Vor einem Jahr ätzte Karl Lagerfeld noch über "dicke Muttis mit Chipstüten", die sich über zu dünne Models aufregen. Anlässlich der Vorstellung der jüngsten Resortkollektion von Chanel lief jetzt eines der bekanntesten Plus-Size-Models, die Amerikanerin Crystal Renn, für den Modeschöpfer.

Foto: Chanel

Bei den Modeschauen für diesen Herbst produzierten Miuccia Prada und Marc Jacobs für Louis Vuitton wieder einmal Schlagzeilen. Schuld daran waren nicht allein die überknielangen Röcke im Retrolook der 50er- und 60er-Jahre, sondern die Models, deren Brustumfang und Alter im Mittelpunkt des Interesses standen. Da liefen Lara Stone, die im Modebusiness trotz Kleidergröße 36 als kurvig gilt, und das 46 Jahre alte Supermodel Elle Macpherson über den Laufsteg: die Kleider tailliert, Brust und Hüften betont. Jacobs betitelte seine Show mit "And God Created Woman". Eine offensive Huldigung an die Weiblichkeit? Oder gar ein Bruch mit den hinlänglich diskutierten mageren Model-Idealen?

Nicht nur Prada und Louis Vuitton haben erkannt: Mit "fraulicheren" Optiken lassen sich schnell Positivmeldungen produzieren. Auch die internationalen Hochglanzmagazine sind längst auf den Zug aufgesprungen. Sie lieferten sich in den vergangenen Monaten ein regelrechtes Wettrennen um die Vermarktung von Kurven und alternder Supermodels: Die mittlerweile 44-jährige Kristen Mcmenamy darf diesen Sommer den Silberstreif auf dem Cover der italienischen Vogue geben, und das angesagte V Magazine experimentiert in einer sogenannten "Size Issue" mit weiblichen Körperformen. Die Elle hievt das Plus-Size-Model Tara Lynn auf den Titel ihrer "Spécial rondes"-Ausgabe, und die Pariser Vogue inspizierte im Mai die Rundungen von Crystal Renn.

Models müssen dünn sein

Kündigt sich da etwa eine Veränderung im Modebusiness an? Yannis Nikolaou, für die Hamburger Agentur Place Models seit Jahren international im Modelgeschäft tätig, begegnet den neuesten Schlagzeilen gelassen: "Seit ich in diesem Business tätig bin, wiederholen sich alljährlich dieselben Mechanismen: Jedes Jahr nimmt sich ein Designer zur Abwechslung ältere prominente oder aber kurvigere Models her." Eine Grundregel bleibt jedoch bestehen: "Die Mädchen, die ins Modelgeschäft einsteigen, müssen dünn sein." Allerdings sagt er auch: "Die, die früher liefen, also Cindy Crawford, Linda Evangelista oder Tatjana Patitz, waren nie so klapperdürr wie die Models heute." Warum das? Der Modelmarkt hat sich seit der Hochzeit von Crawford und Co nach Osten hin geöffnet, die immer jüngeren Models aus Russland oder Bulgarien haben das Model-Ideal auf Größe 34 schrumpfen lassen.

In den Medien gehört es mittlerweile zum guten Ton, dünne Models der Magersucht zu überführen. Gleichzeitig wird das Comeback der Kurven und der Supermodels ausgerufen. Auch wenn die Modewelt vermehrt Ausflüge aus ihrer selbst geschaffenen Photoshop-Perfektion macht, kehrt sie immer wieder zu ihren mageren Idealen zurück: "Wenn die Mädchen nicht groß und dünn wären, dann wären sie wie du und ich - und Mode macht nun einmal aus, dass sie eben auch ein Traum, ein Gemälde oder Science-Fiction ist." Was Yannis Nikolaou äußert, kommt dem Mantra der High-Fashion-Designer ziemlich nahe.

Frauen "wie du und ich"

Parallel dazu haben seit einigen Jahren Unternehmen vermeintlich reale Gesichter und Körper in der Werbung für sich entdeckt: Nicht nur die überaus populäre Dove-Kampagne setzt auf Frauen "wie du und ich". Auch die Wunderwaffe Social Media wird auf der Suche nach "real people" eingesetzt: Benetton suchte vor kurzem über Facebook nach Laien-models. Burberry schickte Streetfashion-Fotograf Scott Schuman um die Welt, um für die Aktion "Art of the Trench" authentische Porträts von "normalen" Menschen zu machen.

Das Modell der Frauenzeitschrift Brigitte hat dagegen bisher noch keine Nachahmer gefunden: Seit Januar 2010 werden sämtliche Mode- und Beautystrecken ausschließlich mit Laienmodels produziert: Im Sommer 2009 legte das Hamburger Magazin ohne Models los, mittlerweile verfügt es über eine Datenbank mit circa 35.000 Bewerbungsprofilen: "Das Ohne- Models-Thema lag in der Luft, das haben wir Moderedakteure gespürt, ging doch für uns und unsere Leserinnen vieles nicht mehr zusammen: einerseits die reale Welt der Frauen, andererseits diese Plastikwelt, diese Bilder ohne Geschichte." Das sagt Enn Waller, Fashion-Direktorin bei Brigitte Woman und seit mehr als zwanzig Jahren bei der Zeitschrift tätig. Nachdem lange genug Photoshop das Retuschierzepter für makellose Retortenschönheit in der Hand hatte, sind jetzt wieder Ecken und Kanten und vor allem die Geschichten drum herum gefragt. Die Masche schient aufzugehen, auch wenn in der Brigitte die Modestrecken heute genauso aussehen wie früher. Enn Waller zumindest erzählt, es beglücke sie, wenn "eine ganz normale Frau während eines Fotoshootings aus ihrem Leben in eine Rolle springt".

Selbst "Vogue" macht mit

Ganz nebenbei entsteht aus dieser Zusammenarbeit eine besonders intensive Leserinnen-Blattbindung. Models mit "normaleren" Maßen, ist sich Waller sicher, tragen auch zur stärkeren Identifikation der Konsumenten mit Produkten und Unternehmen bei. Die italienische Vogue hat vor wenigen Monaten ein Onlineportal namens "Vogue Curvy" eröffnet, für die vor allem Plus-Size-Models im Einsatz sind. Noch weiter geht "Allwalks", eine Initiative, die sich anlässlich der Londoner Fashionweek die Förderung der Vielfalt hinsichtlich Alter, Gewicht und Herkunft der Models auf die Fahnen geschrieben hat. Der britische Designer Mark Fast schickte im Rahmen der Initiative die Plus-Size-Models Hayley Morely und Crystal Renn in seinen hautengen Strickkleidern über den Laufsteg - ein Medienereignis. Vor allem junge Designer können mit ungewöhnlichen Models auffallen.

Auch in Österreich: Die Designerin Isabelle Steger, die ihre Kollektion beim Nachwuchsfestival im südfranzösischen Hyères vor zwei Jahren an "einem Croupier, einer Lehrerin, einem Spieler, einem Kunstsammler und einer Verkäuferin" vorgeführt hat, meint: "Ich habe grundsätzlich nichts gegen professionelle Models, sondern gegen die Idealisierung eines bestimmten Schönheitsbildes." Ob sich an diesem allerdings tatsächlich etwas ändert wird, werden frühestens die in einigen Wochen beginnenden Modeschauen zeigen. (Anne Feldkamp/DER STANDARD/rondo/20/08/2010)