DER STANDARD: Herr Janosch, wie schön ist Teneriffa? Sie leben jetzt seit mehr als 30 Jahren da. Mögen Sie die Insel noch?
Janosch: Ja, von den Touristen krieg ich ja nichts mit. Mein Haus steht im Landesinneren. Meine Braut hat's gebaut. Die kann das. Es steht auf einem Felsen. Da hat man ein besseres Gefühl. Es wackelt nicht so wie auf der Erde.
DER STANDARD: Warum haben Sie Deutschland verlassen?
Janosch: Ich fühlte mich in Deutschland ständig vom Staat bedroht im Sinne einer Steuerbedrohung. Das war der eine Grund. Der andere Grund war, dass mir der Arzt schon damals nur noch eine kurze Lebenszeit vorausgesagt hat (lacht). Die hab ich jetzt auch nur noch, aber jetzt beruhigt mich das.
DER STANDARD: Warum haben Sie sich auf Teneriffa niedergelassen und nicht etwa in Panama?
Janosch: Das war Zufall, oder nennen Sie es eine Himmelsfügung. Der Süden sollte es schon sein. Ich wollte keine Heizkosten mehr. Und Panama ist zu weit weg. Damals hab ich ja noch gearbeitet, und da muss man Kontakt halten zu den Verlagen.
DER STANDARD: Waren Sie schon einmal in Panama?
Janosch: Ja, auf Einladung des Präsidenten. Da sollte man eigentlich leben, wo einen der Präsident persönlich kennt. Aber ich hab ja immer Angst vor dem Staat. Ich bin weder Deutscher noch Pole.
DER STANDARD: Was, Sie haben keine Staatsbürgerschaft?
Janosch: Doch, die deutsche. Aber ich habe kein Staatsgefühl. Ich finde es blöd, wenn einer stolz ist wegen seines Geburtsortes. Österreicher möchte ich auch nicht sein. Immer auf die Berge klettern müssen. Eigentlich möchte ich gar keiner sein, mich nicht festlegen müssen. Ich bin ja Fisch im Sternzeichen, und der hat auch keine Beine. Wenn es nötig ist, schwimmt der ins trübe Wasser, und man findet ihn nicht mehr.
DER STANDARD: Ihren großen Durchbruch hatten Sie mit "Oh, wie schön ist Panama", einer Geschichte vom Heimkehren. Sie hatten keine schöne Kindheit in Oberschlesien. Sind Sie trotzdem einmal heimgekehrt?
Janosch: Ja, ich war dort, wo das Haus meiner Geburt stand. Aber dann wurde das Haus weggerissen vor ein, zwei Jahren, und seit das Haus weg ist, bin ich auch innerlich weg von dort. Das Haus wurde einfach weggeschoben mit dem Bagger, weil, das hatte, glaube ich, nicht einmal Grundmauern, keinen Keller und kein Fließwasser, als ich geboren wurde. Auch kein Klo, man ist aufs Feld gegangen.
DER STANDARD: Hatten Sie je daran gedacht, es zu kaufen?
Janosch: Nein, Besitz bedeutet mir nichts. Es gehörte der Kohlegrube. Zuletzt wohnten noch zwei Leute dort, und es gab ein Klo auf jeder Etage. Aber es hat schon sehr gestunken, weil es, glaube ich, noch immer kein Fließwasser gab.
DER STANDARD: Sprechen Sie Polnisch?
Janosch: Ja, aber das habe ich erst später gelernt. Meine Großeltern und meine Eltern haben Polnisch untereinander gesprochen, aber nicht mit uns Kindern. So ein Wasserpolnisch.
DER STANDARD: Was heißt Wasserpolnisch?
Janosch: Das kommt wohl von verwässert. So ein primitives Polnisch mit nur einem Fall. Da wurde gerade einmal zwischen Ich und Du unterschieden. Die einen Großeltern waren Analphabeten, und was redet man schon viel, wenn man in der Früh in die Grube arbeiten geht. Ich habe erst nach dem Krieg Polnisch gelernt.
DER STANDARD: Sprechen Sie Spanisch?
Janosch: Nicht so gut, aber ich kann mich verständigen. Meine Braut spricht es gut, und die hindert mich daran, es zu lernen, damit ich abhängig bleibe (lacht). Aber ich wollte immer alles lernen, auch viele Sprachen, am liebsten mag ich Russisch, das klingt so schön. Ich war immer ganz wild darauf, alles zu wissen, und am Ende ist es wichtig, dass man nicht mehr weiß.
DER STANDARD: Janosch ist Ihr nicht selbst gewählter Künstlername, den Ihnen Ihr Verleger gab. Geboren wurden Sie als Horst Eckert. Wie nennt Sie Ihre Freundin?
Janosch: Janosch, nicht Horst. Horst geht gar nicht. Mein Vater hat mich ja nach Horst Wessel benannt. Aber auch in der Familie hat mich keiner Horst genannt.
DER STANDARD: Wie denn?
Janosch: Chlopek (schreibt es auf), mit einer Tilde beim L. Das heißt "kleiner Mann". Vor Horst graust es mich sehr. Eckert ginge ja noch. Das ist ein österreichischer Name (lacht). Alle anderen Namen in der Familie waren polnisch, mein Großvater hieß z. B. übersetzt ins Deutsche "hungrig".
DER STANDARD: Wie stehen Sie selbst zu dem Namen Janosch? Können Sie ihn noch leiden, oder geht er Ihnen auf die Nerven wie die Tigerente?
Janosch: Der Name geht mir auch auf die Nerven, zumindest seit er falsch geschrieben wird. Eigentlich schreibt man ihn Janusz, mit langem u, aber das wusste der Verleger nicht.
DER STANDARD: Haben Sie Ausgaben Ihrer Kinderbücher bei Ihnen im Haus?
Janosch: Ein paar, die übrig geblieben sind. Es sind nur drei oder vier Bücher wichtig von den 300 oder 320, die ich gemacht habe, ich weiß nicht einmal, wie viele es sind.
DER STANDARD: Welche sind das?
Janosch: Lassen Sie mich nachdenken. Der Herzschrittmacher muss das Blut erst in den Kopf pumpen. Polski Blues,Zurück nach Uskow und Cholonek oder Der liebe Gott aus Lehm.
DER STANDARD: Warum, glauben Sie, hatten Ihre Bücher für Erwachsene nicht ebenso großen Erfolg wie Ihre Kinderbücher?
Janosch: Weil sie nicht so niedlich sind. Die sind ein bisschen hart. Die sind ja aus dem wirklichen Leben nacherzählt.
DER STANDARD: Sie haben in Interviews angekündigt, nicht mehr zu arbeiten und nur noch in der Hängematte zu liegen. Warum tun Sie es jetzt doch wieder?
Janosch: Kennen Sie die Geschichte um die Rechte an meinem Werk? Ich habe alle verloren und bekomme nur ein Honorar von rund 1000 Euro vor Steuern.
DER STANDARD: Wie konnte das passieren?
Janosch: Schon vor Jahren im Zuge eines Verlagswechsels. Jörg Merk hat alles aufgeschrieben in seinem Buch Reden Sie Tacheles Herr Janosch.
DER STANDARD: Wie gehen Sie damit um?
Janosch: Ich denke da sehr jüdisch. Wenn es den Juden schlecht geht, fangen sie an zu lachen oder zu singen. Ich habe mich nie so gut gefühlt wie damals, als der Arzt mir gesagt hat, dass das halbe Herz weg ist. Jetzt ist nichts mehr ungewiss, und alle Last fällt ab. Es ist, wie wenn Sie mit dem Schiff hinaus auf Meer fahren, und die Küste gerät außer Sicht, und Sie wissen, Sie kommen nie mehr an Land: Da braucht man nicht mehr rudern.
DER STANDARD: Was ist aus Ihrer Sicht der größte Erfolg in Ihrem Leben?
Janosch: Die Furcht vor Gott verloren zu haben. Aber vielleicht nicht ganz. Ich habe den Verdacht, dass Gott und der Teufel eine Person sind. Ich war ja Jesuitenschüler, ich weiß alles darüber. Die Religion ist unheilbar. Es gibt inzwischen sogar spezielle Psychiater für religiöse Traumata, aber was in den ersten sieben Lebensjahren passiert, ist unheilbar. Man verliert dadurch die beste Zeit im Leben.
DER STANDARD: Sie haben diese Jahre verloren?
Janosch: Mein Vater ist jeden Tag betrunken auf allen vieren nach Hause gekommen und hat mich geprügelt und geängstigt mit dem Teufel.
DER STANDARD: Wo möchten Sie begraben werden?
Janosch: Gut, dass Sie fragen. Das überleg ich mir schon lange, aber ich hab noch keine Lösung gefunden. Ich tendiere zum Verbranntwerden, aber ich bin mir nicht sicher, ob das nicht wehtut. Man merkt ja nicht gleich, dass man stirbt, und geht seinen alltäglichen Handlungen noch ein Weilchen nach. Aber eigentlich möchte ich gar nicht sterben. Deswegen habe ich keine eigenen Kinder, weil man schenkt denen ja nicht das Leben, sondern den Tod. Aber Vatergefühle hab ich schon - nur den Kindern der anderen gegenüber. (Tanja Paar/Der Standard/rondo/20/05/2011)