Der Ökologe und Fischer Martin Müller bewirtschaftet das alpine Gewässer mit größtmöglicher Sorgfalt.

Foto: Georg Desrues

Kalk auf dem Grund verleiht dem Weissensee seine unwirklich anmutende Farbe.

Foto: Stefan Vathe

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Foto: Georg Desrues

Selbst in diesem schönen Mai ist es so zeitig am Morgen bitterkalt am Weissensee. Die Sonne steckt noch hinter den Nockbergen, Dampf steigt aus dem See, zieht über das spiegelglatte Wasser. Zwischen den Schwaden tauchen Angler in Booten auf. Kleine Wasservögel mit skurrilem Kopfschmuck schwimmen vorbei; es sind Haubentaucher. Die Vögel zwitschern, ein paar Enten quaken; ansonsten herrscht Stille im Alpenidyll.

Der Fischer Martin Müller macht sein Boot klar. "Wir müssen schauen, dass wir die Angler nicht stören", sagt er und wirft den Außenbordmotor an. Müller ist der einzige Berufsfischer am Weissensee und somit neben der öffentlichen Passagier-Schifffahrt auch der Einzige, der hier mit Benzinmotor fahren darf. Die Fahrt geht Richtung Osten, dorthin, wo der See noch komplett unverbaut ist. Dicht bewaldete Steilhänge ragen an den Ufern empor; die Farbe des Wassers schwankt zwischen tiefem Grün und hell leuchtendem Türkis. Die Kombination ergibt ein leicht surreales Bild, wie eine Mischung aus kanadischem See und karibischer Bucht. "Es sind die weißen Kalkablagerungen, die dem See die Farbe und den Namen geben", erklärt Müller. In dem glasklaren Wasser rund ums Boot tummeln sich, gut sichtbar, etliche Fische. Für den Fischer ist es kein Problem, sie auch zu benennen: Karpfen, Barsche und Seeforellen, Saiblinge, Hechte und Reinanken - er kennt sie alle.

Schwerpunkten Limnologie

Müller ist mit dem Weissensee verwachsen. Hier verbrachte er seine Kindheit, und hierher kam er zurück, nachdem er in Wien Ökologie mit den Schwerpunkten Limnologie (Ökologie der Binnengewässer), Fischökologie und Fischbiologie studiert hatte. Thema seiner Diplomarbeit war - wie könnte es anders sein? - die Reinanke im Weissensee. 2005 eröffnete er dann seinen eigenen Fischereibetrieb. Müller ist Biologe, Fischer und Fischzüchter in Personalunion. Passionierter Angler ist er obendrein, und zwar von Kindheit auf.

"Ich versuche, den Weissensee ganzheitlich zu begreifen und zu bewirtschaften. Das ist nicht immer leicht, denn für einen Angler bedeutet ein guter Fischbestand oft etwas anderes als für einen Biologen oder einen Berufsfischer", sagt Müller. Genau aus diesem Grund sei es auch kein leichtes Unterfangen gewesen, sich hier als Netzfischer niederzulassen. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem ich begonnen habe, ist der Bestand an Reinanken im Weissensee zusammengebrochen. 

Kippendes Ökosystem

Die Angler machten meine Netzfischerei dafür verantwortlich, obwohl es wissenschaftlich bewiesen ist, dass die damit gar nichts zu tun hatte. Es bestand zuvor eine Überpopulation an Reinanken, dadurch gab es für die Larven nicht mehr genug zu essen, das Ökosystem kippte. So etwas wie exponentielles Wachstum gibt es eben nirgendwo", sagt Müller. Viele hätten das aber nicht verstanden und deswegen Druck auf den Jungunternehmer ausgeübt, ist doch der Angeltourismus am Weissensee ein bedeutender Wirtschaftszweig, den Hoteliers und Wirte der Gegend mit allen Mitteln zu bewahren trachten.

In der Zwischenzeit haben sich die Wogen geglättet. Bis zu zwei Tonnen Reinanken hole er heute pro Saison aus dem See; sechs Tonnen, so schätzt er, müssten es sein, wenn er die Nachfrage nach dem edlen Fisch auch befriedigen wollte. "Danach richten wir uns aber eben nicht, sondern nach dem Fischbestand", sagt Müller. Das klingt zwar nur allzu logisch und schlüssig - und ist trotzdem genau das Gegenteil dessen, was viele Fischer in aller Welt betreiben; egal, ob in kleinen Bergseen oder in den Tiefen des Ozeans.

Qualität und Umweltverträglichkeit

Die Fangmengen sind mit der Agrargemeinschaft, der die Fischereirechte am Weissensee gehören, abgesprochen. Den Großteil seines Fangs verkauft Müller an die lokalen Wirte. Nur ein kleiner Teil der Reinanken wird, falls es die Menge zulässt, auch per Boten verschickt oder im eigenen Geschäft verkauft. Um die ständig wachsende Nachfrage nach heimischen Süßwasserfischen auch jenseits seiner Quoten zu befriedigen, produziert der Fischzüchter Müller auch seine eigenen Fische, darunter vorwiegend Seeforellen und Saiblinge. "Leider sind beides Raubfische, die ein Mehrfaches ihres eigenen Gewichts an Fischmehl fressen", ist sich Müller bewusst.

Aber das sei nun einmal nicht zu ändern, denn würde der Markt nur mit Wildfang versorgt werden, wäre das baldige ökologische Ende fast aller Alpenseen in Österreich gewiss. Er konzentriert sich deswegen in seinem bescheidenen Zuchtbetrieb auf Qualität und Umweltverträglichkeit, arbeitet keinesfalls mit Chemikalien oder gar Antibiotika, wie das in den riesigen und überfüllten Becken der industriellen Massenaufzucht nur allzu oft der Fall ist.

In den Handel kommen die gezüchteten Saiblinge, Seeforellen, Reinanken entweder frisch oder aber im Ganzen und als Filet, sowohl kalt als auch warm geräuchert. Müller achtet dabei darauf, die Fische nicht mehr als unbedingt notwendig zu behandeln, salzt mit äußerster Zurückhaltung und verwendet zum Räuchern nur hochwertiges Buchenmehl und -späne.

Knackiger Biss

In seiner weiteren Funktion als Angler ist es vorrangig der Karpfen, den Müller fängt und von weiteren Anglern zukauft. Geschmack wie Konsistenz des Pflanzenfressers aus dem Weissensee überraschen: Statt durch gefürchtetes Grundeln und schlammigen Labber besticht der geangelte Karpfen aus den eisigen Wassern des Sees durch klare Frische und nahezu knackigem Biss; und zwar selbst dann, wenn man ihn roh kostet. "Das ist eben ganz etwas anderes als Zuchtkarpfen", sagt Müller, der den Fisch gerne mit Apfelessig, Pfeffer- und Senfkörnern sowie Dille und ein wenig Zucker beizt und in hübsche - vielleicht etwas geschmäcklerische - Einmachgläser einlegt, denen das Produkt vermutlich seinen stolzen Preis verdankt.

Manchmal spießen sich Müllers verschiedene Berufungen. Etwa dann, wenn sich eine Seeforelle in den Netzen verfängt. "Es gibt kaum einen besseren Speisefisch. Und zum Kalträuchern und Beizen eignet sie sich besonders gut. Aber die Seeforelle ist ein gefährdeter Fisch und bereitet mir noch mehr Freude, wenn ich sie gesund und munter davonschwimmen sehe." (Georg Desrues/Der Standard/rondo/27/05/2011)