Aktuelles Release: Jochen Distelmeyer - "Einfach so" live (Columbia)

Foto: Christian Fischer

DER STANDARD: Wie bewusst setzen Sie modische Versatzstücke auf der Bühne ein?

Jochen Distelmeyer: Ich ziehe für die Bühne nichts Spezifisches an, um damit etwas auszudrücken. Das wäre Quatsch. Wie in der Musikberichterstattung allgemein mit Mode auf der Bühne umgegangen wird, finde ich oberflächlich. Da wird dann geschrieben: Distelmeyer trägt Latzhose - aha, ich habe verstanden. Ich ziehe das an, worin ich mich wohlfühle.

DER STANDARD: Wie hat sich Ihre musikalische Sozialisation auf Ihren Stil niedergeschlagen?

Distelmeyer: Eine Zeit lang fand ich die Übercodierung von Styles in der Popmusik spannend. Das interessiert mich mittlerweile nicht mehr. Ich habe beispielsweise über mehrere Jahre hinweg versucht, mich in einer C&A-Unauffälligkeit zu kleiden. Offensichtlich hat das aber niemand gemerkt.

DER STANDARD: Macht es Ihnen Spaß, mit Kleidung zu spielen?

Distelmeyer: Das wechselt. Mal kann ich mit Kleidung spielerisch etwas ausdrücken, mal habe ich auf diesen Firlefanz keine Lust. Meine Kernkompetenz verorte ich in der Musik. In den USA oder England hingegen wäre das anders: Da ist im Musikbereich der Umgang mit Kleidung vielfältiger und fantasievoller. Im deutschsprachigen Raum drückt sich das im Tragen von Anzügen von Boss oder Herr von Eden aus. Das sind für mich - bei aller Sympathie - keine Optionen.

DER STANDARD: Der Designer Dirk Schönberger ist vom weißen Anzug in Ihrem Video "Wohin mit dem Hass" begeistert. Wie fühlt es sich an, von der Mode umarmt zu werden?

Distelmeyer: Das freut mich. Die Kleidung für die Videos ist übrigens nicht immer meine eigene. Den besagten weißen Anzug, von dem ich selber ganz beeindruckt war, hat die Ausstatterin besorgt. Der fühlte sich gut an, und den habe ich dann auch behalten.

DER STANDARD: Im Video zu "1000 Tränen tief" haben Sie den Schauspieler Helmut Berger einige Einstellungen lang in einem Hotelzimmer den passenden Anzug heraussuchen lassen. Wie kommt man auf so etwas?

Distelmeyer: Ich hatte eine Erinnerung an eine Szene in Ein Mann für gewisse Stunden, in dem Richard Gere durch seinen Kleiderschrank geht. Das war eine schöne Geste, wie er seine Kleidung auf dem Bett ausbreitet.

DER STANDARD: Wie weit geht denn Ihr Modeinteresse?

Distelmeyer: Die generelle Idee von Mode, also dass etwas gerade in Mode ist, das interessiert mich nicht. Trends würden mich davon ablenken, was ich eigentlich machen und wie ich leben möchte. Trotzdem entstehen aus diesen kurzlebigen Bewegungen wieder interessante Sachen, die ich zur Kenntnis nehme.

DER STANDARD: Mode hat viel mit Abgrenzung zu tun.

Distelmeyer: Das hat für mich viel mit dem Punkrock-in-der-Provinz-Spannungsmoment zu tun. Als ich jung war, war es normal für mich, klamottenmäßig Verschiedenes auszuprobieren. Da spürte ich die Kraft, die wirkt, wenn man anders herumläuft. Man glaubt, dass das einen adelt und zu jemand Besonderem macht.

DER STANDARD: Wie war das dann, nachdem Sie der Provinz den Rücken gekehrt haben?

Distelmeyer: Als ich dann in Hamburg gelebt habe, hatte ich eine Zeit lang das Gefühl, dass man mit bestimmten Farben, die man getragen hat, modisch zwei Jahre voraus war. Das hatte viel mit einer Flohmarktkultur dort zu tun. Eine Zeit lang wurde mit modischen Versatzstücken gespielt, die für Außenstehende nicht eindeutig lesbar waren. Das hatte man noch für sich, das hat keiner unmittelbar verstanden, somit war es strange - auch wenn keine ausgestellt-exzentrische Haltung dahinterstand.

DER STANDARD: Hat Hamburg noch Einfluss auf Ihre modischen Vorlieben?

Distelmeyer: In Hamburg fand ich es immer schwierig, etwas anderes als hanseatische Klamotten zu bekommen - von denen bin ich nämlich kein Fan. Zwar gibt es sehr gute Geschäfte mit eher klassischen Sachen und schönen Stoffen, aber die angestammten Läden haben ihre Schnitte eher englisch ausgerichtet als italienisch.

DER STANDARD: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Mode und Popkultur mittlerweile?

Distelmeyer: Styles werden übernommen, setzen sich durch und liegen dann kurz danach in jeder x-beliebigen Filiale herum. Miterlebt habe ich zwei, drei dieser modischen Wellen, bevor die Maschinerie der Lesbarkeit und industriellen Fertigung losging. Was mit der Retrokultur passiert ist, kann man übrigens auch sehr schön auf Musikalität umsetzen: Die H&Ms dieser Welt, und damit meine ich nicht nur die Modehäuser, sondern auch die entsprechenden Bands, können relativ gut Schnitte kopieren. Die sind dann fast schneller als ein bewusst betriebenes Spiel mit einer Haltung. Das sind sie auch deshalb, weil es eben keine Haltung mehr gibt. Dieses Spiel wird zwar weitergespielt, aber ich finde es langweilig. Für mich hat es seine Bedeutung verloren.

(Anne Feldkamp/Der Standard/rondo/12/11/2010)