Trüb oder klar? Das ist in erster Linie eine Modefrage. Wobei die Technik die Mode mitbestimmt: Bevor in den 1870er-Jahren die ersten Bierfilteranlagen konstruiert wurden, waren alle Biere mehr oder weniger trüb. Wobei die im 19. Jahrhundert erstmals massenhaft hergestellten und daher erschwinglich gewordenen Biergläser es nahelegten, eher helle und klare Biere auszuschenken. In den Lagerbier-Brauereien kam daher die Zwicklprobe auf: Mit einem Probierhahn (dem Zwickl, der ins Holz des Lagerfasses gezwickt wurde) konnte man prüfen, ob sich die Hefe im Fass abgesetzt hatte - wer damals ein Zwicklbier zapfte, wollte es besonders klar haben.
Heutige Zwicklbiere sollen dagegen schön trüb sein - ein Modediktat: Unfiltriert steht ja für unverfälscht. Weshalb manche Brauer durch (Mit-)Verwendung von eiweißreichem Weizenmalz der Trübung nachhelfen: Nicht alles, was hefetrüb wirkt, ist tatsächlich auf hohen Hefegehalt zurückzuführen, die Eiweißtrübung ist wesentlich stabiler.
Fast nur noch Hefeweizen
Apropos Weizen: Noch vor einem Vierteljahrhundert war in Österreich vor allem das filtrierte Kristallweizen gängig, inzwischen gibt es fast nur noch Hefeweizen - auch dessen Trübung besteht nicht immer nur aus Hefe. Die Hefe nämlich neigt dazu, sich abzusetzen - weshalb sich bei manchen naturtrüben Bieren ein Depot am Boden der Flasche bildet. Bei belgischen Starkbieren, die lang in der Flasche bleiben, hat es sich bewährt, vorsichtig zu dekantieren, weil das Depot viele abgestorbene Hefezellen enthält und eine eher unangenehme Bittere aufweist - außerdem sehen diese Biere blank besser aus.
Anders bei Hefeweißbieren: Die werden frischer getrunken als die starken Belgier - und die Trübung ist optisch erwünscht, weshalb das Depot aufgeschüttelt werden sollte. Dass das auch geschmacklich Sinn macht, merkt man am stärksten bei Weizenböcken. Zum Beispiel bei der Hopfen-Weisse von Schneider Weisse: Dekantiert hat sie ein sattes Goldgelb, einen Duft nach Gewürznelken - sie schmeckt süß, während die Bittere eher spät und zurückhaltend auftritt. Schüttelt man das Depot auf, so meint man, ein völlig anderes Bier vor sich zu haben: hellbraun und sehr trüb, mit dem Zitrusduft des Cascade-Hopfens und einem Hauch von Harz - und im Geschmack trägt die Hefe zu einem runden, vollmundigen und kräftig herben Eindruck bei. (Conrad Seidl/Der Standard/rondo/15/10/2010)