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Blick auf Miami

Beim Kunstrundgang im Wynwood District.

Foto: Pyramid Studios

Texanisches Beef-Maki, Fisolen-Tempura mit Trüffel Aioli, Salsa-Sauce sowieso. Auch der Name des Lokals ist kühnes Fusion-Programm: Sushisamba. Das klingt nach Tanzen und Essen. Und überdies nach viel Nichts, das soeben im Barlicht blutig rot verschwimmt, so wie die verschwitzten Gesichter der Gäste. Gerichte, die aussehen, als ob sie frisch vom Friseur kämen, Rezepte aus Multikultistan, all die Latin Lover vor süßem Karotten-Ingwer-Dressing - auch mit solchen Metamorphosen kann das aktuelle Miami Beach aufwarten. Die belagerte Food-Bar an der Ecke der Lincoln Avenue ist so ein Platz mit Allzeittischreservierungshoch: Peru plus Brasilien plus Japan, den College-Schülern und Midwest-Daddys am Tresen gefällt das Konzept.

Aber wer dieser Tage die Menschenströme der Lincoln Road rauf und runter surft, der kann Kultur auch ein wenig anders erfahren. Zunächst als Liebe zum Tier, wenn etwa ein Straßenmaler mit einem Dackel namens Franzen nähere Details der Bildkomposition bespricht. Und dann wären da auch noch die vielen Spuren, die von den Tagen erzählen, als der Süden noch Lockstoff für die weißen "winterbirds" war, Amerikas Pensionisten, die es in ganzen Caravan-Kohorten nach Miami zog. Blickt man zwischen die Palmen der betriebsamen Lincoln Avenue, leuchten sogar grüne und gelbe Blätter aus gefranstem Beton hervor. Es sind die Fassadendetails des alten Lincoln Theater, das einst einen gemauerten Urwald zwischen Symphoniker und Shopper schob. Und es ist der Auftritt eines Hauses, das soeben einer neuen Ära weicht.

Mikado

Letztere sieht im Moment noch aus, als ob Eisenbieger im großen Stile Mikado spielen würden. Doch auch ein flüchtiger Blick auf die markant ineinander vergrätschen Stahlstreben, die unmittelbar neben dem alten Art-déco-Theater zwischen Bauschutt und Caterpillars aufragen, verrät den großen Wurf. Architektur-superstar Gehry macht Miami Beach gerade seine Aufwartung, und so kann man den kunstvoll ineinander verschlungen Stahlrohren von Gehrys New-World-Symphony-Konzerthaus soeben beim Wachsen zusehen. Dass die Aufführungen später an die Außenfassade des Baus projiziert werden sollen und Miami Beach künftig mit Violinensoli am Video-Screen aufwarten will, fügt sich bestens in das aktuelle Selbstbild der Stadt. Es hat viel mit Kunst und Öffentlichkeit zu tun - und mit einer leicht veränderten Sicht auf das eigene Potenzial: Denn Miami erfindet sich soeben neu.

Mehr dazu verrät die Reise in die Wüste, und zwar in die Betonwüste der Lagerhallen, die hinter dem langgezogenen Julia Tuttle Causeway, einer Schnellstraße zwischen Miami Beach und Downtown auftaucht. Noch vor einigen Jahren hätte sich kaum ein Miami-Besucher hierher verirrt, es sei denn, um den legendären Criterio Studios eine Aufwartung zu machen, in denen die Bee Gees in den Seventies ihre Obertonchöre erfanden.

Doch seit die Art Basel, die größte Kunstmesse der Welt, Floridas Pink City dank der neugegründeten US-Dependance Art Miami auch zur Kunststadt macht, ist alles anders. Schon gar im Viertel Wynwood, wenige Straßen südlich des neuentstandenen Design Districts. Graffiti wuchern hier an den Wänden, ein fünf Meter großer Knirps bückt sich an einer Hausmauer nach Blümchen. Mahatma Gandhi triff Aung San Suu Kyi - freilich ebenfalls nur an der Wand.

Barocke Engelchen

Eine Ecke weiter zeigt ein gewagtes Fresko barocke Engelchen in Sadomaso-manier, und ein anderes Schneewittchen plus Single-Zwerg in einer Art Einbauküche, die aus den Farbkästchen des Malers Piet Mondrian zusammengewürfelt zu sein scheint. Mitunter bedarf es trotzdem eines zweiten Hinsehens, um herauszufinden, ob es sich nun um Street-Art handelt, oder doch bloß um die ungekünstelten Bilder von benachbarten Lagerhallen, in denen Grossisten chinesische Billigschuhe und Trainingsanzüge zwischenlagern.

Genau dieses Nebeneinander von Kunst und grober Vorstadt trägt zum Charme des jungen Szeneviertels bei: Ein paar Blocks mit Hinterhofmanufakturen und Kfz-Werkstätten. Dann wieder ein Cluster von Gebäuden, in denen die Leere der einstigen Fabrikhallen und die rauen Betonböden das perfekte Ambiente für private Sammlungen und Galerien abgeben und wo an jedem zweiten Samstag des Monats Gallery-Walks eine Open-House- und Partystimmung generieren. In der Regel im Beisein jener Kunstgemeinde, die den Rest der Woche bei Trenditalienern wie Wynwoods Joey's zum Lunch auftaucht. Teils im Nadelstreif, der Galeristen und Kunstsammler verrät, teils in Arbeitskleidern, deren Farbsprayspuren selbst fast als Kunstwerke durchgehen könnten.

Danny Fila gehört eindeutig zur Farbklecksefraktion. So wie die anderen jungen Künstler, die im flachen Ziegelbau des Bakehouse Art Complex Atelierraum angemietet haben. Danny ist ein freundlicher Typ, aber jetzt sieht er trotzdem rot. Der ganze Ärger - per Knopfdruck kommt er aus der Dose. So wie der Affe, der allmählich auf der Holzplatte auftaucht, die der Graffiti-Künstler in den Hof des Bakehouse Complex gestellt hat. Danny schwitzt, schüttelt rhythmisch die Spraydose - und den künstlichen Ärger aus dem Handgelenk. Denn eigentlich ist ja alles ganz friedlich ringsum. Endlich hat sich die Sonne durchgekämpft, legt sich auf die beiden mit grellen Farben besprayten Wassertanks des Hinterhofs. Einen Block weiter diskutiert Galerist David Castillo mit Bildhauer Pepe Mar über dessen Wollhauben und dreidimensionale Collagen. Und im umgebauten Lagerhaus der Rubell Family Collection schieben sich Artlektoren zwischen raumhohe Budweiser-Bier-Dosenwände und Neonschriftwolken, Intellektuellengrüppchen aus New York in ihrem Schlepptau.

Kunstlagerhäuser und Möbelflagshipstores

Miami reloaded. Das klingt gut, aber beschränkt sich keineswegs auf die Kunstlagerhäuser und Möbelflagshipstores des Art and Design District. Denn zuletzt wurde auch Downtown entdeckt, das schwarze Herz von Floridas Moloch. "Miami River: Full of drugs 'n' dead bodies" presst der Taxifahrer in purstem Southern Accent hervor, und es klingt, als würde er die Wörter aus einer Tube quetschen. Wir rollen die North East 2nd Avenue hinunter, tauchen am Boden von Wolkenkratzerschluchten, schieben uns an der berühmten Fassade des Baccardi-Buildings vorbei. Hispanische Immobilientycoons, die schwer in Miami Downtown investiert sind, wollen das zwischenzeitlich heruntergekommene Businessviertel zu einer sicheren Oase für Fußgänger und Partytiger machen. Und die Stadtverwaltung legt die Panoramablicke drauf.

Seit kurzem spult hier eine neue Gratishochbahn, der Metromover, ihre Runden ab, quert die spitzen Hochhausnadeln der Finanz und dazwischen liegendes Brachland. An der Station Omni kann man das neue Wahrzeichen des Bisyane Boulevard sehen: Adrienne Arsht Center for the Performing Arts, eine von Pritzker-Preis-Träger Cesar Pelli fürs renommierte Miami City Ballet "maßgeschneiderte" Glashaut, die sich wie ein Kokon über das darunterliegende Stahlskelett spannt. Klassischer Tanz - noch so eine ungeahnt zarte Facette, die man der Stadt kaum zugetraut hätte. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/23/04/2010)