Hände wie Teppichpracker und ein Herz für die Tiere, die er schlachtet: Jede Sau, jeden Stier holt Christoph Hödl selbst vom Bauern.

Foto: Heribert Corn

Foto: Heribert Corn

Leopold Hödl war zehn, als ihn sein Vater erstmals mitnahm auf den Bauernhof. Am Samstagmorgen fuhren sie ins Tullnerfeld und sahen sich die Schweine an, diese quiekten und grunzten und suhlten sich im Stall. Dieses da nehmen wir, sagte der Vater, dieses hier und das. Eine Woche später brachten sie diese nach Wien und stachen sie gemeinsam ab.

Heute ist Hödl 55 und macht das noch immer so: 20 Schweine schlachtet er pro Woche, dazu drei Kälber, drei Stiere und alle paar Wochen einmal ein Pferd. Seit ein paar Jahren macht Sohn Christoph mit. Die beiden sind die letzten Fleischer, die in Wien noch selbst schlachten. Seine Kollegenschaft lässt sich die "Weidnerware", wie die fertig zugerichteten Rinder- und Schweinehälften im Fachjargon genannt werden, längst fixfertig aus dem Schlachthof anliefern.

20 Schlachthöfe statt tausenden Fleischern

Als Hödl Senior seine Meisterprüfung machte, traten mit ihm 40 andere Lehrlinge an. Bei Hödl Junior waren es nur noch zehn, von denen außer ihm nur einer wusste, wie man einen Stier schlachtet. Bestanden haben sie trotzdem alle, denn sie brauchen dieses Wissen nicht mehr im Beruf. Was früher tausende Fleischer taten, erledigen heute 20 große Schlachthöfe: 95 Prozent der Schlachttiere Österreichs werden dort geschlagen. Der letzte Kahlschlag unter den Selberschlachtern kam Anfang 2011, als die EU ihre Auflagen verschärfte: Die Hofschlachtung ging dadurch um 80 Prozent zurück.

Hödl will nichts Schlechtes sagen über andere. Aber Schlachthöfe sind Fleischfabriken, wo schlecht bezahlte, unmotivierte Hilfsarbeiter am Fließband schlagen: Der Erste betäubt, der Zweite schlitzt, der Dritte zerlegt mit der Hydrauliksäge. Weil die Tiere vorher oft Stunden auf dem Laster fahren und dann vom Lkw gleich in den Tod getrieben werden, sind ihre Muskeln voller Stresshormone, die das Fleisch später wässrig machen. "Fleisch vom Schlachthof ist wie eine Gummipuppe", sagt Hödl: So tot, als ob es nie lebendig gewesen wäre. Wer Tiere richtig töten will, der muss sie achten - weil Fleisch so schmeckt, wie es als Tier behandelt wurde und nur ein glückliches Tier auch seine Esser glücklich macht.

Gutes Fleischhauen braucht Platz

Hödls Geschäft liegt weit draußen, an der Breitenfurter Straße, wo die Stadt langsam nach Westen ausfranst. Gutes Fleischhauen braucht Platz, für einen Hof mit Stall, in dem die Tiere sich über Nacht erholen können von der Anfahrt, und einer Dusche, um sie zu beruhigen.

Jeden Sonntag fährt er hinaus ins Tullnerfeld und holt die Schweine und die Kühe, wo Letztere mit Mais gemästet werden, weil mit Heu allein wird das nichts mit der Marmorierung. Die Kälber holt er aus der Buckligen Welt, wo die Milchkühe auf der Weide stehen und ihren Nachwuchs stillen können. Er wählt sie alle selbst aus, so wie er auch sonst alles selbst macht. Das Schwein muss einen breiten Buckel haben und entsprechenden Fettanteil: 56 bis 58 Prozent Karree zu Speck gilt als ideal. Das Rind muss gut gemästet und gewachsen sein, mit Muskeln an den richtigen Stellen.

Montags, um halb eins in der Früh, geht dann das Schlachten los, 20 Schweine in vier Stunden, und keines soll sich fürchten, das ist die Kunst des Fleischers. Am Dienstag um halb drei folgen die Rinder. Bis zu 14 Tage dürfen sie trocken abhängen, länger ist schwierig, weil moderne Stiere oft nicht so fett sind, wie sie es sein müssten, um langes Reifen auszuhalten. Den Rest der Woche wird zerlegt und eingekocht, erst Blutwurst, dann Frankfurter, Krakauer, Polnische. 14 Stunden am Tag, fünfmal die Woche, haut Hödl Fleisch. Zwei Wochen Urlaub macht er im Jahr, eine verbringt er in Kärnten, die andere im Geschäft.

Idealismus und Besessenheit

Die Fleischerei ist alles, was er hat, sagt er, und wenn er durch die gefliesten Räume geht und seine massive Statur sich in den Edelstahltüren spiegelt, ist schwer zu sagen, wo die Fleischerei anfängt und Hödl aufhört. Idealismus, nennt Hödl die Einstellung zu seiner Arbeit, Besessenheit käme aber auch hin.

Was er verkauft, das soll perfekt sein, besser als das, was alle anderen verkaufen. Der schönste Lohn ist, wenn's den Leuten schmeckt. Einmal, erzählt Hödl, hat er einen ganzen Beinschinken geliefert an eine Hochzeitsgesellschaft, feine Leute mit teuren Autos und einer Vorliebe für Meeresfrüchte. Als er mit seinem Schinken kam, haben sie ihn schräg angesehen. Am nächsten Tag aber haben sie ihn angerufen, weil so was Gutes wie den Beinschinken, das hatten sie noch nie.

Hödl muss los, Handschuhe kaufen für den neuen Lehrling, den ersten seit zwölf Jahren. Der ist zwar noch etwas schmächtig, aber mit ordentlich Extrawurst und Leberkäs wird das schon werden. Wenn nicht, gibt es seit kurzem die nächste Generation Hödl, und die kommt bestimmt schon bald mit auf den Bauernhof. (Tobias Müller/Der Standard/rondo/17/06/2011)