Die Herzen der Agaven (Piñas genannt) werden in riesige Erdlöcher geschlichtet und gekocht, um den Zucker vor der Gärung umzuwandeln.

Foto: Georg Desrues
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In den Gärbottichen sind die Bakterien am Werk. Damit sie bei Laune bleiben, läuft Mozart vom Band.

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Mezcal

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Bislang dachte man ja, Mezcal wäre so etwas wie des Tequilas hässlicher großer Bruder: nämlich unfeiner, grober Kaktusschnaps, auf billigste Art erzeugt, vertrieben ganz ohne Gebiets- oder Qualitätskontrolle, der tote Wurm auf dem Flaschenboden als deutlicher Hinweis auf seine primäre Qualifikation als Desinfektionsmittel. "Alles falsch", sagt hingegen der Mezcal-Brenner Héctor Vázquez, "Mezcal ist der Vater des Tequilas. Eine Gebiets- und Qualitätskontrolle gibt es sehr wohl. Und die Agave, aus der er gemacht wird, ist eigentlich kein Kaktus - sondern ein Spargelgewächs." Und was den Wurm betreffe, so handle es sich dabei viel mehr um eine Raupe, die hier jedoch gar nichts verloren habe.

Dieserart Vorurteile zertrümmernd, steuert Vázquez seinen Pick-Up über die staubende Straße, hinaus aus der schmucken Kolonialstadt Oaxaca, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaats im Süden Mexikos. Vom barocken Glanz der Stadt ist in den Dörfern hier nichts mehr zu sehen. Es geht vorbei an unfertigen Betonhäusern, an streunenden Hunden und bloßfüßig Fußball spielenden Indianer-Kindern. Vázquez fährt fort: "Tequila ist ein ganz und gar industriell erzeugtes Produkt - Mezcal hingegen wird so gut wie immer handwerklich gefertigt. Außerdem muss Tequila nur zu 51 Prozent aus Agave destilliert werden - der Rest kann aus sonst was bestehen. Das ist bei Mezcal undenkbar."

Aus 23 verschiedenen Agave-Sorten

Dann hält er den Wagen an. Neben der Fahrbahn stehen hunderte Agaven in Reih und Glied, einige davon mächtige zwei Meter hoch. "Das hier sind Espadin-Agaven", sagt Vázquez, "bei uns in Oaxaca ist die Espadin die am häufigsten destillierte Sorte - aber die Einzige ist sie nicht." Denn laut den 2005 eingeführten Qualitätsvorschriften kann Mezcal aus 23 verschiedenen Agave-Sorten gebrannt werden. "Tequila hingegen darf man ausschließlich aus einer einzigen Sorte, der Agave Tequilana oder Blauen Agave, erzeugen", so Vázquez. Und das sei nicht zuletzt deshalb ein Problem, weil es die biologische Vielfalt bedrohe. "Von den ungefähr 220 Sorten, die es weltweit gibt, sind 170 in Mexiko heimisch. Im Bundesstaat Jalisco, der Heimat des Tequilas, ist eine regelrechte Monokultur entstanden: Die Blaue Agave hat alle anderen Sorten verdrängt".

Die Agave blüht nur ein einziges Mal in ihrem Leben; und wie lange, hängt von der Sorte ab. Bei der Espadin sind es rund zehn Jahre. Dann wächst ihr zwischen Januar und April ein bis zu zehn Meter langer Blütenstand aus der Mitte. "Wir schneiden die Blütenstände ab, wenn sie entstehen", sagt Vázquez, "dadurch dringt die gesamte Kraft der Pflanze in ihr Herz, das dann sechs Monate bis zu einem Jahr weiterwächst, bevor wir es ernten."

Geerntet wird mit der Machete. Zuerst werden der Pflanze ihre langen Blätter abgehackt, danach die Wurzel. Übrig bleibt das Herz, das einer gigantischen Ananas gleicht und darum auch Piña (Ananas) genannt wird. "Bei ein bis zwei Exemplaren lassen wir die Blütenstände dran", sagt Vázquez, während die Fahrt weitergeht, "pro Blüte erhalten wir so bis zu zweitausend Samen, um neue Agaven zu pflanzen."

Die Destillerie "Los Danzantes" im Ort Matatlan ist ein bunter, modern gestylter Bau, auf dessen Eingangstor das übergroße Bildnis einer Agave prangt. Das Tor öffnet sich auf einen Hof, in dem unter einem Dach hölzerne Gärbottiche stehen. Aus Lautsprechern erklingt ein Mozart-Klavierkonzert. "Mozart ist gut für die Gärung", erklärt Vázquez dem verblüfften Besucher, "aber alles schön der Reihe nach."

In der Wärme der Erde

Vor den Bottichen steht ein Mühlrad, dahinter liegen geviertelte Piñas um ein großes Loch im Boden, das bis zur Hälfte mit Brennholz und Steinen gefüllt ist. "Zuerst werden die Piñas in dem Erdloch gekocht. Denn die Zuckerarten, die die rohe Pflanze enthält, müssen erst in Einfachzucker umgewandelt werden, damit daraus Alkohol entstehen kann", erklärt Vázquez, während Mitarbeiter das Loch mit den Agaven-Herzen füllen, dann mit Plachen abdecken und Erde drüber-schaufeln. Wenn der Sauerstoff und mit ihm das Feuer ausgeht, kochen die Piñas vier Tage lang in der Wärme der Erde vor sich hin. Einen weiteren Tag brauchen sie zum Abkühlen, bevor sie unter den Mühlstein kommen, den ein Lastgaul zieht. Der gepresste Saft wird in die Bottiche gefüllt. Danach beginnt die laut Vázquez wichtigste, heikelste und geheimnisvollste Phase: die lange Gärung. Sie sei es, die dem Mezcal seinen Körper und die komplexe Vielfalt an Geschmäckern und Aromen verleihe.

"Wir arbeiten hier mit Spontangärung, was bedeutet, dass wir keine Hefen zusetzen, sondern nur jene verwenden, die von selbst entstehen". Lediglich warmes Wasser komme hinzu - denn die Bakterien liebten die Wärme. Und das Klavierkonzert? "Das lieben sie auch", sagt Vázquez mit ernster Miene. Und fügt an, dass zwar jede Art von Musik die Fermentation fördere - die besten Resultate aber mit Klassik zu erzielen seien.

Von Jugendbesäufnissen bekannte Getränk

Szenenwechsel in das angesagte Designlokal Corazón de Maguey in Mexiko-Stadt. Zu trinken gibt es hier ausschließlich Mezcal - und zwar verschiedene Sorten aus allen Winkeln des Landes. Bei der Verkostung stellt sich schnell heraus, dass sich der handwerkliche Aufwand auszahlt: Das bislang von Jugendbesäufnissen bekannte Getränk besticht durch Fülle und Komplexität, sein Abgang ist weich, fast schmeichelnd. Es gibt reinsortige Abfüllungen aus verschiedenen Agaven und Anbaugebieten. Die geschmacklichen Unterschiede sind leicht zu schmecken; der Begriff Terroir drängt sich auf.

Aber was ist denn nun mit der berühmten Raupe? Die habe in Qualitäts-Mezcal nichts verloren, sagt Vázquez, und sei lediglich ein billiger Marketinggag - ein Überbleibsel aus jener Zeit, als Mezcal noch als des Tequilas hässlicher Bruder galt. (Georg Desrues/Der Standard/rondo/04/02/2011)