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Kaum eine andere Tätigkeit bietet einem ein so wunderbares Wegdriften der Gedanken, eine mit sich und seinen Ideen im Austausch stehende Kontemplation und ein Gebären neuer Denkwege.

Foto: APA/Karl-Josef Hildenbrand

Juli, die beste Blütenzeit ist vorbei. Jetzt tanken jene Pflanzen wieder Kraft, die sich im Juni verausgabt haben. Rosen, Clematen und andere schrille Blüher investieren wieder mehr in ihre Blätter und das Wachstum, um dann in einigen Wochen eventuell erneut aufzublühen. Remontierend heißt die Eigenschaft, mehrmals im Jahr eine Blüte hervorzubringen.

Ich bin schon gespannt, ob die mit den Worten "duftend, remontierend, buschig" von mir geforderte und von Herrn Krepela von der gleichnamigen Gärtnerei mit "Princess Alexandra of Kent" vorgeschlagene und letztendlich verkaufte Rose dem nachkommen wird. Denn meine eigenen Rosen schmollen nach wie vor ob des Bezirkswechsels mitten in ihrer Winterruhe. Die wahren Großmeister des Remontierens scheinen mir aber die Unkräuter, oder, political-hortico-correctly, Wildkräuter oder auch "Spontane Begleitvegetation" zu sein. Ohne Unterlass schieben sie ihre Schosse aus der bleiernen Erde, saftig grün recken sie ihre gierigen Triebe gen Licht und mit einer unglaublichen Chuzpe schnorren sie Nährstoffe, Platz und Wasser von den gewollten und bewusst gesetzten Gartenkindern.

Wegdriften der Gedanken

Ich habe dieses Jahr schon so viele Pappeltriebe gezupft, dass man damit das Land der Phönizier wieder aufforsten hätte können. Aber ich bin ihnen dafür dankbar. Kaum eine andere Tätigkeit bietet einem ein so wunderbares Wegdriften der Gedanken, eine mit sich und seinen Ideen im Austausch stehende Kontemplation und ein Gebären neuer Denkwege. Während die Hand in gleichförmigen Bewegungen den Wildtrieb möglichst am Wurzelansatz packt und herauszupft, verstummen Sorgen und innere Konflikte. Im Allerkleinsten, im Pflegen der Beete nur wenige Zentimeter über der Scholle, findet man Ruhe, Frieden und innere Einkehr. Jogging, Bikran-Yoga und andere Ganzkörperrelaxantien haben für einige Zeit Pause.

Das bewusste Verändern der Natur, das Domestizieren von Pflanzen und Tieren, schlussendlich das Kontrollieren und Bestimmen der Vorgänge um einen herum sind möglicherweise die Wurzeln dieses zutiefst befriedigenden Triebs des Unkrautrupfens. Als entscheidende Instanz betreibt man Selektion, für manche gottgleich, für andere eher eine zufällige Erscheinung, ein Öko-Parameter, der bestimmt, welches Pflänzlein weiterleben darf und welches ausgerupft werden muss. Ist man Teil der Natur, der Umwelt - oder sind wir Menschen außerhalb dieser Begriffswelt? 

Störrisch und unberechenbar

Oft greift die Hand auch unsicher zu, weiß der an sie angewachsene Gärtner nicht, ob der Keimling eine gewünschte und bewusst gesetzte Rarität ist, oder doch nur ein Kind des Windes, das sich hier zufällig angesiedelt hat. Man kann ja beide eine Weile stehen lassen, um sich dann für die langsamere Pflanze zu entscheiden. Denn das Unkraut, glauben Sie es mir, wächst immer schneller, prächtiger und gesünder. Manche Wildkräuter, wie zum Beispiel die Vogelmiere, kann man essen. Sie blüht übrigens auch sehr schmuck.

Wie auch der Klatschmohn, der störrisch und unberechenbar durch die Lande zieht. Kaum eine Geröllhalde ist vor seiner Pracht sicher, kein Schutthaufen ist ihm zu trocken, er hält alles aus. Aber wehe, sie möchten ihn mitnehmen und in ihr High-End-Superboden-beste-Bedingungen-Beet stecken.

Er wird dort innerhalb weniger Stunden zusammenfallen und sich nicht mehr derappeln. Wie Hohn wirkt da die gärtnerisch noch unbestellte Fläche unter dem Badezimmerfenster: Roter Klatschmohn, zittrig im Wind und von leuchtender Intensität, matcht sich mit dem tiefblauen Feldrittersporn, durchsetzt von Persischem Ehrenpreis, gelbem Ackersenf und dem hübschen Hirtentäschel. Dieses Beet wurde noch nie gegossen, noch nie gedüngt, nicht gemulcht und auch sonst überhaupt nichts - es wird ausschließlich bewundert. (Gregor Fauma/Der Standard/rondo/08/07/2011)