Alternative Energie, unter anderem aus Taubenkot, zeigt das Projekt "Citizen Evolution".

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"Es lebe der Zentralfriedhof und olle seine Toten", könnte der Soundtrack zum Projekt "Citizen Evolution" heißen, das derzeit im Museum für angewandte Kunst gezeigt wird. Das Motto: Allerheiligen ist jeden Tag, und anstatt Blumen werden schwarze, monolithische Energiekollektoren an die Gräber getragen. Diese ernten mikrobielle Energie, die bei der bakteriellen Zersetzung von Körpermaterie generiert wird. Oma und Opa anzapfen, damit der iPod wieder läuft? Zugegeben, nicht gerade die feine Art, aber sollte Wien eines Tages tatsächlich der Saft ausgehen, wieso nicht? Genau von diesem Bild gehen die hypothetischen Szenarien der Designerinnen Marei Wollersberger und Jessica Charlesworth aus. Die beiden malen das ungemütliche Bild, dass zentrale Versorgungssysteme der Stadt nicht mehr funktionieren. Ihre Lösung lautet Open-Source-Biotechnologie für die Bevölkerung. Dazu zählt auch ihre Idee, das "Gänsehäufel" zum Lebensraum für genmanipulierte Schweine einzurichten, die künftig als lebende Antikörper-Reservoirs dienen, wobei die nötigen Impfungen von Gelsen gleich nach dem Bad erledigt werden. Auch der Gedanke an Taubenkot-Kulturen auf Hausdächern, die ebenso als Energielieferanten zur Verfügung stehen sollen, ist den beiden Gestalterinnen nicht zu schräg. Vielleicht wird sich in Zukunft auch der Gackerl-Sackerl-User über ein Plus auf seinem Energiekonto freuen dürfen?

Klar klingt das nach einem durchgeknallten B-Science-Fiction-Schinken, aber in Zeiten wie diesen sollte man in Sachen alternative Energie nicht zimperlich sein. Oder trotz des Ernstes der Lage - Spaß verstehen. "Citizen Evolution" ist eines der drei Siegerprojekte des Ideenwettbewerbs "Project Vienna - A Design Strategy", eine Kooperation vom Museum für angewandte Kunst und Departure, deren Früchte derzeit im Mak Design Space gezeigt werden.

Stadt neu denken

Kurz gesagt geht es bei dem Projekt, zu dem insgesamt 101 Ideen aus 20 Ländern eingereicht wurden, darum, die "Stadt neu zu denken", wie es Projektleiter Thomas Geisler ausdrückt. Dieser ist der heimischen Gestalterszene vor allem durch seinen Part bei der Neigungsgruppe Design bekannt. Aus den Einreichungen wurden von einer Jury 20 Projekte ausgewählt. Drei davon dürfen sich über Plätze auf dem Podest und die Ehre, ausgestellt zu werden, freuen. Marie gab es keine.

Dafür wurde trotzdem ganz schön viel nachgedacht: gesellschaftskritisch, utopisch, humorig, kindisch, zum Teil sehr konkret und, wie wir bereits wissen, sarkastisch. Schon an den Schautafeln und Objekten von Wollersberger und Charlesworth sieht man: Design geht gerade in Bezug auf Alltagsthemen auch ganz anders. Diese Schau ist ein weiterer Beweis dafür. Sie gibt Impulse, hat das Zeug dazu, einen Diskurs auszulösen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Ob sich Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel für das Projekt der Architekten Gregor Hoffelner (Very Architects) und Sebastian Schmid (ex.it.architektur) erwärmen wird, darf bezweifelt werden. Dieses widmet sich unter dem Titel "UPgrading VIENNA" dem Thema Weltkulturerbe und könnte, so es realisiert würde, Wien den Titel der avantgardistischsten Stadt Europas einbringen. Und das, ohne die strengen Auflagen des Weltkulturerberegelwerks zu verletzen. Die beiden Filous machen Platz, packen Stephansdom, Staatsoper und Co kurzerhand auf Podeste. Dabei lassen sich die zwei nicht lumpen. So hoch wie der Kahlenberg müssen die Podeste sein. Wie gigantische Stecknadeln schießen sie aus dem Stadtbild - Upgrading der besonderen Art. Dadurch werden historische Sichtachsen nicht unterbrochen und Platz für viel neue Architektur gewonnen.

Blickprothese samt ausfahrbarem Rückspiegel

Wie es um die österreichische Politik steht, fragt sich (unter vielen anderen) Klaus Stattmann vom Büro für Architektur und Forschung. Der Verdacht, dass die Weisheit wohl eher nicht im Parlament zu finden sei, da die Statue der Pallas Athene diesem den Rücken zukehrt, hat ihn zu seiner wandfüllenden Comic-Collage "A.R.S.A#01 Architecture Saves Austria" inspiriert. Kurz gesagt handelt es sich bei Stattmanns Projekt um eine Blickprothese samt ausfahrbarem Rückspiegel, die in Form eines "Space Shuttle for urgent situations" immer dann ausschwärmt, wenn das Parlament aktiv wird und unverzüglich die Göttin der Weisheit informiert.

Im äußerst fesch gestalteten Katalog findet sich unter anderem auch die Raunz-Ecke von Valentinitsch Design. Dabei handelt es sich um ein speziell für Wien entwickeltes Stadt- bzw. Therapiemöbel, eine Art elektronische Kummerkiste. Das spacig anmutende Ding tröstet raunzende Passanten oder reproduziert das Geschimpfe zeitverzögert im Dienste der Selbsttherapie. Ist zwar kein Siegerprojekt, aber halt so schön wienerisch und hat noch dazu das Zeug zum Wahlkampfthema. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/16/07/2010)