Jean Nouvel

Foto: Hersteller
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Die Idee zu den Möbeln der Kollektion "Vienna" entstand, während die Wittmann-Möbelwerkstätten im vergangenen Jahr an der Ausstattung des von Nouvel entworfenen Hotel Sofitel arbeiteten. Auf den Stücken ist nicht die Spur eines Ornaments zu finden. Man könnte auch sagen, Nouvel gab sich die Kante und erschuf eine Art Sofitel zum Mitnehmen. Die Objekte allerdings auf reduziert zu reduzieren, wäre zu wenig. Gerade ihre extreme Zurückhaltung und ihr modularer Grundgedanke machen sie zu interessanten Objekten: Jedes Element ergibt in unterschiedlicher Kombination eine Mehrzahl an Möglichkeiten, mit schmalen oder breiten Armlehnen, mit einer Sitztiefe, die sich als Chaiselongue anbietet, oder Sitzbreiten, die wahlweise ein Fauteuil oder ein Sofa ergeben. "Vienna" ist in sämtlichen Lederqualitäten und Stoffen der Wittmann-Kollektion oder in beigestellten Bezugsmaterialien erhältlich. Die Sonderausstellung "Vienna" ist noch bis zum 26. April in den Schauräumen der Möbelwerkstätten in der Friedrichstraße 10, 1. Bezirk, zu sehen.

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DER STANDARD: Leben Sie privat mit den von Ihnen entworfenen Möbeln?

Jean Nouvel: Ja, auch, aber ich mag es nicht besonders, permanent von meiner Arbeit umgeben zu sein. Ich hab es gern ruhig. Wenn ich Dinge von mir vor meinen Augen habe, stelle ich mir immer wieder Fragen. Zu Hause lebe ich in einem Mix aus 'Fast nichts', wie ich es nenne. Ich stehe zum Beispiel auf Futons. Es hängt auch nichts an den Wänden. Aber es gibt trotzdem Fotografien und Bilder. Die liegen meist auf Tischen oder in Regalen. Manchmal lehne ich sie auch für kurze Zeit an die Wand.

DER STANDARD: Haben Sie Ihr Haus selbst entworfen?

Nouvel: Ich lebe in einem Loft, das keiner haben wollte.

DER STANDARD: Warum nicht?

Nouvel: Weil es dort keine Fenster gibt.

DER STANDARD: Wie, es gibt keine Fenster?

Nouvel: Wirklich, es gibt keine Fenster, aber trotzdem viel Licht. Nur im Dach gibt es kleine Fenster. Ich hab dann unter anderem mit Spiegeln gearbeitet, und so funktioniert das Ganze.

DER STANDARD: Apropos keine Fenster. Sie tragen wie Johnny Cash immer Schwarz. Ich nehme an, das ist kein politisches Statement wie bei Cash.

Nouvel: Nein, ist es nicht. Das ist eine Frage des Geschmacks, eine Haltung. Es ist eine Art Antwort an mich selbst. Außerdem hab ich ein Bäuchlein, und Schwarz kaschiert das besser. Außerdem stimmt es nicht, dass ich immer Schwarz trage. Im Sommer bin ich ganz in Weiß gekleidet, da ich sehr viel Zeit im Süden verbringe und Schwarz dort zu heiß wäre. Ich mag auch bezüglich Kleidung einfache Sachen. Wahrscheinlich hat es mit der Art zu tun, wie ich mit der Kunst verbunden bin. Das Monochrome ist mir sehr nahe. Das sieht man ja auch bei den Möbeln.

DER STANDARD: Sie sagen, Sie bevorzugen in Sachen Möbel eher das Normale. Wann ist denn ein Möbel normal?

Nouvel: Normal ist, wenn es abnormal ist. Ich bin kein Stilist so wie viele Designer. Das ist der Unterschied. Ich erforsche die Essenz eines Dings. Es geht mir, gerade auch bei den Möbeln der "Vienna"-Serie, darum, etwas zu schaffen, das sich nicht in den Vordergrund drängt.

DER STANDARD: Ihr Kollege, Frank Gehry, sagte einmal, einen Sessel zu entwerfen sei so schwierig wie den Mount Everest zu besteigen, und er entwerfe Möbel anstatt Kreuzworträtsel zu lösen. Geben Sie ihm recht?

Nouvel: Frank hat einen guten Humor. Und ich gebe ihm absolut recht. Mies van der Rohe hat dazu auch einen Sager parat. Kennen Sie ihn?

DER STANDARD: Nein, was meinte er?

Nouvel: Einen Sessel zu entwerfen sei schwieriger, als einen Wolkenkratzer zu planen.

DER STANDARD: Aber was ist denn nun so schwer daran?

Nouvel: Das Problem ist: Die Menschheit setzt seit Anbeginn ihren Hintern irgendwo hin. Das heißt, man muss sich immer wiederholen und Gründe finden, noch einen und noch einen Stuhl zu entwerfen.

DER STANDARD: Warum werden dann noch Stühle entworfen?

Nouvel: Nun, natürlich gibt es neue Materialien, technische Möglichkeiten etc. Aber letztendlich geht es um die ganz elementare Funktion im Kontext zu der Zeit, in der man lebt. Es geht darum, ein neues Naturell zu finden. Die Frage ist schwer zu beantworten. Sie beschäftigt mich schon lange.

DER STANDARD: Vor kurzem war Wolfgang Joop in Wien, um eine Möbelkollektion zu präsentieren. Er sagte, ein Sessel hat durchaus das Zeug, ein Freund zu sein. Stimmen Sie ihm zu?

Nouvel: Ja, er hat recht. Es hat etwas mit Liebenswürdigkeit zu tun. Auch mit Komfort, aber nicht nur. Es gibt eine Reihe von Designern, die nur provozieren wollen. Natürlich brauchen wir hin und wieder Provokation, aber doch nicht bei einem Ding, das uns durch den Alltag begleitet.

DER STANDARD: Wahrscheinlich mögen Sie die Frage nicht, weil Sie Ihnen bestimmt oft gestellt wird. Haben Sie ein Lieblingsmöbel?

Nouvel: Sie haben recht, ich mag diese Frage nicht. Und nein, ich hab kein Lieblingsmöbel. Mir gefällt diese Idee des Wettbewerbs nicht, die heutzutage so vorherrscht. Dieser Gedanke von 'Wir brauchen einen Gewinner'. Wer ist der beste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts? Welcher ist der beste Architekt? Es wäre doch dumm, diese Fragen mit einem Namen zu beantworten. Verändere die Jury und du veränderst den Gewinner. Es geht darum, Zeuge davon zu sein, was in all diesen Bereichen passiert.

DER STANDARD: Wenn Sie Ihre Möbel einem nicht sehenden Menschen beschreiben müssten, was würden Sie ihm sagen?

Nouvel: Nun er sollte sie natürlich berühren und sich darauf niederlassen. Das reicht schon. Ich kann auch ein bisschen darüber plaudern und ihm das Material erklären. Ich kann ihm zum Beispiel sagen, dass man darauf ein Glas Wein ausschütten kann, ohne dass ein böser Fleck bleibt. Das würde ihn bestimmt auch interessieren.

DER STANDARD: Ihre Möbelserie für Wittmann heißt "Vienna". Sie realisierten eine Reihe von Projekten in Wien, zuletzt das Sofitel am Donaukanal. Wie geht es Ihnen mit dieser Stadt?

Nouvel: Wien ist für einen Architekten einer der aufregendsten Orte der Welt. Auf Französisch würde man sagen, man kommt hier in kleinen Schuhen an. Ich habe hier viel gelernt, anfangs vor allem über den sozialen Wohnbau. Wien steht für vieles, was sonst heutzutage vergessen wird. Ich mag die Details dieser Stadt und die Art, wie die Künste hier ineinandergreifen. Wien ist eine warme Stadt.

DER STANDARD: Könnte man es, abgesehen von der Größe, mit Paris vergleichen?

Nouvel: Kann man, absolut, vor allem wenn man an das Gewicht der Geschichte und die Bedeutung der Kunst denkt. Und - auch in Wien lässt es sich gut leben.

DER STANDARD: Sie sind viel unterwegs, schlafen also viel in Hotels. Ich nehme an, in Wien sind Sie im Hotel Sofitel untergebracht, das Sie entworfen haben.

Nouvel: Sie haben recht. (lacht)

DER STANDARD: Bevorzugen Sie ein gewisses Hotelzimmer?

Nouvel: Ehrlich gesagt, bevorzuge ich immer den Ort, mit dem ich eine Beziehung eingehen kann. Das Sofitel ist ein Ort, an dem ich sein kann und die Möglichkeit habe, die Umgebung einzufangen. Ich mag die Räume, in denen ich die Stadt erlebe. Das muss nicht die Seite sein, die auf die Innenstadt weist. Was ich gern habe, ist ein größeres Zimmer, denn ich mag Platz. Ich schlafe erst zum zweiten Mal dort.

DER STANDARD: Und wie ist das Zimmer?

Nouvel: Sie gaben mir eine Suite, die ganz in Grau gehalten ist. Grau ist für mich sehr interessant, weil es in meinen Augen eine große Variation an Farben zulässt.

DER STANDARD: Ich habe gelesen, dass Sie um die 180 Gebäude geplant haben.

Nouvel: Da wissen Sie mehr als ich. Das klingt nach ziemlich viel. Vielleicht wurden da auch die kleineren Aufträge mitgezählt. Nun, ich mach den Job auch schon seit 40 Jahren.

DER STANDARD: Wenn man all die Bauten zusammenstellen würde, ergäbe das ein nettes Städtchen.

Nouvel: Wissen Sie, für mich ist in der Architektur die Lage und die Umgebung eines Gebäudes das Ausschlaggebende. Lassen Sie die Häuser bitte dort stehen, wo sie sind (lacht). Aber die Vorstellung hat natürlich auch etwas Heiteres.

DER STANDARD: Warum unterrichten Sie nicht so wie viele Ihrer Kollegen?

Nouvel: Meine Mutter und mein Vater waren Lehrer. Für mich ist das wie in der Architektur eine Frage der Genauigkeit. Als Lehrer muss man seine Schüler kennen. Man muss wissen, wer einem gegenübersitzt. Es geht darum, Studierende in ihrem Sinn weiterzubringen, nicht im eigenen. Meistens sah ich auf Universitäten das Gegenteil. Es hat für mich nichts mit unterrichten zu tun, wenn man sich einmal im Monat für ein paar Stunden auf die Universität begibt und schon wieder zur nächsten Uni eilt.

(Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/08/04/2011)