Er ist ein Meister der Farben und Muster: hier Dries Van Notens Herbstkollektion.

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Dries Van Noten ist der wohl bekannteste Designer aus Belgien. Geboren 1958 in Antwerpen, besuchte er die Royal Academy in seiner Heimatstadt. 1986 öffnete er seine erste Boutique, heute betreibt sein Label eine ganze Reihe von Geschäften weltweit. Van Noten zeigt seine Frauen- und Männerkollektionen in Paris. Er lebt in Antwerpen.

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DER STANDARD: Sie waren gerade auf Urlaub. Wo waren Sie?

Dries Van Noten: Ich bin zu Hause geblieben.

DER STANDARD: Reisen Sie nicht gern?

Van Noten: Eigentlich nicht. Ich liebe es zu gärtnern. Den gesamten Winter über habe ich Listen gemacht, welche neuen Pflanzen ich pflanzen möchte. Das habe ich jetzt endlich gemacht.

DER STANDARD: Sie haben gegärtnert?

Van Noten: Für mich ist Gärtnern jene Tätigkeit, bei der ich mich am besten entspannen kann. Die Modewelt ist hektisch und oberflächlich. In einem Garten lernt man, die Natur zu respektieren. Ich bin ein großer Liebhaber von englischen Gärten. Sie sind ein Abbild einer perfekten Welt, die so nicht wirklich existiert.

DER STANDARD: Die Natur, vor allem die exotische, spielt in Ihren Designs eine große Rolle. Und das, obwohl Sie kaum reisen.

Van Noten: Man muss nicht nach Asien reisen, um sich von der dortigen Ästhetik inspirieren zu lassen. Um kreativ zu sein, genügt es, stimuliert zu werden. Von einem Bild zum Beispiel. Wer nach Marokko reisen muss, um eine Kollektion zu entwerfen, der wird am Ende nur das kopieren, was er dort sieht.

DER STANDARD: Und das ist langweilig?

Van Noten: Natürlich. Es geht um die Brüche. Sie entsprechen auch dem, wie Mode heute getragen wird. Wenn jemand eine Tracht trägt, dann interessiert mich die moderne Sonnenbrille, die er oder sie dazu trägt.

DER STANDARD: Sehen Sie sich selbst als Provokateur?

Van Noten: Ich mag es zu provozieren, allerdings nicht zu schockieren. Ich stelle Dinge infrage. Wenn etwas zu schön ist, dann geht mir das auf die Nerven.

DER STANDARD: Es wird immer schwieriger, Dinge infrage zu stellen.

Van Noten: Nein, gar nicht. Große Dekolletés locken heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervor, aber Sie brauchen nur eine Kollektion mit langen schwarzen Mänteln zu entwerfen, die aussehen, als ob sie von Nonnen getragen werden könnten, dann sind die Menschen schockiert.

DER STANDARD: Konservative Kleidung ist heute schockierend?

Van Noten: Ich weiß nicht, ob das Wort konservativ das richtige ist. Konservativ ist für mich, wie sich etwa HipHopper oder die R-'n'-B-Szene anziehen. Konservativ ist das, was allgemein als cool akzeptiert ist.

DER STANDARD: Bei "Macbeth" heißt es: Was schön ist, ist hässlich. Was hässlich ist, ist schön. Gefällt Ihnen dieser Satz?

Van Noten: Perfekte Schönheit ist in der Tat langweilig. Eine wunderschöne Frau, die den allgemeinen Regeln der Schönheit folgt, ist eine Puppe. Ich mag Frauen mit großen Nasen oder abstehenden Ohren. Auch in meinem Garten langweilt es mich, strikt den Regeln der Harmonie zu folgen. Ich setze Pflanzen nebeneinander, die normalerweise nicht zusammengehören.

DER STANDARD: Was ist Ihre Definition von Schönheit?

Van Noten: Schönheit ändert sich. Es gibt natürlich einige Fixpunkte wie zum Beispiel den Goldenen Schnitt. Aber Farben und Volumen, die wir heute als schön erachten, sind es morgen nicht mehr. Das macht die Arbeit als Modedesigner auch so herausfordernd.

DER STANDARD: Sie sind in einer Mode-Familie aufgewachsen. War es immer klar, dass Sie Modedesigner werden?

Van Noten: Die Leidenschaft zu meinem Job gründet sich in meiner Liebe zum Handwerk. Welche Materialien, welche Drucke, welche Schnitte ich mir auch immer in den Kopf setze, ich kann sie verwirklichen.

DER STANDARD: Ihr Großvater arbeitete als Schneider, Ihr Vater verkaufte Designermode in Belgien. Wer hat Sie mehr geprägt?

Van Noten: Zu meinem Großvater hatte ich wenig Kontakt. Da wir auf dem Land wohnten und ich nach der Schule nicht allein zu Hause sitzen wollte, verbrachte ich viel Zeit im Unternehmen meines Vaters. In den Schulferien reisten wir nach Paris oder Düsseldorf, um Order zu schreiben. Als ich 16 war, stellte ich das alles infrage und beschloss, Modedesign zu studieren.

DER STANDARD: Das klingt nicht nach Rebellion.

Van Noten: War es aber. Mein Vater wollte, dass ich das Unternehmen übernehme. Aber mich interessierte es weitaus mehr, Mode selbst zu entwerfen, als sie einzukaufen. Da gab's einen ganz schönen Krach mit meinen Eltern.

DER STANDARD: Belgische Mode steht heute für einen ganz eigenen Stil. Damals auch schon?

Van Noten: Nein, es gab einige alternative Designer hier in Antwerpen. Das war's dann aber schon. Ich selbst wuchs in spannenden Zeiten auf, es war die Zeit von Versace und Armani, plötzlich wurde Leinen oder Leder in der Herrenmode verwendet. Das gab es vorher nicht. Jacketts ohne Schulterpolster. Dann kamen Montana, Mugler, Gaultier, die Japaner. Wir sogen alles auf.

DER STANDARD: Und kamen zu welchen Ergebnissen?

Van Noten: Es wird immer von einem belgischen Modestil gesprochen, aber die Wahrheit ist, dass wir alle von Beginn an sehr unterschiedliche Mode entwarfen. Der Stil von Ann Demeulemeester ist nicht mit jenem von Martin Margiela, Dirk Bikkembergs oder Walter Van Beirendonck zu vergleichen. Das Einzige, was uns verbindet, ist, dass wir aus Belgien kommen.

DER STANDARD: Sie gingen als "Antwerp Six" in die Modegeschichte ein. In der Retrospektive klingt das wie eine Imagekampagne.

Van Noten: Es war unsere eigene Entscheidung, uns als belgische Designer vorzustellen, als wir 1985 das erste Mal in Paris zeigten. Das hatte praktische Gründe, wir konnten uns schlichtweg nur einen Presseagenten leisten. Es ging nicht darum, einen Stil zu propagieren.

DER STANDARD: Es fällt aber auf, dass belgische Designer - mit Ausnahme vielleicht von Dirk Bikkembergs - alle in einer gewissen Distanz zur Modeszene agieren.

Van Noten: Von Antwerpen nach Paris sind es nur zwei Stunden, wir müssen nicht nach Paris ziehen. Es gibt hier mehr Ruhe.

DER STANDARD: Die Mode wird derzeit von großen Konglomeraten bestimmt. Vermissen Sie Kreativität?

Van Noten: Es ist schade, dass der Kommerz derzeit so übermächtig ist. Ich frage mich, wie lange das noch gehen kann. Statt zwei Kollektionen gibt es mittlerweile vier, kaum wird Mode auf dem Laufsteg gezeigt, wird sie auch schon im Internet angeboten.

DER STANDARD: Es sieht nicht so aus, als ob sich das ändern würde.

Van Noten: In vielen Städten entstehen derzeit kleine Geschäfte, die von jungen Leuten betrieben werden. Das Internet bietet Möglichkeiten, sich finanziell über Wasser zu halten. Das macht mir Hoffnung.

DER STANDARD: Manche meinen, dass Modeschauen in der jetzigen Form verschwinden werden. Was ist Ihre Meinung?

Van Noten: Modeschauen sind notwendig, sowohl für die Einkäufer als auch die Designer. Für mich sind sie der einzige Weg, um meine Geschichte zu erzählen. Fragen Sie junge Designer, ob sie ihre Kleidung im Internet präsentieren wollen oder auf einer Modeschau. 99 Prozent werden eine Modeschau vorziehen.

DER STANDARD: Tickt die Generation, die in der Mode derzeit nachwächst, ähnlich wie die Ihre?

Van Noten: Nein, sie verwirrt mich. Für viele junge Designer ist Mode eine Kunstform, in die sie nicht wirklich involviert sind. Als Studenten kleideten wir uns wie Pfaue. Die heutigen Modestudenten kann man von Grafikstudenten nicht unterscheiden.

DER STANDARD: In Ihrer Jugend gab es nicht so viele Möglichkeiten der Selbstdarstellung. Da kam Mode eine andere Funktion zu.

Van Noten: Die heutige Youtube-Generation will aus sich selbst ein Produkt machen. Das mag ich nicht.

DER STANDARD: Mode hat immer mit Produkten zu tun. Warum nicht aus sich selbst ein Produkt machen?

Van Noten: Nein. Mode ist etwas, um seine Persönlichkeit zu unterstreichen, es ist eine Kommunikationsform. Es geht nicht darum, sich selbst zu verkaufen.

DER STANDARD: Ihr Label heißt Dries Van Noten. Auch Sie haben aus sich selbst ein Produkt gemacht.

Van Noten: Ich möchte aber nicht, dass die Käufer meiner Mode wie Dries Van Noten aussehen. Sie sollen wie sie selbst aussehen - mit ganz eigenen Vorstellungen vom Leben.

DER STANDARD: Mode handelt sehr oft von Jugend ...

Van Noten: ... aber nicht immer. Ich kenne wenige, die wie ein 16-jähriges Mädchen aussehen möchten. Trotzdem benutzen wir junge Models, um eine ideale Welt darzustellen. 1996 zeigte ich meine Kollektion nicht an Models, sondern an realen Frauen. Wir hatten wenig Erfolg damit, die Menschen beklagten sich, dass wir ihnen ihre Träume gestohlen hätten. Menschen wollen nicht mit der Realität konfrontiert werden.

DER STANDARD: So dünn wie heute waren Models noch nie. Stellen sie wirklich ideale Körperformen dar?

Van Noten: Das wird sich wieder ändern. Derzeit hat man als Designer wenig Chancen, andere Mädchen zu engagieren. Man muss in den Augen von Stylisten und der Presse als cool gelten.

DER STANDARD: Wenn das jeder sagt, wird sich nichts ändern.

Van Noten: Es wird Veränderungen geben. Es wird nicht wirklich schnell gehen, aber ich bin sicher, sie kommen.(DER STANDARD Rondo, 24.6.2011)