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"Milch ist lebendig", sagt Arthur Gasser. "In der Großmolkerei wird sie getötet."

Reuters/Michaela Rehle

Der Kessel dampft, das Feuer raucht, es riecht nach Holz, Milch, Heu und Kuh. Mit einem Gerät, das wie ein riesiger Honiglöffel aussieht, rührt Arthur Gasser durch die Molke, bis sie schäumt wie die tosende See. Dann beugt er sich über den Bottich und schöpft aus dem Molkestrudel, wofür er täglich 15 Stunden "schafft": seinen Alpkäse.

Gasser ist einer von einigen hundert Bauern, die im Bregenzer Wald Bergkäse kochen - aus Milch von Kühen, die in ihrem Leben nichts gefressen haben außer frisches Gras und Heu. Kein Silofutter hat einen ihrer vier Mägen beleidigt. Und wäre das anders, es gäbe keinen Bergkäse.

Silofutter oder Silage ist vergorenes, gepresstes Heu. Es wird früher geschnitten als anderes Gras und noch feucht verpackt - "und wonn die Kuh des frisst, kannst aus der Mülch koan Käs machen", sagt Gasser. "Der hält nicht, der schmeckt nicht - das geht nicht."

Heumilch oder Silomilch

Wissenschafter haben Gassers These überprüft und herausgefunden, dass Heumilch nur ein Zehntel der Clostridien enthält wie Silomilch. Clostridien sind Bakterien, die für die Buttersäuregärung verantwortlich sind. Sie bilden Risse und Blasen im Käse und machen ihn bitter. Je länger der Käse reift, desto unangenehmer die Auswirkungen - beim Bergkäse haben sie bis zu zwei Jahre Zeit für ihr zerstörerisches Werk. Silomilch, die für Hartkäse verwendet werden soll, muss also entweder zentrifugiert oder mit Konservierungsmitteln versetzt werden.

Außerdem wird Heumilch nicht pasteurisiert. Dadurch bleiben Keime und Enzyme erhalten, die sonst den Hygienevorschriften zum Opfer fallen. Sie sorgen dann im Käsekeller für einen dichteren, komplexeren Geschmack. Auch gesünder soll sie sein: Einige Studien fanden in Milch von Kühen, die keine Silage fressen, deutlich mehr Omega-drei-Fettsäuren.

Viele berühmte Käse dürfen daher nur aus Heumilch hergestellt werden: Neben dem Vorarlberger Bergkäse etwa der Parmigiano Reggiano, der echte Parmesan, den man unter Käsekennern nie Parmesan nennen darf. Der meist günstigere Grana hingegen darf auch aus Silomilch gekäst werden.

Teuer und zeitintensiv

Während 1970 noch fast 80 Prozent der österreichischen Milch Heumilch war, sind es heute nur mehr 15 Prozent. Mehr werden es bestimmt nicht: Wer einmal auf Silo umgestiegen ist, kann es sich kaum leisten, wieder darauf zu verzichten, zu teuer und zeitintensiv ist die Heuwirtschaft. Überlebt hat die Heumilch vor allem in Gegenden, in denen die Wiesen zu steil sind für die Mähmaschinen.

Noch wichtiger als das Heu ist für die Heumilch das frische Gras. Gassers Kühe weiden im Sommer auf 1500 Metern Höhe, wo der Sommer kurz und intensiv ist: Erst im Juni versickert der Schnee in den Wiesen, ab Ende August wächst nichts mehr. Dazwischen verwandeln Frauenmantel und Hühnerschnabel, Ringelblumen, Mattau und mindestens 50 andere Gräser und Kräuter dort Höhensonne, Berg und Wasser in Aroma. Von fünf Uhr früh bis zehn am Abend tun Gassers Kühe nichts, als etwa 80 Kilo Alpengrün zu fressen und den Geschmack aus den Kräutern zu kauen - so gründlich, dass wirklich alles, was aus ihren Öffnungen rinnt, nach Heuaufguss duftet.

Über Nacht in Fichtenholzbottichen

"Milch ist lebendig", sagt Arthur Gasser. "In der Großmolkerei wird sie getötet." Das passiert nicht nur durch das Pasteurisieren, sondern auch durch das Kühlen nach dem Melken. Dabei sterben Bakterien ab, die vor dem Käsemachen wieder zugesetzt werden müssen. Gasser muss das nicht: Er lagert seine Milch über Nacht in Fichtenholzbottichen, die er regelmäßig mit Molke wäscht. Dort bleibt sie am Leben und frisch, ohne gekühlt zu werden.

Im Sommer, wenn die Kühe auf der Alm stehen, geben sie besonders viel Milch: Fast 25 Liter spritzt dann täglich aus den Eutern, genug für etwa zwei Kilo Bergkäs. Der Käs, der aus dieser Milch gekocht wird, wird deutlich gelber als einer, der aus Wintermilch gemacht wurde. Sein Teig wird cremiger, der Geschmack dichter. Davor muss er allerdings erst einmal in den Keller. Frischgekocht ist er kasweiß, schmeckt entfernt nach Mozzarella und quietscht zwischen den Zähnen. Erst badet er drei Tage in Salzlauge, dann reift er bei zwölf Grad auf Fichtenbrettern. Nur hin und wieder wird seine Ruhe gestört, wenn er gewendet und mit Salz eingerieben wird. Nach zwölf Monaten hat er sich meist voll entwickelt. Nicht nur zum Käsemachen ist der Sommer daher die beste Zeit, sondern auch, um ihn zu essen. (Tobias Müller/Der Standard/rondo/03/09/2010)