Selbst eine sterbende Hosta gehört mit zum Schönsten, was ein Garten farblich bieten kann.

Foto: Fauma

Das Vorhaben, im Spätherbst den Garten komplett umzugraben, um das Erdreich zu erneuern, war längst definiert und auf der Task-List mit einem "urgent" versehen. Seither gilt es zu warten. Zu warten, dass die Pflanzen zu blühen aufhören. Zu warten, dass der Rasen braun wird. Zu warten, dass die Sträucher ihr Laub verlieren. Aber selbst die Paradeiser sind noch üppig bestückt, röten rasend langsam dem Einsiedeglas entgegen und stehen dem Vorhaben Tabula rasa im Weg. Und auch die Melanzani tragen noch schwer an fruchtiger Last und stehen lässig grau-grün-bläulich im Beet, umtänzelt von hocharomatischen Majoran- und Estragonblättern.

Der Salbei fühlt sich wohl wie nie, und die Engelstrompeten lassen ob ihres Blühwahnsinns Hochsommer vermuten. Der Garten will einfach nicht aufhören, der will keine Ruhe geben. Schlafenszeit! Niederlegen! Es ist ein Jammer, wenn auch ein schön anzusehender Jammer. Wie soll man Pflanzen in ihrer vollen Pracht so einfach aus der Scholle reißen? Das ist doch keine Art. Aber dieses zaudernde Siechentum seitens des Gartlers wird bestraft, wie jedes Jahr. Denn die bissigen, bösartigen Minusgrade kommen, und sie kommen plötzlich und über Nacht, begleitet von einem mordenden Eiswind, der in wenigen Stunden die bis dahin noch prahlerisch prächtigen Blüher zu laschem Kompost mutiert.

Armageddon von Schöpfung und Vernichtung

Aber bis zum Armageddon von Schöpfung und Vernichtung ist noch Zeit, und diese gilt es zu genießen. Es ist einfach eine Freude zu sehen, wie manche Pflanzen, quasi unter Torschlusspanik, noch einmal alles geben, sich in fetteste Farben hüllen, um die Wette duften und dankbar das weiche, aber nicht mehr wärmende Licht der Sonne reflekt- und absorbieren.

Auf Kosten des Höhenwachstums wird noch einmal die gesamte Energie ins Blühen investiert, manchmal sogar auf Kosten des Laubs. Man sieht dann laubfreie Stängel wie zum Beispiel bei der entzückenden Rose "Schneewittchen", deren nackte Triebe sich unter der Last der sanft-weißen Blüten krümmen. Und wer seinen Lavendel zu früh zurückgeschnitten hat, versäumt die zartvioletten, viel kleineren Blütentriebe des späten Novembers oder gar Dezembers.

Der Rollrasen, hüstel, ist grüner denn je, nervt nicht mehr durch viel zu schnelles Wachstum und fühlt sich in der jahreszeitbedingten Dauerfeuchten spürbar wohler als in der trockenen Sommerhitze. Gut so. Und auch kleine Wunder geschehen im Spätherbst: Die für verschollen, abgepascht oder verstorben geglaubte Krötenlilie Tricyrtis hirta zeigt auf einmal, so mir nichts, dir nichts, ihre kleinblättrigen, aber umso spannender gezeichneten Blüten im Schatten des ebenso fröhlich gedeihenden Chinaschilfs. Und selbst eine sterbende Hosta gehört mit zum Schönsten, was ein Garten farblich bieten kann. Von rötlichem Orange zu einem sandigen Gelb bietet eine langsam verfallende Hosta ein makaber schönes, radiär-symmetrisches Schauspiel, das seinesgleichen sucht. Im Spätherbst in der Dämmerung eine letzte Runde durch den Garten ziehen, eine Pitsche heißen Rum mit Tee in der Hand, und die dräuende Vergänglichkeit so deutlich spüren, das gehört zu den absoluten Höhepunkten des Gärtnerjahrs. Und trotzdem, es gäbe so unglaublich viel zu tun. Wenn die Pflanzen doch endlich aufgeben würden! (Gregor Fauma/Der Standard/rondo/25/11/2011)