DER STANDARD: Sie sprangen vor fünf Jahren für Ross Lovegrove als Designprofessor an der Wiener Universität für angewandte Kunst ein. Jetzt ist Schluss. Warum?

Hartmut Esslinger: Ganz einfach, mein Vertrag läuft aus. Außerdem will ich immer etwas Neues machen, auch mit 67. Im Moment arbeite ich an einem Konzept für ein Institut an der Fudan-Universität in Schanghai.

DER STANDARD: Was ist der Unterschied zwischen Design in China und hier?

Esslinger: Ein chinesischer Staatssekretär sagte mir, "China ist in Sachen Design ein Entwicklungsland. Österreich auch. Aber die Österreicher wissen es nicht."

DER STANDARD: Woran hapert's denn?

Esslinger: Am fehlenden Verständnis für kreatives Denken in der Grunderziehung und an der staatlichen Finanzierung einer Hochschulausbildung ohne Zukunft - und das über Jahrzehnte. Die Studenten, die sich zum Beispiel am Mozarteum in Salzburg bewerben, kommen dort schon als ausgebildete Musiker hin. Das ist eine Grundlage, die es im Design nicht gibt.

DER STANDARD: Wer wird Ihr Nachfolger hier am Institut in Wien?

Esslinger: Fiona Raby aus London.

DER STANDARD: Eine gute Entscheidung?

Esslinger: Man geht mit dieser Entscheidung wieder zurück zum Kunsthandwerk, anstatt Design als Beruf mit der Mission zu nachhaltiger Entwicklung zu fördern.

DER STANDARD: Wen hätten Sie sich gewünscht?

Esslinger: Jemanden wie den Philips-Chefdesigner Stefano Marzano, der auch als Mentor an der sehr innovativen Technischen Universität in Eindhoven tätig ist. Design ist Konzept. Von der Kunstseite her sind keine Lösungen der heutigen Herausforderungen wie Klimawandel und Arbeitsplatzverluste durch gedankenloses Outsourcing zu erwarten. Mir wurde hier immer wieder ganz offiziell bestätigt, dass Design in Österreich immer noch keinerlei wirtschaftliche Bedeutung hat.

DER STANDARD: Wer will hierzulande trotzdem Designer werden?

Esslinger: Kennen Sie die Teetopf-Theorie? Man haut mit dem Baseballschläger auf eine Teekanne und legt die Scherben den Studenten vor. Die wissen natürlich, was das ist, aber die Frage lautet: Was machen sie daraus? Manche picken die Teekanne wieder zusammen, andere bauen aus den Scherben ein Raumschiff. Die den Teetopf flicken, sind nicht kreativ. Diese Leute braucht man auch, weil sie reparieren können. Aber wir benötigen natürlich auch die Schöpfer.

DER STANDARD: Wie ist das Verhältnis zwischen Schöpfern und Reparateuren?

Esslinger: Ich würde sagen, unter zehn Leuten sind ein bis zwei Schöpfer. In den letzten fünf Jahren hier haben wir hier mindestens zehn solcher wirklicher Top-Schöpfer mit unfassbarem Willen zum Tun und Denken herausgebracht, die auch lernfähig ohne Ende sind. Das sind zwei pro Jahr, und das ist sehr gut. Wir brauchen nicht so viele Designer, es geht um strategische, komplette, mutige Schöpfer, eben Pioniere. Unser Job ist ein schwieriger, es ist, wie Schauspieler zu sein. Man muss raus, aber es gibt kein Remake. Man muss geschickt sein und vor allem die systemischen Prozesse beherrschen, denn die meisten Projekte gehen in der Interaktion mit den Unternehmen kaputt.

DER STANDARD: Neben vielen anderen Auszeichnungen kürte das "Time Magazine" Ihren Entwurf des Apple IIC seinerzeit zum "Design of the Year". Andere rücken Sie in Sachen Bedeutung in die Nähe des großen Raymond Loewy. Wie wichtig ist der Name?

Esslinger: Der Name ist am Beginn wichtig, wenn es darum geht, respektiert zu werden. Das ist leider so. Bei mir hat es jedoch immer über die wirtschaftlichen Erfolge funktioniert, erst durch meinen Job bei Sony, dann bei Apple usw. Ich wurde immer mit dem Kunden erfolgreich. Und dann habe ich mit meiner Frau Patricia Roller in Form von "frog" auch ein relevantes Kreativ-Unternehmen aufgebaut, welches heute in 15 globalen Studios mehr als 1600 Mitarbeiter beschäftigt.

DER STANDARD: "Wenn man als Designer etwas macht, muss es so neu sein, dass es niemand anderer macht", sagten Sie über den Esslinger-Stil. Wird das nicht immer schwieriger?

Esslinger: Aber nein, das ist das Allerleichteste. Das ist ein unendlicher Ozean. Wenn Sie einmal wissen, wo Sie schöpfen sollen, nehmen Sie ein Kelle und schöpfen immer wieder. Das Problem ist, dorthin zu kommen.

DER STANDARD: Wie kommt man dorthin?

Esslinger: Das ist ein Prozess, da geht es um Fleiß, um Motivation, Ethik, Zusammenarbeit, Kommunikation. Und wenn man den Prozess verstanden hat, dann ist das fast wie eine Maschine, die läuft und läuft. Aber das dauert und kostet viel Geld.

DER STANDARD: Macht das auch den Erfolg von Apple aus?

Esslinger: Ich denke schon. Steve Jobs ist der Logiker, der Kreativität versteht. Kreativität ist das Allereinfachste. Ich höre oft das Gejammer von wegen wir brauchen eine Idee. So what?! Jobs ist außerdem ein Logiker, der weiß, was Kreativität wert ist.

DER STANDARD: Philippe Starck meinte vor kurzem, dass 85 Prozent der Produkte, die uns umgeben, nur produziert und designt werden, um uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Er sagte weiter, die einzige Rettung des Planeten wäre, den Konsum drastisch herunterzuschrauben.

Esslinger: Über die Prozentzahl kann man streiten, sonst geb ich ihm recht. Wir müssen vom materiellen Design zum virtuellen Design kommen. Von Produkten, die etwas sind, zu Produkten, die etwas tun können. Das Tun ist der Wert.

DER STANDARD: Wird bei einem Sofa schwierig werden.

Esslinger: Darum bin ich auch aus der Mode raus. Noch ein Koffer, noch eine Tasche, noch ein Schuh, das ist doch Quatsch; "frog" hat z. B. für eine private Stiftung Aids-Tests für Südafrika entwickelt, die aussehen wie ein Shampoo, und die bei einem positiven Ergebnis über einen Telefonchip weiterhelfen können. Es geht darum, ein System einzufädeln. Auch das ist Design.

DER STANDARD: Nehmen Sie die Gegenstände in Ihrer Umwelt eigentlich alle bewusst wahr?

Esslinger: Schon, das gilt für Stifte, Tassen, Brillen, klar. Leider ist das Meiste ziemlich hässlich. Das ist wie bei einem Musiker, der andauernd schlechte Musik hört. Wobei ich das Designergetue absolut lächerlich finde. Deshalb hab ich mir auch diese goldene Armbanduhr gekauft. Meine Frau hat damals in Zürich gesagt: "Wenn du Mut hast, dann kaufst du dir jetzt diese Uhr!" Ich sehe sie als Provokation, als Statement.

DER STANDARD: Was wollen Sie mit ihr sagen?

Esslinger: Das ist Anti-Design. Ist einfach nur eine Uhr. Außerdem hat sie so eine coole Räuberstilistik.

DER STANDARD: Das Schönste, was Sie von Ihrer Lehrtätigkeit mitnehmen?

Esslinger: Wir haben in diesen Jahren ein Niveau erreicht, das mich beruhigt weggehen lässt. Mehr ist nicht drin. Das sieht man an den Arbeiten. Die Studenten - und mein fleißiges Assistententeam - haben unglaublich hart und selbstkritisch gearbeitet.

Ein Meilenstein von "frog-design", der Apple MacIntosh von 1984.

(Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/08/07/2011)