Geboren wurde Haider Ackermann 1971 in Kolumbien - als Kolumbianer sieht er sich aber nicht. Seine Jugend verbrachte er auf Reisen. Als "nomadenhaft" kann auch sein Stil beschrieben werden.

Foto: Stéphane Feugere

Eine Kreation der aktuellen Sommerkollektion.

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Eine Vorschau auf den Herbst.

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Er sieht etwas mitgenommen aus, drei Tage nach seinem gefeierten Defilee in Paris. Er hat seitdem mehrere Hundert Hände geschüttelt, Küsschen links, rechts und noch mal links verteilt und dazwischen immer die gleichen Fragen beantwortet. Nun sitzt der Mann angespannt in seinem Atelier in Paris, das gleichzeitig Showroom ist, beobachtet aus den Augenwinkeln die vielen, vor allem asiatischen Einkäufer, die wiederum die Vorführmodels in den Glitzerröcken und Lederwesten mustern.

Haider Ackermann entschuldigt sich, steht auf und dreht die Musik leiser. Dann setzt er sich wieder, zieht seinen weißen Rollkragenpullover aus, weil ihm plötzlich unerträglich warm sei. Um wenig später beiläufig ein großes Tuch vom Kleiderständer zu nehmen und es sich mehrmals um den Hals zu wickeln. In einem früheren Interview hat Ackermann gesagt, Tücher seien eine Art Rüstung für ihn, er fühle sich damit sofort beschützt. Genau das braucht er jetzt. Es passiert gerade einfach zu viel in diesem Showroom, in seinem ganzen Leben. "Wird Haider Nachfolger von John Galliano bei Dior?" "Oder von Riccardo Tisci bei Givenchy, wenn der zu Dior geht?" "Oder doch irgendwann der Erbe von Karl Lagerfeld bei Chanel?" "Will er überhaupt einen Zweitjob für ein anderes Label, wo doch seinem eigenen gerade ein kometenhafter Aufstieg prophezeit wird?"

Schaut euch den Mann mal genauer an

Während der Pariser Modewoche hyperventilierte die Branche, und nur in einem Punkt waren sich alle einig: Haider Ackermann steht an der Schwelle zum ganz großen Erfolg, man weiß nur noch nicht, für welche Tür, für welches Haus er sich entscheiden wird. Und der Hin- und Hergeschacherte selbst? Sagt zu allem viel und am Ende doch irgendwie gar nichts und kann es vorerst kaum erwarten, mit seinem Freund zwei Wochen nach Peru zu verschwinden. Erst einmal abtauchen, bevor es etwas zu verkünden gibt.

Bedanken kann er sich für all die Aufregung bei Karl Lagerfeld. Der hatte Ende letzten Jahres in einem Interview mit dem französischen Modemagazin Numéro erklärt, er könne sich für seine Nachfolge bei Chanel momentan "nur Haider Ackermann vorstellen". Schneller kommt ein Designer nur als Flitzer auf den Champs-Élysées in die Schlagzeilen. Aber nicht einmal der "Kronprinz" selbst glaubt, dass es hier ernsthaft um eine Nachfolgeregelung ging: "Ich vermute, Karl Lagerfeld wollte damit vor allem sagen: ,Schaut euch den Mann mal genauer an - ich glaube an ihn!' Ich erinnere mich, wie er mir vor zwei Jahren kurz vor einem Defilee Blumen schickte, ich wusste also schon, dass ich seinen Segen habe, und war jetzt nicht so überrascht wie der Rest der Welt." Dann schiebt er eilig nach: "Aber natürlich fühle ich mich sehr geschmeichelt."

"Heiner" auf dem Schirm

Die Strahlkraft des Namens Haider Ackermann hat sich seit den Worten Lagerfelds um ein Vielfaches erhöht. Die französische Vogue widmete ihm in der Märzausgabe eine Geschichte, die amerikanische zeigte Lady Gaga in einem seiner Kleider auf dem Cover, selbst Regionalzeitungen haben diesen "Heiner" jetzt auf dem Schirm. Bei seiner Show im Palais du Tokyo Anfang März gab es Beifall und Bravorufe aus dem Publikum - und das, bevor das letzte Model über den Laufsteg schritt. Das kennt man von Schlagerkonzerten, von Prêt-à-porter-Schauen eher nicht. Es muss dem 40-Jährigen selbst ein bisschen absurd vorkommen, dass sich plötzlich die halbe Welt für ihn interessiert, obwohl er seit mittlerweile zehn Jahren seine Kollektionen in Paris präsentiert und, wie er selbst sagt, "immer die gleiche Geschichte" erzähle. "Ich gehöre nicht zu den Designern, die jedes Mal etwas ganz Neues beginnen, ich füge lediglich das nächste Kapitel hinzu, der Ton bleibt derselbe." Allerdings nimmt die Geschichte momentan mächtig an Fahrt auf. Steht ein entscheidender Wendepunkt bevor? "Nein", sagt Haider Ackermann lachend, er hoffe nicht. Aber eine Heirat in die Handlung einzubauen, das könne er sich durchaus vorstellen - wenn es die richtige Verbindung ist. "Es muss Liebe sein."

Viele Angebote abgelehnt

Ackermann betont oft, wie viele Angebote von anderen Marken er schon abgelehnt habe und bislang keine Entscheidung bereue. Maison Martin Margiela hätte er 2009 beispielsweise übernehmen können, als Margiela selbst das Label endgültig verließ. "Aber nicht jede Seele ist zu ersetzen - auch wenn die Leute das immer glauben wollen." Bei anderen Marken scheint er das eher für möglich zu halten, jedenfalls spielt er grundsätzlich schon mit dem Gedanken, einen anderen Namen vertreten zu können. "Die Codes eines anderen Hauses würden mir natürlich die Möglichkeit geben, ein anderes Spektrum von mir zu zeigen." Mit Spannungsbögen kennt sich der Autor bereits aus.

Die Geschichte, die Haider Ackermann in seinen Kollektionen erzählt, trägt viele autobiografische Züge, seine "Hauptdarstellerin", die Frau, die er vor Augen hat, passiert die gleichen Stationen, durchlebt ähnliche Stimmungen wie er. Ackermann wurde 1971 in Bogotá geboren, in vielen Zeitungen war deshalb von dem "kolumbianischen Designer" die Rede, dabei sieht er sich selbst weder als Kolumbianer noch als Franzosen, obwohl er als Baby von einem französischen Ehepaar adoptiert wurde. "Ich habe nie in Kolumbien gelebt, ich bin dort nur geboren, und danach sind wir so oft umgezogen - ständiges Reisen macht dich überall zu einem Fremden, du gehörst nirgendwo hin." Er weiß nicht einmal, wo sein Vorname herkommt, den habe das "Zollamt", wie er, ganz polyglott, jetzt auf Deutsch sagt, damals bei der Adoption geändert. Als Kind habe er diesen seltsamen Namen gehasst, mittlerweile findet er, passe er ganz gut zu ihm.

Ackermanns Stil wird oft als "nomadenhaft" beschrieben, die fließenden Stoffe, die um den Körper drapiert erscheinen, häufig in mehreren Schichten, verleihen der Silhouette etwas Flüchtiges, Rastloses. Ackermanns Vater arbeitet bei Amnesty International, die Familie wohnte mal in Äthiopien, im Tschad, ließ dann wieder alles zurück und zog weiter nach Algerien. Besitz, das Anhäufen von Dingen, spielt bis heute keine große Rolle im Leben des Designers. Er liebt es, in seinen Sachen "alt zu werden" und sie mit Erinnerungen zu füllen. In gewisser Weise ein Anachronismus zu seinem Beruf, in dem es in den vergangenen Jahren vor allem darum ging, Frauen und Männern noch mehr Dinge zu verkaufen, die sie auch nicht wirklich brauchten.

Seine Frauen seien Kriegerinnen

Auch die Farben und Gewänder, die ihn als Kind faszinierten, spiegeln sich in den Entwürfen wider. "Die Frauen, die ich in den schmalen Gassen, im Gewirr der Märkte sah, hatten immer etwas Mystisches. Sie waren plötzlich da und verschwanden wieder, man wusste nie, wer sie waren, woher sie kamen, was sich unter ihren langen Gewändern verbarg." Unsere Gesellschaft dagegen sei viel zu vordergründig und gleichzeitig viel zu kompliziert, wenn es darum geht, elegant zu wirken: "In Indien wickeln sie sich einfach meterlange Stoffbahnen um den Körper und sind die elegantesten Frauen der Welt."

Besonders "einfach" ist Ackermanns Mode jedoch keineswegs. Früher waren seine Entwürfe fast durchweg dunkel, sehr maskulin, mit viel Leder, das sich wie eine zweite Haut um den Körper legte, mehrfach aufgebrochen von Reißverschlüssen, die eine weitere Schicht offenlegten. Von einer eingeschworenen Fangemeinde wird er seit langem als großer Avantgardist verehrt, wie fast alle, die aus der "Antwerpener Schule" stammen, auch wenn Ackermann sein Studium an der Royal Academy nie abschloss.

Manche Kritiker hingegen schrieben, seine Frauen seien Kriegerinnen, die sich für die moderne Welt wappneten, was Ackermann sehr getroffen hat. "Natürlich versuchte sie sich zu schützen, aber das hatte mit ihrer Zerbrechlichkeit zu tun!" Vielleicht ist sie deshalb in den letzten beiden Saisons etwas aus sich herausgegangen, vor allem die aktuelle Sommerkollektion ist so farbintensiv wie noch nie: lange gelbe und rote Kleider, mit offenen Rückenpartien, zarten Drapees und tiefen Ausschnitten. Sehr fragil und überaus sinnlich. Unbestritten seine bislang "schönste" und romantischste Kollektion. "Sie ist aus ihrem Schatten herausgetreten, mehr in der Sozialisation angekommen. Sie ist definitiv verliebt." Und wenn Ackermann von "ihr" spricht, meint er immer auch: sich selbst.

Größeres Publikum im Visier

Mag sein, dass er sich bewusst entschieden hat, etwas zugänglicher zu werden, um ein größeres Publikum mit seiner Mode anzusprechen. Die Leute stehen Schlange, um den neuen Designer-Star begrüßen zu dürfen. Ob Bernard Arnault oder Sidney Toledano, die den Dior-Sessel neu zu besetzen haben, bereits angerufen haben? Die Frage überhört er einfach.

In seiner Herbstkollektion, die bei den Pariser Schauen als eine der besten gefeiert wurde, kombiniert Ackermann klassischen Tweed mit leuchtendem Satin, aufwändig bestickte Röcke mit dickem Strick, burgunderfarbenen Samt mit schwarzem Satin und grauem Leder, wie er überhaupt alles immer wieder mit Leder "durcheinanderbringt". "Ich liebe den Clash, ich mag es, Dinge zu ,stören', das hat mich immer fasziniert."

Und wenn sich von seinen Kollektionen so viele Rückschlüsse auf ihren Schöpfer machen lassen, dann vielleicht auch dieser, dass Ackermanns multikulturelle Persönlichkeit gleichfalls Gegensätze in sich vereint: bescheiden und zurückhaltend, aber deshalb keineswegs dem Ruhm abgeneigt. Romantisch und träumerisch, aber mit einer bemerkenswerten Zielstrebigkeit. Es bedarf gewisser Brüche, um etwas wirklich Spannendes zu erzeugen, doch bisweilen werden daraus Abgründe. "Galliano war ein Genie, und fast alle großen Genies tragen diese dunkle Seite in sich", sagt Ackermann. "Andererseits - wo sonst sollte all diese Schönheit herkommen?"

Wie denn eigentlich der Titel seines Buches wäre, will man zum Schluss noch wissen. Er stutzt. Darüber habe er noch nie nachgedacht. Vielleicht: "Du bist auf dem Weg, aber du weißt noch nicht, wohin." Die nächste Station werden wir bald erfahren, immerhin. (Silke Wichert/Der Standard/rondo/13/05/2011)