röchelnd, aschgrau im Gesicht im Spital, dann wieder rauchend im Bett neben Christina.

Die zeitliche Fragmentierung zielt in 21 Grams auf die Unterstreichung von Intensitäten ab. Nicht die Chronologie der Handlungen steht hier primär im Mittelpunkt, sondern der Affekt, der ihnen vorausgeht, aber auch die Unmöglichkeit, auf so zerstörerische Ereignisse überhaupt zu reagieren. Ein solches Verfahren lenkt die Aufmerksamkeit auf die Schauspieler um, auf den Ausdruck des permanenten Überfordertseins von den Willkürakten des Lebens.

Auf Oscar-Kurs

Penn, Watts und Del Toro liefern physische Höchstanstrengungen für ihre Rollen. Wuchtige Verkörperung siegt über nuancierte Darstellung – nicht unbelohnt, sind doch Letztere für den Oscar nominiert und Penn nur deshalb nicht, weil er es bereits für Mystic River ist. Aber nicht allein der spirituell gebeutelte Jack – im Gefängnis zum fanatischen Christen gewandelt – agiert mit Dauer des Films zunehmend ins Leere.

Denn 21 Grams gibt letztlich nur vor, dem Zufall zu folgen, in Wahrheit bewegen ihn blasse metaphysische Ideen, werden Figuren und ihr Schicksal bloß exekutiert. Alles kommt darin so, wie es kommen muss, weil Iñárritu die Kausalität des Geschehens nur graduell aufhebt, auf den Suspense eines überraschenden Endes dann doch nicht verzichten kann. Im Augenblick des Todes – so die Auflösung des Titels – verlieren wir alle 21 Gramm, das Gewicht der Seele, und genau um die wird hier schwerfällig gekämpft.

Iñárritus formales Konzept bleibt daher vordergründig, den Telenovelas-Klischees und ihrem Determinismus schuldhafter Verstrickungen entgeht er allenfalls ästhetisch: Da mögen die Bilder der Handkamera Rodrigo Pietros noch so nahe an den Figuren bleiben; da mag der Blick auf Himmelsgebilde in ausgewaschenen Farben von einer höheren Gleichgültigkeit erzählen. 21 Grams hat in all dem etwas von der nur scheinbar zwecklosen Brillanz von Werbefilmen. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.2.2004)