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Erst dreht sich der Tempelelefant des Brihadeshwara Tempel um die eigene Achse.

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Die "kleine Tempelrunde" scheint günstig, ein 50-Rupiah-Deal. Viel Energie frisst sie jedenfalls nicht. Genauer gesagt: Sie frisst ein Büschel Heu. Denn erst dreht sich der Tempelelefant des Brihadeshwara Tempel um die eigene Achse.

Das Auf- und Absteigen per Rüssellift entschädigt ein wenig für die doch sehr klein ausgefallene "kleine Tempelrunde". Die routiniert einstudierten Rüsselposen, mit denen der Jumbo dankend das Honorar aus den Fingern pflückt, gibt es gratis dazu.

"How to drive an elephant

Mehr als neunzig verschiedene Nervenpunkte kennt die klassische indische Literatur, um die Tiere zu steuern, achtzehn verschiedene Funktionen unterscheidet man dabei. Was heute als Kuriosum auf kleinen Kärtchen - "How to drive an elephant" - vermarktet wird, galt einst als militärisches Geheimwissen, das von ausgebildeten indischen Elefantenführern bereits während der Gupta-Dynastie, im vierten Jahrhundert, nach Kleinasien exportiert wurde - zum Beginn einer kulturellen Hochblüte, die Indiens Süden zum Epizentrum einer innerasiatischen Kolonialisierung werden ließ.

Daran erinnert jetzt auch Thanjavurs Brihadeshwara Tempel, das krönende Meisterwerk der drawidischen Tempelarchitektur. Feine Bildhauerarbeiten von Göttern und Kriegern charakterisieren die ockerfarbenen Bauwerke, und die Kuppel des Hauptgebäudes, ein 81 Tonnen schwerer Granit-Monolith, wurde im Stile des ägyptischen Pyramidenbaus einst über eine kilometerlange Erdrampe auf die 63 Meter hohe Konstruktion aufgeschoben.

Doch auch der Blick in die umliegenden Nischen lohnt. Soeben werden Elefanten- und andere Götter hier mit Butterschmalz "gefüttert" - sodass ihre versteinerten Bäuche und Gliedmaßen im Dunkeln glänzen. Seit mehr als tausend Jahren finden im Pilgerziel Thanjavur ohne Unterbrechungen Pujas - hinduistische Gottesdienste - statt, ging das Feuer nicht aus. Eine, auch für südindische Verhältnisse, stolze Zeitspanne.

Zeitreise

Egal, ob man sich per Jumbo oder am eigenen Flipflop im Kreise dreht, einer Zeitreise gleicht die klassische Tempelrundreise durch Zentral-Tamil Nadu noch heute. Stillstand und Komplettpanorama, irgendwie geht beides gut zusammen, wenn man abseits der großen Verkehrsrouten, die Madras mit den boomenden Zentren des "Silicon Plateau" verbinden, in die Welt der tamilischen Tempelstädte eintaucht - vielleicht im Gefolge eigener Pilgersonderzüge, die entlang der abgelegenen Southern-Railways-Schmalspurstrecke einige der wichtigsten Pilgerorte Südindiens. Tirupati, Kanchipuram, Kumbakonam, Thanjavur, Madurai, verbindet.

Auch Chidambaram, das zwischen Reisfeldern und Tapioka-Pflanzungen Tamil Nadus ältesten bewirtschafteten Tempelkomplex beherbergt, markiert einen Pflichtstopp innerhalb von alten Traditionen bestimmten Region. North, East, South, West Car Street heißt das zentrale Straßenrechteck rings um Chidambarams Nataraja-Tempel.

Vier Straßennamen, die auf die alljährlichen Wagenprozessionen verweisen, die Umrundung der rot-weiß gestreiften Außenmauern des Tempelgeländes. Als Nataraj, der König der Tänzer, hatte die Hindu-Gottheit Shiva der Legende zufolge hier, vor den Menschen und inmitten des Flammenkranzes, den Rhythmus der Schöpfung und Auflösung getanzt - ein Sinnbild der "Nix is fix"-Konstante der Wandlung, von der auch die von Armen, Beinen, Köpfen, Bäuchen überwucherten Tempeltürme erzählen.

Halbwüchsige Brahmanen-Teens üben Rückwärtssalti

Und lebhaft, so gar nicht dem Klischee der meditativen Tempelruhe entsprechend, ist auch das Treiben innerhalb der Nataraj-Mauern: Halbwüchsige Brahmanen-Teens üben Rückwärtssalti ins weite Tempelbecken, schräg über den Oberkörpern klebt die jetzt nasse weiße Schnur der Kaste, die Haare sind an den Schläfen hoch geschoren, oben zum Schweif geflochten.

Die tradierten Handgriffe machen sie wenig später mit links: Asche für die nächsten Pujas produzieren, die zahllosen Seitenschreine mit Räucherstäbchen abklappern - gilt es doch stets alle Inkarnationen und Familienmitglieder der zentralen Gottheit mitzuversorgen.

Chidambarams Nataraja zählt zu den wenigen Tempelanlagen Indiens, deren Leitung nach der Unabhängigkeit nicht von der Regierung übernommen wurde. Die Organisation funktioniert reibungslos: Sechshundert Brahmanen-Familien führen bis heute die kollektive Verwaltung fort.

Kosmische Mandalas

Jede Etappe der klassischen Pilgerreise lässt in ähnlich stimmungsvolle Szenarien eintauchen: Auf halbem Wege nach Thanjavur liegt Kumbakonam, bekannt für besonders farbenprächtigen Gopurams (Tempeltürme) und für die alle zwölf Jahre stattfindenden Badezeremonie Mahamaham - Pflichttermin für tamilische Populisten, Tamil Nadus aktuelles Politgeflecht aus Religion und Macht zu festigen.

Mitunter wurden diese Tempelanlagen als kosmisches Mandala, als Skizze des Universums nach altindischer Vorstellung konzipiert, wohl auch als Abstraktion eines geomantischen Masterplans. Das gilt besonders für Srirangam bei Tiruchirappalli, einem Musterbeispiel der südindischen Stadtplanung. Eine siebenfache Mauer umgibt die rechteckig angelegte Tempelstadt.

Jede der konzentrischen Einfriedungsmauern verfügt über Türme, die zum Zentrum hin immer kleiner werden. Mit jedem Meter verdichtet sich aber auch das Geschiebe und Basarleben rund um den zentralen Kern: Schneider hocken in kleinen Mauernischen, der Transistorradio übertönt das Rattern antiquierter Nähmaschinen, darüber vielleicht ein helles Lachen, und mit Sicherheit die sonor in die Länge gezogene heilige Silbe: Aaauuummm! (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/14/01/2011)