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Durchaus kleinteilig: die Ribisel-Ernte.

Foto: AP/Axel Heimken

Wie verhält es sich mit Ihrer persönlichen Ribisel-Erinnerung? Wenn Sie gar keine haben, was unwahrscheinlich ist, können Sie hier ausnahmsweise nicht mitreden. Spielen Sie lieber den Schiedsrichter. Von denen gibt es momentan sowieso zu wenige gute.

Zwischenzeitlich haben Sie sicher tief in der Erinnerung gekramt: Zu welcher Ribiselgruppe gehören Sie also? Zu jener, für die ein Garten und die Arbeit darin bis heute wenig mehr als eine Vision des Grauens darstellt? Gehören Sie zu jenen, die sich, wenn überhaupt, nur abschätzig zum Thema äußern und niemals auf den Gedanken kämen, freiwillig auch nur einen Finger einer zu bearbeitenden Erdkrume zu nähern?

Wozu Garten. Gibt ja eh alles in der Gemüseabteilung im Supermarkt. Sauberen, erdkrumenfreien Fingers kann man es dort erwerben, selbstverständlich bis hin zu den Ribiseln in nett abgepackten Kistchen.

Frühkindliches Verbrechen: Ribiselbrocken

Auch wenn diese Ihre beklagenswerte Einstellung ist, muss Ihnen vergeben werden, denn an Ihnen haben Ihre Eltern mit großer Wahrscheinlichkeit das bis in die 60er - und 70er-Jahre weit verbreitete frühkindliche Verbrechen des Ribiselbrockens verübt.

Sie mussten damals, an wundervollen heißen Frühsommertagen, gleich zu Beginn der Sommerferien, während praktisch alle Ihre Freundinnen und Freunde unter einem makellosen Himmel im Ruderleiberl fröhlich den lokalen Freibädern zuhüpften, mit Weidling oder Kübel zum Ribiselpflücken ausrücken. Im schlimmsten Fall standen Sie allein vor den unendlichen Weiten gleich mehrerer Ribiselstaudenzeilen. Jede von ihnen tief zu Boden geneigt von der Last tausender, hunderttausender, wie sich nach mehrstündiger Plackerei jedoch unweigerlich herausstellte, tatsächlich in die Milliarden und Abermilliarden gehender winzig kleiner Ribiseln. Die sind so winzig, das weiß man erst nach dem ersten Kilo.

Marillen oder Pfirsiche brocken wird zum Vergnügen dagegen. Weichselernten schrammt schon am Rande des Widerlichen. Aber nichts, absolut nichts in Sachen Ernte kommt auch nur annähernd an die Mühsal und an das Elend des einsamen Ribiselbrockens heran. Die Ernte von Safranfäden gegebenenfalls, aber hier fehlt mir der Erfahrungswert.

Göttlicher Ribiselkuchen

Es gibt jedoch neben den bedauernswerten Ribiselgeschädigten auch noch die anderen. Die mussten nicht, die durften ernten. Die saßen unter den schattenspendenden Stauden, fraßen göttlichen Ribiselkuchen - den mit dem vielen süßen Knistereischnee über der säuerlichen Ribiselschicht, was bis heute eine unschlagbare Kombination ist -, klaubten gelegentlich die eine oder andere Ribisel in den Weidling und hörten ansonsten ihren Omis oder Müttern, vielleicht auch ihren Opapas und Vätern beim Märchen- und Geschichtenerzählen zu. Und das können gar kostbare Juwelen im sammetausgeschlagenen Kästchen der Erinnerungen sein.

Kurzum: Zwingen Sie Ihre Brut niemals zum Ribiselbrocken. Rasenmähen und Holzschlichten - von mir aus. Niemals aber Ribisel. (Ute Woltron/Der Standard/rondo/02/07/2010)