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Der Himbeerhofstaat breitet sich aus - ohne Rücksicht auf Verluste.

Der Mai ist die vogeldurchzwitscherte Zeit, in der arglose Menschen zum Beispiel fröhlich vor sich hin pfeifend Himbeerstauden in ihrem Garten pflanzen.

Sie tun das selbstverständlich in der Hoffnung, dass die alsbald ordentlich austreiben und je nach Sorte noch im selben oder erst im nächsten Jahr ordentlich Frucht tragen werden.

Wenig Köstlicheres ist bekannt als frische, sonnenwarme, saftige, pelzige, frisch von der Staude geklaubte Himbeeren. Walderdbeeren kommen in die Nähe, als Hexenschaum mit Schlagobers vermanscht, zum Beispiel, aber ich komme vom Thema ab.

Also: Nach Möglichkeit begeben sich diese arglosen Himbeerliebhaberinnen und Liebhaber mit den Himbeerstöcken in Handen auf ein etwas erhöht vorbereitetes Beet und pflanzen die Königin der Beeren dort in jene lockere, fruchtbare Erde, die sie bevorzugt.

Dieser Ort ist von den vorsorglichen Gärtnern außerdem so gewählt, dass es dort den ganzen langen Tag über sowohl Sonne als auch Schatten gibt, dass es feucht, aber nicht staunass ist, dass der Boden nicht überwuchert, sondern von anderer Vegetation befreit ist.

Himbeerköniginnen

Denn grade so sollen die Umstände sein: nämlich wie es die Himbeere ursprünglich von den Waldesrändern und Lichtungen gewohnt ist, wo sie eigentlich herkommt.

Und grade so, erinnere ich mich, schritt ich vor rund neun Jahren hoffnungsfroh mit drei überaus prächtigen Himbeerköniginnen, noch in ihren Töpfen ruhend, durch den vogeldurchzwitscherten Mai geradewegs in meinen damals noch himbeerfreien Garten. Die eine hieß Zefa, die andere Goldkönigin, die dritte Romy. Die ersten Jahre über hielten sie alle, was ihre mehr oder weniger alte Herkunft versprach.

Sie trieben verlässlich aus, fruchteten vorzüglich, waren eine kulinarisch Freude für große und kleine Nascher. Sie passten auch gut zueinander, denn Zefa und Goldkönigin waren Sommerhimbeeren, Romy eine Herbsthimbeere - es gab also von Juli bis zum Frost Früchte, was für verfressene Gärtner wie unsereiner natürlich ein Idealzustand ist.

Aber: Nach ein paar Jahren sittsamer Sesshaftigkeit begannen sich die Damen im angestammten Rabatt sichtlich unwohl zu fühlen und in der Folge so was von zu verbreitern, dass das benachbarte Gemüsebeet ernsthaft in Gefahr geriet.

Himbeerhofstaat

Warum verwende ich eigentlich die Vergangenheitsform? Lasst es uns aussprechen: Diese Himbeeren überwuchern mich mit ihren Töchtern und Töchterstöchtern. Denn manchen Himbeertrieb am nebenan gelegenen Gemüsegartenzaun ließ ich in der Vergangenheit in einer Mischung aus Gutmütigkeit und Gier stehen - ein Fehler.

Der Himbeerhofstaat zieht sich bereits quer über den halben Gemüsegarten und ist im Begriff den Kartoffelacker in Besitz zu nehmen wie die Kolonialmächte seinerzeit die Neue Welt. Ich könnte dieser Tage einen schwungvollen Himbeerpflanzenhandel eröffnen und erwäge ernsthaft den Nebenerwerbsjournalismus, um mich hauptberuflich auf Bauernmärkten herumtreiben zu können.

Zwei Schlüsse darf man daraus ziehen: Himbeeren brauchen idealerweise Wurzelsperren, die allerdings mehr als 50 Zentimeter tief sein müssen.

Zweitens: Nach rund acht Jahren behagt ihnen der Boden nicht mehr, sie wollen einen anderen Standort, und - glauben Sie mir - den suchen sie sich, ohne Rücksicht auf Verluste.

Imperatorinnen eben, die können gar nicht anders. (Ute Woltron/Der Standard/rondo/07/05/2010)