Sitzt, passt und ist öko: Jeansmode von Kuyichi.

Foto: Hersteller

Es gibt Fragen, die werden einfach nicht gestellt. Zum Beispiel jene, ob das Fleischkleid, das Lady Gaga vor einem guten Jahr zur Verleihung der MTV Awards trug, ökologisch korrekt gewesen sei. Hatten die Rinder genügend Auslauf? War ihr Futter hormonverseucht? Wurde der Schlachter gut bezahlt? Und was, bitte sehr, passierte nach dem Auftritt mit dem Fleisch? Es wurde doch hoffentlich wiederverwertet, sprich zu einem schönen Schnitzel weiterverarbeitet.

Würde es sich bei besagtem Objekt um ein reines Lebensmittel handeln, dann wären Fragen wie diese nichts Besonderes. Bei Kleidern kommen sie aber relativ wenigen Menschen in den Sinn. Wer weiß schon, wo die Baumwolle herkommt, die zu einem T-Shirt weiterverarbeitet wurde. Ob sie mit Pestiziden verseucht wurde? Wie die Arbeitsbedingungen in der Fabrik in Bangladesch waren? Und ob das T-Shirt auch recyclet wird? Wer diese Fragen trotzdem stellt, der landet nicht selten in einer Sackgasse.

Wie David gegen Goliath

Genau das passierte zuletzt auch der Stiftung Warentest. Das bekannte deutsche Konsumentenmagazin untersuchte in seiner jüngsten Ausgabe die Produktionspraktiken von 15 Jeansanbietern - und musste erfahren, dass mehr als die Hälfte von ihnen nicht über Produktionsbedingungen und ökologische Standards Auskunft geben wollte oder konnte. Unter ihnen auch ein Label, das in der Ökobranche eigentlich eine Vorreiterrolle spielt: das niederländische Mode- und Jeanslabel Kuyichi. Dabei ist die Jeansproduktion eine der umweltschädlichsten überhaupt. Um die Jeans zu veredeln, werden Harze aufgetragen, sie werden mit Sand bestrahlt oder mit Chemikalien besprüht. Rund 150 Liter Wasser benötigen die diversen Waschungen einer einzigen Jean.

Für Kuyichi war die Veröffentlichung von Stiftung Warentest ein GAU, doch so wirklich kalt ließ die große Umfrage kaum jemanden in der Ökoszene: Schließlich schnitten ausgerechnet Zara und H&M bei dem Test am besten ab (wenngleich nicht wirklich gut). Die Multis als ökologische und soziale Vorreiter?

Die Empörung über dieses Testergebnis ist den Ökodesignern und den NGOs, die sich vor kurzem zu einem großen Symposium in Berlin trafen, noch immer ins Gesicht geschrieben. Sie zweifeln die Parameter des Tests grundsätzlich an, da er ihren eigenen Erfahrungen widerspricht: Wie David gegen Goliath kämpfen sie gegen eine Multi-Milliarden-Dollar-Industrie, die Nachhaltigkeitsfragen nur allzu gern ausklammert. Hohe Umweltstandards und faire Arbeitsbedingungen kosten schließlich Geld - und das sind weder die Fabrikanten noch die Konsumenten in den meisten Fällen bereit zu zahlen.

Konsumenten austricksen

Anders als in der Lebensmittelindustrie, wo Fragen nach der Nachhaltigkeit immer drängender gestellt werden, beschäftigt sich die Textilbranche erstaunlich wenig damit. "Das Problem ist", sagt die Journalistin Matilda Lee vom englischen Fachblatt The Ecologist, "dass zuerst gefragt wird, was man tragen sollte, und nicht was man tragen möchte." Dabei funktioniert die Mode genau anders rum: Kaum jemand wird sich für eine Jean entscheiden, die zwar nachhaltig produziert ist, aber nicht sitzt. In der Ökomodebewegung macht sich diese Erkenntnis erst langsam breit, das Kartoffelsackimage haftet ihr auch heute noch an. Neben kleinen Öko-Designern wird sie maßgeblich von NGOs getragen, die sich zwar in Umweltbelangen und bei Arbeitsbedingungen gut auskennen, vom saisonalen Geschäft mit dem modischen Begehren aber recht wenig verstehen.

"Man muss die Konsumenten austricksen", ist Laura Santamaria überzeugt, deren Magazin Sublime von Großbritannien aus in mehr als 50 Ländern vertrieben wird. Äußerlich gleicht Sublime einem Hochglanzmagazin, im Blattinneren überwiegen aber Fragen der Ethik, des Umweltschutzes und der Verteilungsgerechtigkeit. Am öftesten, sagt sie, wird sie mit der Frage konfrontiert, warum ihr Magazin so gut aussehe.

Ein Aha-Erlebnis, dass auch viele Kuyichi-Kunden bestens kennen. Anders als große Teile der Konkurrenz stellen die Niederländer statt Nachhaltigkeitsbestrebungen das Design marketingtechnisch in den Vordergrund. "Nur ein Prozent unserer Kunden kaufen uns, weil wir eine Öko-Marke sind", sagt Produktionschefin Helga Johannsdottir. Das schlechte Abschneiden bei Stiftung Warentest rechtfertigt sie mit internen Kommunikationsschwierigkeiten. Konkret niedergeschlagen habe es sich bisher bei den Großhandelsbestellungen nicht.

Der Subtext ist in diesem Fall klar: Öko ist im Bereich der High-Fashion oft mehr Bürde als Hilfe. Wenigen Labels traut man zu, gleichzeitig nachhaltig und cool zu sein. Blickt man auf die Gastroszene, dann verhält es sich genau umgekehrt. Das derzeit als das "beste Restaurant der Welt" bezeichnete Lokal Noma in Kopenhagen verfolgt eine Idee von nachhaltiger Haute Cuisine. Von Labels wie Prada, Jil Sander oder Givenchy, die eine ähnliche Position in der Designszene einnehmen, hat man diesbezüglich noch nie etwas gehört.

Strikte Verhaltenskodices

In der Mode haben eher die Outdoor-Labels die Nase vorn. Ihr Image baut auf der großen Nähe zur Natur auf, ihr Schutz macht also auch marketingtechnisch Sinn. Im Windschatten der amerikanischen Marke Patagonia, die bereits seit vielen Jahrzehnten erfolgreich eine nachhaltige Unternehmensphilosophie verfolgt, legen immer mehr Anbieter von Outdoormarken Wert auf strikte Verhaltenskodices. Der Schweizer Anbieter Mammut ist seit drei Jahren Mitglied der Fair Wear Foundation, die einen weitreichend Kodex besitzt. Er sieht eine engmaschige Kontrolle der Zulieferbetriebe in den Produzentenländern vor.

Auch Jack Wolfskin aus dem Taunus betreibt eine genaue Kontrolle seiner Zulieferbetriebe. "Das sind derzeit allerdings mehr als 60, da gestalten sich die Kontrollen ganz schön schwierig", sagt Melanie Kuntnawitz, die im Unternehmen die CSR verantwortet. Fast alle Fabriken in China, Vietnam oder Bangladesch arbeiten für unterschiedliche Auftraggeber, nur die größeren von ihnen sind in der Lage, Druck auszuüben, wenn es um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen geht. Kleine Labels schauen dagegen durch die Finger.

Sie werden gleich doppelt bestraft. Nicht nur, dass sie kaum Mitsprachemöglichkeiten bei der Produktion haben, meist zahlen sie auch Pönalen, weil sie nur in kleinen Stückzahlen produzieren lassen. Das erhöht den Einzelhandelspreis noch einmal.

Für große Unternehmen ist es oft wesentlich einfacher, nachhaltig zu produzieren. Kalkulationen der FLO/FWF in einem Projekt sowie die Erfahrung mit der Fabrik Alta Gracia hätten gezeigt, dass der Retail-Preis sich um ein bis 20 Prozent erhöht, wenn Existenzlöhne eingeführt werden, weiß Mark Starmanns von der Universität Zürich. Warum sie dennoch unterbleibt, diese Frage sollte gestellt werden. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/04/11/2011)