Die Netzwerkgrafik der Universität Indiana.

Grafik: Magdalena Rawicka

Heinz Reitbauer kann sich Karfiol mit Kakao sehr gut zu Wild vorstellen. In der spanischen Küche ist es üblich, Karfiol mit Süßem wie Rosinen zu kombinieren.

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"Schranken im Kopf überwinden": Heinz Reitbauer vom Steirereck.

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Hat die Food-Pairing-Theorie überprüft: Yong-Yeol Ahn.

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Darf's eine Prise Kakao in den Chardonnay sein? Ein Klecks Erdnussbutter aufs Filet Mignon? Oder vielleicht ein Blauschimmelkern im Schokofondant? "Aber gern", sollte der experimentierfreudige Gourmet antworten. Auch wenn es nicht so klingt: Die ungewöhnlichen Kombinationen haben alle das Potenzial, herrlich zu harmonieren - weil sie einiges gemeinsam haben: ihre Aromastoffe.

Aromastoffe sind chemische Verbindungen, die mitbestimmen, wie etwas schmeckt. Lebensmittel, die viele davon teilen, haben große Chancen, zusammen gut zu schmecken. Das behaupten zumindest die Vertreter der Food-Pairing-Theorie. Vor ein paar Jahren häufte Heston Blumenthal, Koch des Dreisternrestaurants The Fat Duck, Kaviar auf weiße Schokolade und befand, dass das eine ganz hervorragende Nachspeise abgebe. Weil er wissen wollte, warum dem so ist, fragte er einen befreundeten Chemiker. Dessen Antwort: Verantwortlich seien Trimethylamin und andere Aromastoffe, die Kaviar und weiße Schoko gemeinsam haben.

Seither sind Food-Pairing-Enthusiasten auf der Suche nach möglichst absurden Kombinationsmöglichkeiten: So soll Karfiol mit Schokolade harmonieren und Austern mit Kiwis. Klingt alles sehr aufregend - aber stimmt es auch?

Flavor Network and the Principles of Food Pairing

Yong-Yeol Ahn hat sich dieser Frage angenommen. Der Koreaner ist kein Koch, sondern Netzwerkanalytiker am Informatikinstitut der Universität Indiana. In seiner neuesten Arbeit hat er gemeinsam mit Kollegen die Food-Pairing-These erstmals wissenschaftlich überprüft. "Flavor Network and the Principles of Food Pairing" heißt das Papier, das unlängst in Nature erschien.

Die Wissenschafter sahen sich an, was Menschen schmeckt - nicht einem einzelnen, nicht einer Familie, nicht den Gästen eines Restaurants - sondern Hunderten von Millionen. Dafür fütterten sie ihre Rechner mit 56.498 Rezepten aus den Onlinesammlungen epicurious und allrecipes. Um keinen ausschließlich westlich geprägten Blick, speziell auf asiatische Rezepte, zu bekommen, nahmen sie die koreanische Seite menupan dazu. Das Ergebnis ist eine neue Karte der Aromen - und eine überraschende Entdeckung: Die Food-Pairing-Theorie trifft durchaus den menschlichen Geschmack - allerdings nur in manchen Regionen.

Für die Visualisierung stellten Yong-Yeol und sein Team jede Zutat, die sie in den Rezepten fanden, durch einen Punkt dar, der umso größer wird, je öfter die Zutat in den Rezepten verwendet wird. Die einzelnen Zutatenpunkte sind durch Linien mit jenen anderen Zutaten verbunden, mit denen sie auffällig viele Aromastoffe teilen - je dicker die Linie, desto ausgeprägter das Verhältnis. Potenzielle Geschmacksharmonien lassen sich so schnell entdecken. Die Grafik oben stellt nur eine Auswahl dar.

Unterschied zwischen Europa und Südostasien

Dann untersuchten sie, welche Zutaten wo gern gemischt werden und was für Aromastoffe diese haben. Das Ergebnis: Je mehr gemeinsame Aromastoffe Zutaten haben, desto öfter werden sie gemeinsam verkocht - zumindest in den USA und in Westeuropa. In Südostasien ist es genau umgekehrt. Die häufigsten Zutatenpaarungen haben hier hinsichtlich des Aromas wenig gemeinsam. Kurz: Wer Vietnamesen bekocht, kommt nicht weit mit der Food-Pairing-Theorie, bei Franzosen funktioniert sie.

Manche Reaktionen auf die Arbeit fielen euphorisch aus: Die Untersuchung habe ihm die Augen geöffnet für die Möglichkeiten, die Computer im Allgemeinen und Cloud-Computing im Besonderen fürs Kochen bietet, schreibt Foodblogger Chuck von chuckeats, einem der derzeit erfolgreichsten Kritikerblogs. Mit mehr Daten und besseren Möglichkeiten, diese zu analysieren, könnten noch ganz andere Muster in unserem Essen gefunden werden. Die nächsten Trends des Geschmacks, meint Chuck, könnten nicht aus der Küche kommen, sondern aus der Informatik.

Doch sind diese Ergebnisse auch praktisch anwendbar? "Ich glaube, es ist noch etwas früh, um unsere Arbeit anzuwenden", meint Yong-Yeol. "Wir wissen noch nicht viel darüber, wie Aromastoffe miteinander interagieren, wie genau unsere Nase auf sie reagiert und wie unser Gehirn." Es brauche noch mehr Daten und eine bessere Analyse, sagt er.

Geschmackskarten

"Hochinteressant" findet Heinz Reitbauer, Chef vom Steirereck, die Studie trotzdem. Bis zu 100 neue Rezepte entwickelt er pro Jahr, an manchen feilt er monate- oder gar jahrelang. "Irgendwann kann man sich da im Kreis drehen, dann kann die Wissenschaft helfen, Schranken im Kopf zu überwinden."

Karfiol und Kakao etwa kann Reitbauer sich "super vorstellen zu Wild. Es ist halt eine Frage der Proportionen und des Garens." Bisher arbeitet er allerdings ohne Geschmackskarten und kommt trotzdem auf ungewöhnliche Ideen. Ausgangspunkt ist dabei meist ein Produkt. So serviert er etwa Saibling, in Bienenwachs am Tisch gegart, und nutzt das Wachs auch zum Klären von Suppen.

"Wir haben davor wochenlang alles, was in der Küche herumlag, im Wachs gegart, von der Gänseleber bis zum Erdapfel. Erst dann haben wir uns für den Saibling entschieden", sagt Reitbauer. Ob Forschungen wie jene von Yong-Yeol diesen Prozess beschleunigen können? Reitbauer ist nicht überzeugt. "Uns ging es nicht nur um den Geschmack, sondern etwa auch um den Geruch, den das heiße Wachs verströmt, wenn es zum Tisch gebracht wird." Zudem sei die Kombination aus Wachs und Fisch nicht so seltsam - "bloß gemacht hat es bisher keiner."

The History of Taste

Yong-Yeol arbeitet jedenfalls bereits an neuen Untersuchungen mit mehr und besseren Daten. Vielleicht, so hofft er, könnte es so etwas wie ein universales Muster des Geschmacks geben, das sich in der Fülle an Rezepten und Aromastoffen versteckt - eine Idee, die andere völlig absurd finden.

"Es gibt keine universellen Muster, sondern nur kulturelle, die sich langsam verändern", sagt Paul Freedmann, Historiker in Yale und Autor des Buchs Food: The History of Taste. "Die Küche des europäischen Mittelalters zum Beispiel ist faszinierend, wenn es darum geht, Süßes mit Salzigem zu kombinieren, etwa Nudeln mit Parmesan und Zucker." Geschmack ändert sich wie Mode, meint Feedmann - "heute dank Fernreisen und Internet schneller als früher".

Bestimmte Kombinationen, die auf Yong-Yeols Geschmackskarte verzeichnet sind, haben jedenfalls bereits einige Zeit überdauert: Popcorn und Kaffee etwa bilden von jeher ein Paar bei der äthiopischen Kaffeezeremonie. (Tobias Müller, DER STANDARD, Rondo, 17.2.2012)